Machtkampf bei Volkswagen:Drei Männer im Streit

VW-Patriarch Ferdinand Piëch hat schon mehrere Spitzenmanager des Volkswagen-Konzerns demontiert. Im Fall Martin Winterkorn sieht es allerdings so aus, als hätte er sich verkalkuliert.

Von Thomas Fromm

Er hatte wohl geglaubt, dass es so laufen würde wie immer. Wie 2006, als er Bernd Pischetsrieder nach vier Jahren an der VW-Spitze vom Hof gejagt hatte. "Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben", sagte Ferdinand Piëch damals. Die mächtigen Konzernbetriebsräte ließen ihn gewähren, denn sie fanden ja schon lange, dass Pischetsrieder der Falsche war.

Drei Jahre später brauchte es nur wenige Worte, um den damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zu vertreiben. Ob der selbstbewusste Wiedeking nach der gescheiterten Übernahme-Attacke gegen die Wolfsburger noch sein Vertrauen genieße, wurde Piëch damals gefragt. "Zurzeit noch", sagte der. Und setzte dann zum entscheidenden Nachsatz an: Das "noch" könne man streichen. "Wiedeking ist nicht unser King", sagten die VW-Betriebsräte damals. Piëch war also auf der sicheren Seite, wie immer. Ein paar scharfe Sätze zur richtigen Zeit, und wieder war ein Manager weg.

Am vergangenen Freitag aber war alles anders als sonst. Piëch, der große alte Strippenzieher, Karrieremacher und Karrierekiller, der Porsche-Enkel und Familienpatriarch, machte eine ganz neue Erfahrung:

Er ließ sein Fallbeil heruntersausen, diesmal auf Konzernchef Martin Winterkorn, den langjährigen Intimus. Aber es traf daneben.

"Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", sagte der Alte, ein Satz, bei dem jeder weiß: Wenn er so etwas sagt, ist es aus. Stattdessen aber: kein großer, theatralischer Abgang, nicht einmal ein leiser Rücktritt. Winterkorn will nicht gehen, bekommt von allen Seiten Unterstützung - und der 77-jährige Herrscher steht auf einmal da: allein und mitten in einem Machtkampf, wie ihn der Konzern so noch nie erlebt hat.

Volkswagen's CEO Winterkorn and chairman Ferdinand Piech attend a presentation during the first media day of the 81st Geneva Car Show

Jahrelang förderte und stützte Ferdinand Piëch (links) seinen Konzernchef Martin Winterkorn. Das ist vorbei.

(Foto: Valentin Flauraud/Reuters)

Der mächtige Betriebsratschef Bernd Osterloh will an Winterkorn festhalten, und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagt: "Ich bin unangenehm überrascht über die zitierten Aussagen von Herrn Professor Piëch." Das ist nicht unwichtig, denn das Land ist nach den Familien Piëch und Porsche der zweitgrößte Aktionär in Wolfsburg. Am Sonntag gingen dann auch noch die VW-Miteigentümer von der Porsche-Familie auf Distanz zu Piëch. Es wird einsam um den mächtigen Herrscher. Hat Piëch, der so gerne und eiskalt Manager abserviert, hier den Fehler seines Lebens gemacht? Hat er sich diesmal überschätzt? War ihm klar, was er da auslösen würde? Was wird nun aus dem größten Autobauer Europas, der kurz davor steht, größter Autobauer der Welt zu werden? Wird das Zwölf-Marken-Reich das aushalten? Oder wird es in den kommenden Wochen und Monaten zerrieben in diesem Machtkampf, in dem es längst nicht mehr um Autos geht?

"Die Aussage von Herrn Dr. Piëch stellt seine Privatmeinung dar", kontert der andere Teil des Clans

Es sind Fragen, die sich an diesem Wochenende alle stellen. Ratlose Gesichter in Wolfsburg, als am Freitag das Zitat des Alten von Spiegel Online aus die Runde macht: "Will der uns ins Chaos stürzen?" - das ist noch einer der freundlicheren Kommentare, die in den Büros der Auto-Metropole die Runde machen. Von "Amoklauf" ist die Rede, von "Charakterlosigkeit" und von "Hinrichtung".

Mehr zum Thema

VW im Größenwahn - Kommentar von Caspar Busse

Winterkorn, das war nicht Pischetsrieder und auch nicht Wiedeking. Er war seit Jahrzehnten der wichtigste Weggefährte Piëchs. Ziehsohn, Vertrauter und einer der wenigen im Konzern, denen Piëch vertraute. Der Mann, der in den acht Jahren seiner Amtszeit den Umsatz auf mehr als 200 Milliarden Euro fast verdoppelt und den Gewinn um fast 300 Prozent auf 18 Milliarden Euro gesteigert hat. Und: Winterkorn und Piëch, der Vorstandsvorsitzende und sein Chefkontrolleur, das waren jahrelang zwei Männer, zwischen die, wie man so sagt, kein Blatt Papier passte. Auch deshalb galt es als abgemacht, dass der 67-Jährige dem Alten als Aufsichtsratschef folgen würde. Bis jetzt.

"Der hat ihm über 30 Jahre lang den Rücken freigehalten", sagt einer, der beide gut kennt. "Und jetzt das."

Warum nur? Die offizielle Erklärung geht so: Piëch wirft seinem Manager Versäumnisse vor; vor allem in den USA ist der Konzern schwach. Aber ist das wirklich der Grund? "Ein Fliegenschiss auf der Landkarte" sei das im Vergleich zu den Erfolgen, die VW woanders feiere, sagt ein Konzernmanager. Geht es am Ende um etwas anderes? Eine alte, offene Rechnung?

Machtkampf bei Volkswagen: SZ-Grafik; Quelle: Konzernlagebericht 2014

SZ-Grafik; Quelle: Konzernlagebericht 2014

Es ist eine Verschwörungstheorie, aber sie hat es in sich. Sie geht zurück auf den September 2013. Damals schrieb das Handelsblatt von schweren gesundheitlichen Problemen des alten Mannes und mutmaßte, dass Piëch sein Amt im Aufsichtsrat bald abgeben würde - an Winterkorn. Piëch kochte, dementierte, ging zum Spiegel und ließ vermelden: "Guillotinieren werde ich erst, wenn ich sicher weiß, wer es war." War dies nun die Guillotine? Hatte er Winterkorn im Verdacht?

So viel steht fest: Es geht in diesem Wolfsburger Drama um Eitelkeiten, um Macht und um Egos. In den vergangenen Monaten wurde immer öfter über Winterkorn, den Ziehsohn, und immer weniger über Piëch, den Herrscher, gesprochen. Der Machtzuwachs des angestellten Managers Winterkorn habe Piëch, den Eigentümer und Patriarchen, zusehends gestört.

Winterkorn erfährt erst von der Sache, als sie schon draußen ist. Als sich am Freitagnachmittag die Meldungen überschlagen und von einer Führungskrise in Wolfsburg sprechen. "Er hat es gelesen und zur Kenntnis genommen", sagt einer, der nah dran ist. Knapp und verletzend. Die Entscheidung fällt schnell: Winterkorn beschließt, nicht den Pischetsrieder zu machen. Er will VW-Chef bleiben, zumindest vorerst. Das muss man als klare Ansage verstehen: Der große Kampf ist eröffnet.

Zumindest bis zum Sonntag hatten die beiden noch nicht miteinander gesprochen, heißt es aus Konzernkreisen. Der eine, Winterkorn, ist in Wolfsburg, der andere, Piëch, in Österreich. Spätestens am 5. Mai werden die beiden in Hannover gemeinsam auf einer Bühne sitzen. Es ist der Tag der Hauptversammlung, und er könnte zum Tag des Showdowns werden. In Wolfsburg warten sie nun auf den nächsten Zug des Alten. Sucht er hinter den Kulissen nach Unterstützern? Er bräuchte eine Mehrheit von elf Stimmen in dem insgesamt 20-köpfigen Aufsichtsratsgremium. Allein zehn davon sind von der Arbeitnehmerseite besetzt; zwei Stimmen hat das Land Niedersachsen. Es wird eng. Piëch, der es gewohnt ist zu siegen, könnte als Vorsitzender des Aufsichtsrates von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen, bräuchte aber noch weitere Stimmen.

Die Familien-Clans rund um Piëch und seinen Cousin Wolfgang Porsche halten 50,7 Prozent der VW-Anteile. Die Porsches schwiegen - bis Sonntagmittag. Dann ließ der Vetter eine Mitteilung verbreiten: "Die Aussage von Herrn Dr. Piëch stellt seine Privatmeinung dar, welche mit der Familie inhaltlich und sachlich nicht abgestimmt ist." Auch dieser Satz kommt wie ein Fallbeil. Nur, dass es diesmal Ferdinand Piëch selbst trifft.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: