Maas und die Vorratsdatenspeicherung:Vom Widerständler zum Getriebenen

Gabriel und Maas

Maas (li.) und Gabriel bei einer SPD-Klausurtagung im August 2014.

(Foto: dpa)
  • Justizminister Maas und Innenminister de Maizière haben sich auf eine deutlich eingeschränkte Form der Vorratsdatenspeicherung verständigt.
  • Es war das erste große Opfer, das die SPD in der Regierung bringen musste. Lange hatte sich Maas gegen die Vorratsdatenspeicherung gesträubt, doch dann machte ihn Parteichef Gabriel zum Getriebenen.
  • Die schnelle Einigung nun war im Sinne der SPD. Das Kalkül: je größer der zeitliche Abstand zum Parteitag im Herbst, desto besser.

Von Nico Fried und Robert Roßmann, Berlin

Es war eine sehr kleine Gruppe, nur fünf, sechs Leute, unter ihnen die beiden Minister. Weil die Verhandlungen vertraulich bleiben sollten, verschob man sogar die Klärung einiger Details - der Kreis der Mitwisser sollte nicht unnötig erweitert werden. Auch die Vermittlung des Kanzleramts nahm man nicht in Anspruch.

Am Montag stand das Ergebnis, am Dienstag wurden die Texte gefeilt. Am Abend informierten Thomas de Maizière und Heiko Maas dann die Fachpolitiker und Fraktionsführungen von SPD und Union. Und am Mittwoch präsentierte der Justizminister den Kompromiss für eines der am härtesten umkämpften innenpolitischen Themen der vergangenen Jahrzehnte: Die Vorratsdatenspeicherung kommt, wenn auch deutlich eingeschränkt.

Die Botschaft war klar: Wer jetzt noch dagegen ist, diskreditiert die Arbeit des Justizministers

Es ist das erste substanzielle Opfer, das die SPD in dieser Regierung bringen musste. Parteichef Sigmar Gabriel hat es durchgesetzt, auf Kosten seines Justizministers Heiko Maas. Und doch wird der Vizekanzler den Kabinettskollegen nun besonders brauchen, um die Skepsis in der Fraktion und mehr noch in der Partei zu überwinden. Gabriel wusste wohl, weshalb er den Kompromiss überschwänglich lobte: Maas sei es gelungen zu zeigen, "dass es zwischen Sicherheit und Freiheit keinen Widerspruch gibt", sagte Gabriel. Der Minister habe "hervorragende Arbeit geleistet". Die Botschaft an die eigenen Reihen war klar: Wer jetzt noch dagegen ist, diskreditiert auch die Arbeit des Justizministers.

Dass die Lage für die Sozialdemokraten nicht einfach werden würde, war schon bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags Mitte Dezember 2013 klar. CDU, CSU und SPD hatten auf Druck der Union vereinbart, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) in Deutschland umzusetzen. Damit hatte ausgerechnet der VDS-Gegner Maas die Pflicht, das ungeliebte Projekt zu verwirklichen. Bereits zwei Wochen später überraschte er Freund und Feind: "Ich lege keinen Gesetzentwurf vor, bevor der Europäische Gerichtshof endgültig geurteilt hat, ob die Richtlinie die Rechte der EU-Bürger verletzt oder nicht."

Die Union reagierte empört. Innenminister Thomas de Maizière war besonders verstimmt, weil Maas ihn von seiner Volte nicht vorab informiert hatte. Damals kannten sich die Ressortchefs der traditionell konkurrierenden Häuser noch kaum. De Maizière, aus dem Verteidigungsministerium weggelobt, erschöpft von Euro-Hawk-Affäre, Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen, hatte dem Kollegen nichts entgegenzusetzen. Maas hingegen, frisch befördert, wurde erstmals als Justizminister bundesweit wahrgenommen - und in der SPD als Widerstandskämpfer gefeiert.

Klagefreude

Der Weg zu des noch zu erstellenden Vorratsdatenspeicher-Gesetzes führt nach Karlsruhe. Nach FDP-Chef Christian Lindner kündigten am Donnerstag sowohl der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) als auch Wolfgang Kubicki (FDP) Verfassungsklagen an. SZ

Im April 2014 verwarf der EuGH die EU-Richtlinie. Maas war klug genug, nicht öffentlich zu triumphieren. Er hätte damit das verbesserte Verhältnis zu de Maizière ohne Not beschädigt. Die beiden Minister verständigten sich darauf, national nichts zu unternehmen, bevor die EU-Kommission eine neue Richtlinie vorlegen würde. Das Thema war damit vom Tisch. Weitgehend unbeachtet blieb, dass Maas und de Maizière auch vereinbarten, die Arbeit an einem deutschen Gesetz wieder aufzunehmen, wenn Brüssel nichts unternähme.

Maas war sich seiner Sache womöglich zu sicher

Auch Maas selbst war sich womöglich seiner Sache zu sicher. Im Dezember 2014 sagte er der Süddeutschen Zeitung, er lehne eine anlasslose Speicherung von Vorratsdaten "ganz entschieden ab". Sie verstoße "gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz". Doch schon Anfang 2015 änderte sich die Lage. Es wurde offenbar, dass die EU-Kommission keine Richtlinie mehr vorlegen würde - so kam Teil zwei der Vereinbarung von Maas und de Maizière zum Tragen. Befürworter der VDS sahen sich zudem durch die Terroranschläge in Paris bestärkt.

Auch SPD-Chef Gabriel stellte nun ein Gesetz in Aussicht. Manches spricht dafür, dass Gabriel und de Maizière hier nicht nur im stillen Einvernehmen agierten. Beide kennen sich aus der Zeit der ersten großen Koalition. Sie schätzen sich - Gabriel hatte selbst als Oppositionspolitiker im Wahlkampf 2013 de Maizière in der Euro-Hawk-Affäre auffallend geschont. Für Parteifreund Maas jedoch erschwerte Gabriel die Lage im Januar 2015 beträchtlich: Der Justizminister wurde nun zum Getriebenen.

Einen Trumpf aber hatte Maas noch: die engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH für eine Neuregelung der VDS. Eine weitere Niederlage vor Gericht kann man sich nicht leisten. Der Justizminister rang dem Innenminister eine Verkürzung der Höchstspeicherfrist auf nur noch zehn Wochen statt sechs Monate ab. Außerdem wurden der E-Mail-Verkehr und die aufgerufenen Internetseiten von der Speicherpflicht ausgenommen. De Maizière setzte hingegen durch, dass die Standortdaten bei Handy-Telefonaten, die Sicherheitsexperten als besonders wichtig erachten, zumindest vier Wochen gespeichert werden müssen.

Ganz im Sinne des CDU-Ministers war auch der Zeitdruck beim Koalitionspartner: Wenn es sich schon nicht vermeiden ließ, wollten die Sozialdemokraten nun schnell fertig werden. Das Kalkül: je größer der zeitliche Abstand zum Parteitag im Herbst, desto besser.

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