Luftangriff nahe Kundus:Deutscher Ablasshandel

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Eine Entschädigung für die Kundus-Opfer ist richtig - fragwürdig ist jedoch die Rolle der Anwälte. Sie arbeiten mit Beweisen, die es nicht gibt.

Stefan Kornelius

Von den vielen falschen Entscheidungen nach dem Bombardement von Kundus war und ist die Zusage, Entschädigungsverhandlungen mit einem deutsch-afghanischen Anwaltskonsortium aufzunehmen, eine der bedauerlichsten. Vorsicht: Nichts spricht gegen Entschädigungen; so hat es die Regierung in Berlin auch schon in anderen Fällen gehandhabt. Aber viel spricht dagegen, diese Entschädigung über Anwälte in Deutschland vermitteln zu lassen, die sich das Mandat beschafft haben wie amerikanische Schadenersatz-Jäger.

Ein afghanischer Beamter untersucht die Überreste eines Tanklasters nach dem Luftangriff im September. Die Zahl der Opfer - die Nato geht von maximal 142 aus - lässt sich nicht genau rekonstruieren. (Foto: Foto: AP)

Übrigens wurde bereits eine Entschädigung gezahlt. Die Regierung in Kabul hat den Angehörigen der Toten 2000 Dollar, jenen der Verletzten 1000 Dollar ausgehändigt. Solche Zahlungen werden überall im Land geleistet, wenn Zivilisten von den Koalitionstruppen getötet oder verletzt werden. Die Summen sind niedrig, die Zahlung entspricht dem Ehrenkodex der Paschtunen und vermittelt ein Gefühl von Gerechtigkeit, auch wenn die Nato noch keine einheitlichen Regeln bei Entschädigungen befolgt.

Fragwürdig ist indes die Rolle der Anwälte in Deutschland. Sie arbeiten mit Beweisen, die es gar nicht gibt. Weder die Zahl, noch die Rolle der Opfer lässt sich genau rekonstruieren. Die Nato geht von maximal 142 Toten aus, realistisch ist eine Zahl von etwa 100. Unklar wird bleiben, wer ein feindlicher Kämpfer war und wer nicht. Hier sind die Grenzen fließend: Wer sich rings um Kundus morgens in die Wahllisten eintragen lässt und damit als Freund der Regierung erscheint (wie es die Anwälte als Gesinnungs-Beleg anführen), kann als Feierabend-Taliban bei der Entführung eines Tanklastzuges helfen.

Nach dem Unglück wurden keine Spuren gesichert, es gab keine forensische Untersuchung, es fehlt jeder belastbare Beweis, der vor Gericht akzeptiert würde. Am Ende ist nicht auszuschließen, dass es um einzelne Fälle erbitterten Streit geben könnte. Der Streit würde auch nach Afghanistan getragen, wo die Aussicht auf das große Geld schon viel Schaden angerichtet hat. Deshalb kann die Bundesregierung den Streit vor Gericht nicht suchen wollen, ihr bleibt die stille Einigung mit den Anwälten.

Damit aber hat sie sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen. Nicht nur hat sie es versäumt, schon vor Wochen von sich aus Schadenersatz anzubieten. Nun wird sie getrieben von der Kundus-Affäre, der Sorge um ein neues Afghanistan-Mandat und einer populistischen Stimmung gegen den Einsatz.

Es ist richtig, dass dieser schwerste kriegerische Akt der jüngsten deutschen Geschichte aufgearbeitet und gesühnt werden muss. Das aber sollte in Kundus und den Paschtunen-Dörfern selbst geschehen. Arbeitsbeschaffungs-Projekte und Befriedung - das wären jetzt die richtigen Signale. Sie würden dem Frieden in der afghanischen Bevölkerung mehr dienen als ein Ablasshandel für das schlechte Gewissen, der von Anwälten mit großem Gestus vermittelt wird.

© SZ vom 09.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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