Luftangriff in Afghanistan:"Die Gelüste der Taliban steigen"

Der ehemalige Bundeswehrgeneral und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Klaus Naumann über die Folgen des verheerenden Luftangriffs in Afghanistan, sich selbst disqualifizierende Bündnispartner - und die steigenden Gelüste der Taliban.

Sebastian Gierke

General a. D. Klaus Naumann, 70, war von 1996 bis 1999 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Zuvor war er Generalinspekteur der Bundeswehr.

Luftangriff in Afghanistan: General a. D. Klaus Naumann

General a. D. Klaus Naumann

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Naumann, wie genau können Tanklaster, wie jetzt in Afghanistan geschehen, bombardiert werden? Oder anders gefragt: Wie groß ist die Gefahr von zivilen Opfern, wenn man zwei Tanklaster aus der Luft bombardiert?

Klaus Naumann: Die Bombardierung mit den verwendeten GPS-gesteuerten Bomben kann mit großer Genauigkeit durchgeführt werden. Unbeteiligte, die sich in der Nähe explodierender Benzintanker aufhalten, kommen vermutlich immer zu Schaden. Deswegen hat Oberst Klein ja die Einschätzung der Piloten angefordert, hat deren Bilder überprüft und zusätzlich einen Informanten vor Ort um Bestätigung gebeten, dass die Menschen im Zielgebiet Taliban oder Unterstützer sein - und erst danach den Einsatz freigegeben.

sueddeutsche.de: Es gibt für Afghanistan eine sogenannte Luftschlag-Doktrin. Sie gibt klar vor, dass im Zweifel nicht aus der Luft bombardiert werden soll. Wurde diese Doktrin im Fall des Angriffs auf die Tanklaster nicht verletzt?

Naumann: Das wird gegenwärtig von der Nato geprüft, eine Antwort ist daher zurzeit nicht möglich.

sueddeutsche.de: Es heißt, die Bilder, die vor dem Angriff gemacht wurden, hätten gezeigt, dass alle Menschen um die Laster herum bewaffnet gewesen wären. Ist das auf solchen Aufklärungsbildern so genau auszumachen?

Naumann: Die Bildqualität ist für geübte Betrachter relativ gut, allerdings können witterungs- und tageszeitbedingt Einschränkungen auftreten.

sueddeutsche.de: Was halten Sie davon, dass Verteidigungsminister Franz Josef Jung erst tagelang darauf bestand, dass nur feindliche Taliban getötet wurden - und er jetzt davon abrücken muss. Inzwischen hat auch die Nato den Tod von Zivilisten eingeräumt.

Naumann: Der Minister verließ sich auf eine ihm vorliegende, als zuverlässig bewertete Einschätzung.

sueddeutsche.de: Wie bewerten sie die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums und des Ministers Jung?

Naumann: Sicherlich verbesserungsfähig, aber das dürfte in solchen Lagen stets der Fall sein. Wichtig aber ist, dass man aus dem Vorfall die Lehre zieht, dass nur rückhaltlose und sofortige vollständige Information ermöglicht, die Diskussion kontrolliert zu gestalten.

sueddeutsche.de: Hat sich jetzt für die deutschen Soldaten in Afghanistan die Situation verschlechtert, die ja bisher mit Erfolg die neue Strategie des neuen US-Befehlshabers McChrystal, nämlich Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen, durchgesetzt haben?

Naumann: Eine Verschlechterung ist zumindest örtlich nicht auszuschließen. General McChrystals sofortige Reaktion gegenüber der afghanischen Bevölkerung kann aber helfen, die Auswirkungen zu begrenzen.

"Kein Grund zur Beunruhigung"

sueddeutsche.de: Einige Kritiker des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr behaupten, dass jetzt die Gefahr von Racheaktionen der Taliban nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Deutschland gewachsen sei.

Luftangriff in Afghanistan: Afghanische Soldaten bewachen einen ausgebrannten Tanklastwagen.

Afghanische Soldaten bewachen einen ausgebrannten Tanklastwagen.

(Foto: Foto: AP)

Naumann: Es ist in meinen Augen Spekulation, zusätzliche Gefahr anzunehmen. Die Gelüste der Taliban steigen sicher. Die Frage ist, ob sie die Fähigkeiten haben. Das werden unsere Sicherheitsorgane beobachten und alles zum Schutz unserer Bevölkerung Notwendige tun. Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung.

sueddetusche.de: Hat man sich in Deutschland zu lange selbst belogen, indem man sagte: Im Süden wird Krieg geführt, dort wird die "Drecksarbeit" erledigt - und wir im Norden machen die Aufbauarbeit, leisten Hilfe für die Selbsthilfe?

Naumann: Seitens der Regierung bestand wohl immer Klarheit, dass der Auftrag in Afghanistan stets aus drei Elementen besteht: Schaffen von Sicherheit, in der Regel durch Niederkämpfen von Aufständischen; Aufbau in der so geschaffenen sicheren Zone; Sicherung des Aufbaus gegen erneute Übergriffe. Die Nato hat deshalb immer von einem Kampfauftrag gesprochen und dem hat Deutschland schon unter Rot-Grün zugestimmt. In der Vermittlung dieser Entscheidung haben klare Worte viel zu lange gefehlt, umso erfreulicher die klare Sprache der Kanzlerin bei ihrer Regierungserklärung.

sueddeutsche.de: Angela Merkel hat die Kritik von Nato-Verbündeten an dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff scharf zurückgewiesen.

Naumann: Damit hat sie völlig recht und ich hoffe, dass den Außenministern Frankreichs und Luxemburgs die Rede der Kanzlerin in Reaktion auf deren unerträglich törichte Äußerungen vorgelegt wird.

sueddeutsche.de: Wieso ist die Kritik an Deutschland von den Bündnispartnern jetzt so harsch?

Naumann: Die Außenminister der EU haben ohne jede Sachkenntnis Vorverurteilungen abgegeben - und sich damit selbst disqualifiziert.

sueddeutsche.de: Nach Ansicht deutscher Militärs ist der Bericht der Washington Post , in dem Oberst Klein Versagen und den deutschen Soldaten Feigheit vorgeworfen wird, eine Retourkutsche für die Kritik, die die Deutschen am Vorgehen der US-Militärs geübt haben. Sehen Sie das auch so?

Naumann: Die Kritik in ausländischen Medien mag zum Teil so harsch sein, weil deutsche Politiker, zum Teil auch Militärs und Medien, ja auch nicht zimperlich waren, wenn es um teilweise sehr unsachliche Kritik am harten Vorgehen von Verbündeten ging. Die deutsche Neigung, mit Phrasen wie "vernetzte Sicherheit" eine mangelnde Bereitschaft zu solidarischer Risikoteilung zu verdecken, hat im Bündnis zu Verstimmungen geführt. Jetzt ist Geschlossenheit der Nato vielleicht wichtiger denn je. Da Retourkutschen zu fahren, ist dumm und schädlich. Nutzen davon haben nur die Taliban.

sueddeutsche.de: Immerhin hatten die US-Militärs einem Journalisten gestattet, an den Aufklärungsarbeiten zu dem Zwischenfall direkt teilzunehmen - was ja kein gewöhnliches Vorgehen in einem solchen Fall ist.

Naumann: An solchen Untersuchungen über die Entscheidungen eines unterstellten Truppenführers Journalisten teilnehmen zu lassen, ist ein miserabler Führungsstil. So schafft man kein Vertrauen, aber ohne Vertrauen kann man in dieser Lage nicht führen. Auch Wertungen öffentlich abzugeben oder indirekt abgeben zu lassen, ist schlechter Stil. Das fällt unter die zu Recht kritisierten Vorverurteilungen. Der Kommandeur der Isaf hat mit seinem Verhalten gezeigt, dass er als Truppenführer noch besser werden kann und muss.

sueddeutsche.de: Besteht in der heißen Phase des deutschen Wahlkampfs die Gefahr, dass von der Politik Entscheidungen getroffen werden, die dem militärischen Engagement in Afghanistan schaden?

Naumann: Die Frage stellt sich nach der Debatte im Bundestag nicht mehr. Von einer bedauerlichen Ausnahme abgesehen, haben unsere Parteien mit Augenmaß und Würde reagiert. Die Aufgabe, Mehrheiten für den Einsatz in Afghanistan zu gewinnen, bleibt. Sie muss nach der Wahl erneut angegangen werden.

sueddeutsche.de: Was müsste die Politik Ihrer Ansicht nach jetzt tun? Ein überwiegender Teil der Deutschen lehnt den Einsatz in Afganistan ab.

Naumann: Man muss erklären und verdeutlichen, dass man die Strategie ständig überprüft und anpasst. Forderungen nach einer Exit-Strategie sind töricht, denn die gibt es längst. Aber zuerst muss das Ziel erreicht werden: Stabilität in Afghanistan, gewährleistet durch die Afghanen.

sueddeutsche.de: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat einen Rückzug aus Afghanistan bis 2015 gefordert. Ist das realistisch?

Naumann: Mich würde interessieren, ob er diesen Termin überzeugend begründen kann. Ich halte jeden öffentlich genannten Termin für falsch. Er ist entweder Anreiz für die Taliban, die Anwesenheit der Nato einfach auszusitzen - oder er verstärkt die Neigung der Regierung Karsai, sich im Bewusstsein anhaltender Hilfe aus dem Ausland zurückzulehnen und wenig zu tun. Geboten ist Druck auf Karsai, damit der Aufbau von Polizei und Armee beschleunigt und energisch gegen die Drogenmafia vorgegangen wird. Erst wenn hier Ergebnisse vorliegen, kann man festlegen, wann die Mission beendet wird.

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