Tod von Samir Kuntar:Israels langer Arm der Rache

Boys inspect a site that was hit by an Israeli strike, killing a Lebanese militant leader Samir Qantar, in the Damascus district of Jaramana

Tod in den Trümmern: In diesem Wohnhaus in Damaskus starb der Terrorist Samir Kuntar bei einem Luftangriff.

(Foto: Omar Sanadiki/Reuters)
  • Bei einem Angriff auf einen Vorort von Damaskus kommt unter anderem Samir Kuntar ums Leben.
  • Der im Libanon geborene Terrorist wurde von der Hisbollah gefeiert, zeigte sich mit al-Assad und Ahmadinedschad - und wurde von Israel und den USA gesucht. Er soll auf den Golanhöhen Terrorzellen aufgebaut haben.
  • In Israel wurde Kuntar durch den brutalen Überfall einer Familie 1979 zur berüchtigten Berühmtheit.

Von Peter Münch

Damaskus um kurz nach zehn am Samstagabend: In einem südlichen Vorort der syrischen Hauptstadt schlagen Raketen in ein Wohnhaus ein, das sechsstöckige Gebäude wird zerstört, aus den Trümmern werden Tote und Verletzte gezogen. Die Erklärung für diesen Vorfall kommt kurz darauf aus dem benachbarten Libanon. "Flugzeuge des zionistischen Feindes" hätten vier Raketen auf das Gebäude abgefeuert, heißt es in einer Verlautbarung der schiitischen Hisbollah-Miliz. "Samir Kuntar starb zusammen mit syrischen Zivilisten als Märtyrer." Es folgt eine Eloge auf den Mann, der als Terrorist in der arabischen Welt zur Legende wurde. In Israel dagegen ist Genugtuung zu hören über den Tod eines Erzfeindes.

Der nächtliche Überraschungsangriff hat das Leben eines Kämpfers ausgelöscht, dessen Name gleich mehrfach in die blutige Geschichte des Nahostkonflikts eingegangen ist - als Kindermörder 1979, als Protagonist eines Gefangenenaustauschs 2008 und als von höchsten Stellen umworbene Terror-Celebrity in den Jahren danach.

Es ist kaum zu erwarten, dass sich Israel offiziell zum Angriff auf Kuntar bekennt, die Regierung in Jerusalem pflegt in solchen Fällen seit jeher eine Politik der Ambiguität. Doch die Aktion passt gleich in zweifacher Weise ins israelische Muster: Zum einen hat Premier Benjamin Netanjahu stets klargemacht, dass er zum Eingreifen in Syrien bereit sei, wenn "rote Linien" überschritten würden. Das hat in den vergangenen drei Jahren zu einer Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche Waffenkonvois geführt, mit denen Kriegsgerät aus Syrien in die Depots der auf Seiten des Assad-Regimes kämpfenden Hisbollah geschmuggelt werden sollte. Zum anderen gehört es zur israelischen Staatsräson, Terroristen mit langem Arm und langem Atem zu verfolgen.

Berüchtigt für ein Terrorkommando am Strand von Naharija

Dies haben die jahrelang vom Mossad gejagten Olympia-Attentäter von München mit dem Leben bezahlt - und dies scheint nun auch Samir Kuntars Schicksal besiegelt zu haben. In Israel ist er berüchtigt für eine Bluttat am 22. April 1979. Der damals erst 16-Jährige gelangte zusammen mit drei anderen Terroristen von Südlibanon aus mit einem Motorboot zum Strand von Naharija. Der Auftrag: israelische Geiseln zu nehmen. Zuerst wurde ein Polizist erschossen, dann drang das Kommando in die Wohnung der Familie Haran ein. Die Mutter und eine zweijährige Tochter konnten sich verstecken - das Mädchen erstickte, als ihm die Mutter aus Angst vor Entdeckung den Mund zuhielt. Den Vater und die vierjährige Einat verschleppten die Eindringlinge zum Strand. Dort wurde Danny Haran vor den Augen seiner Tochter erschossen, dann schlug Kuntar dem Kind mit dem Gewehrkolben den Schädel ein. Bei einem anschließenden Gefecht wurden zwei der Terroristen getötet, Kuntar und ein Mitkämpfer wurden gestellt.

Die Hisbollah stilisierte Kuntar zum Volkshelden

Ein israelisches Gericht verurteilte ihn zu einer lebenslangen Haftstrafe. Dem Vergessen entrissen und zum Volkshelden stilisiert wurde er während seiner Gefängniszeit von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah persönlich - obwohl Kuntar zuvor keinerlei Verbindung zu der schiitischen Miliz hatte. Er ist Druse und stammt aus einem Dorf bei Beirut, zu seiner Terrormission war er von der Palästinensischen Befreiungsfront (PFL) geschickt worden. Nasrallah aber machte seine Freilassung zu einem Kernanliegen der Hisbollah.

Nach fast 30 Jahren Haft kam Kuntar im Juli 2008 im Austausch für die Leichen der beiden israelischen Soldaten Ehud Goldwasser und Eldad Regev frei, die von der Hisbollah zwei Jahre zuvor verschleppt worden waren. Diese Entführung hatte den Libanon-Krieg des Sommers 2006 ausgelöst. Vermittelt worden war der Austausch vom damaligen BND-Agenten Gerhard Conrad, der vor gut einer Woche zum neuen Geheimdienstchef der EU ernannt wurde. Kuntars Rückkehr nach Libanon wurde damals als Staatsakt inszeniert samt Freudenfeiern und Feuerwerk. Nasrallah kündigte an, der Heimkehrer könne künftig "eine große nationale Rolle spielen". Kuntar selbst verkündete, dass er nun den Kampf gegen Israel fortführen wolle.

Released Lebanese prisoner Samir Kontar attends a rally at Ain al-Tineh village on the Syrian side in the Golan Heights

Samir Kuntar tötete 1979 einen Israeli und dessen Tochter.

(Foto: Khaled Al Hariri/Reuters)

In Folge wurde der Mann mit dem markanten Schnauzbart weniger in der Öffentlichkeit gesichtet, aber umso mehr auf Fotos an der Seite prominenter Gastgeber wie Nasrallah, dem syrischen Staatschef Baschar al-Assad oder dem früheren iranischen Präsidenten-Wüterich Mahmud Ahmadinedschad. Nach Angaben israelischer Sicherheitskreise wurde er nach Syrien entsandt, um Terrorzellen auf den Golanhöhen aufzubauen. Bestätigt wurde dies von der US-Regierung, die Kuntar in diesem Sommer auf ihre Terrorliste setzte.

Justizministerin "glücklich über die Nachricht" von Kuntars Tod

Vom Golan aus war es in der Vergangenheit immer wieder zu Angriffen auf Israel gekommen, die umgehend vergolten wurden. Samir Kuntars Tod markiert nun einen Erfolg für Israel. Justizministerin Ajelet Schaked, die sich als erstes Regierungsmitglied im Armeeradio äußerte, zeigt sich "glücklich über die Nachricht", vermied aber Hinweise, ob Israel den Luftangriff geflogen hat. Samar Haran, die bei dem Anschlag in Naharija ihren Mann und zwei Kinder verloren hatte, sprach von "historischer Gerechtigkeit". Eine Tochter des damals getöteten Polizisten sagte, sie sei "stolz auf den Staat Israel, der gute Arbeit geleistet" habe.

Zu einer ersten Vergeltungsaktion der Hisbollah kam es am Sonntagabend. Drei Katjuscha-Raketen, die in Libanon abgefeuert wurden, schlugen auf offenem Gelände im Norden Israels ein. Der Hisbollah-Fernsehsender Al-Manar warf syrischen Rebellengruppen vor, mit Israel kooperiert und Kuntars Unterschlupf verraten zu haben.

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