London:Je reicher, desto ärmer

London City Views As Stock Decline

Die neuen Hochhäuser in der City of London, dem Finanzviertel (v.l.): der "Walkie-Talkie", "The Cheesegrater" (Käsereibe) und "The Gherkin" (Gurke).

(Foto: Matthew Lloyd/Bloomberg)

Die Metropole zieht immer mehr wohlhabende Investoren aus aller Welt an. Das hat seinen Preis. Viele, die in der Stadt arbeiten, müssen nun in die Vororte ziehen - und die alten Viertel verlieren ihr Gesicht.

Von Björn Finke und Christian Zaschke

Jahrelang war da diese Baulücke mitten in Belsize Park. Es ist eines der schönsten Viertel im Nordwesten Londons, und doch war es hier lange nicht ganz so absurd teuer wie in den Nachbarvierteln. Das Zentrum von Belsize Park ist mit dreistöckigen, viktorianischen Häusern bebaut, deren stuckbesetzte Fassaden weiß in der Sonne leuchten. Dass der Gegend trotzdem eine gewisse Bodenständigkeit innewohnt, offenbart der zweite Blick. Die meisten Häuser sind nur zur Straße hin verputzt, an den Seiten zeigt sich das nackte Mauerwerk. Und dass die einfach verglasten Schiebefenster undicht sind, kann man tatsächlich sehen.

Normalverdiener können sich inzwischen ein Eigenheim nicht mehr leisten

Dass sich länger niemand fand, der die Baulücke füllen wollte, liegt an den strengen Vorschriften des Gemeinderats. Belsize Park ist ein denkmalgeschütztes Gebiet, wer hier baut, der baut weiße, dreistöckige Häuser im viktorianischen Stil mit Schiebefenstern. Vor knapp zwei Jahren fand sich ein Bauherr, der begann, vier Häuser in die Lücke zu setzen. Wenn sie fertig sind, werden sie exakt so aussehen wie alle anderen Häuser in der Gegend, aber sie werden brandneu sein und vermutlich sogar über dichte Fenster verfügen. Zwei der Häuser wurden in jeweils vier Wohnungen unterteilt, die für mehr als 2,5 Millionen Pfund pro Einheit angeboten wurden. Ein komplettes Haus sollte 10,5 Millionen Pfund kosten, etwa 14 Millionen Euro.

Selbst in London, wo die Löhne höher sind als im Rest des Vereinigten Königreichs, kann sich das kein Normalverdiener leisten. Die vier Häuser werden im Viertel als Zeichen dafür gewertet, dass mittelfristig auch Belsize Park als Wohnort für durchschnittliche Briten verloren ist.

Und Beispiele wie dieses lassen sich in London derzeit zuhauf finden.

Anders als in Deutschland ist es in Großbritannien eine Frage der kulturellen Identität, ein Eigenheim zu besitzen. Zur Miete wohnen Arme, Studenten und Ausländer. Möglichst früh versuchen junge Briten, einen Fuß auf die "property ladder" zu setzen, die Immobilien-Leiter. Die erste, kleine Wohnung wird üblicherweise nach der Heirat verkauft und mit dem Gewinn die Anzahlung für eine größere finanziert. Später kommt das Haus. Dieses Modell geht davon aus, dass die Immobilienpreise kontinuierlich steigen, und das hat jahrzehntelang bestens funktioniert. Mittlerweile aber sind die Preise in London so sehr außer Kontrolle, dass sich junge Leute den Einstieg in den Markt nicht mehr leisten können. Politiker zeichnen das Schreckensbild eines Großbritanniens der Mieter.

Weil in dem Thema großes emotionales Potenzial steckt, hat Premierminister David Cameron in dieser Woche eine neue Wohnungspolitik der Konservativen Partei angekündigt. Mieter von Wohnungen, die den Gemeinden oder den Wohnungsbaugesellschaften gehören, sollen diese deutlich verbilligt kaufen können. Cameron entwarf die Vision einer "Demokratie von Eigenheimbesitzern". Kritiker bemängeln jedoch, dass mit diesem Verkauf der staatlichen Sozialwohnungen die soziale Schere im Land noch weiter aufgehe, weil gerade die sichersten und bezahlbarsten Wohnungen vom Markt verschwänden.

Dass die Preise in London derart durch die Decke gehen, hat gleich mehrere Gründe. Zum einen spiegelt es die großen Ungleichgewichte in dem traditionell eher zentralistischen Land wider. Großbritannien hat sich von der Rezession nach der Finanzkrise prächtig erholt, im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im Königreich schneller als in jedem anderen großen Industrieland. Doch konzentriert sich der Boom vor allem auf London und die angrenzenden Regionen, in vielen abgehängten Gegenden spüren die Menschen wenig von den Segnungen des Aufschwungs.

Und das hat Folgen für den Häusermarkt. Der Durchschnittspreis einer Londoner Immobilie beträgt nach jüngsten Daten des Land Registry, des Grundbuchamts, 463 872 Pfund - im von Arbeitslosigkeit geplagten Nordosten Englands sind es nur 102 061 Pfund. Dort ist es also kein Problem, einen Schritt auf die Immobilien-Leiter zu setzen. Aber dort gibt es eben nicht so viele tolle Jobs und Hochschulen, Theater und Bars wie in der Kapitale.

Außerdem eignen sich Häuser in den siechen Industrieregionen nicht als Betongold - als sichere Geldanlage. Denn ein weiterer Grund für die exorbitanten Hauspreise in London ist, dass Reiche aus dem In- und Ausland dort gerne zugreifen. Vermögende Russen und Chinesen, Araber und Inder kaufen sich Luxus-Immobilien, um so ihre Millionen vor Turbulenzen in der Heimat zu schützen. Manchmal nutzen sie die schicken Wohnungen sogar selbst, als Zweit- oder Viertwohnsitz. Das Land lockt mit niedrigen Steuern für reiche Ausländer, vertrauenswürdigen Gerichten und exzellenten Schulen und Universitäten für den Nachwuchs. Schick einkaufen und weggehen kann man in London obendrein.

London ist ein Magnet. Für ausländische Investoren. Für hoch qualifizierte Arbeitnehmer, die einen Job im Bankenviertel oder bei einem der vielen Internet-Start-ups gefunden haben. Für Studenten. Bis 2050 soll die Einwohnerzahl nach Prognosen der Stadtverwaltung von 8,6 Millionen auf elf Millionen zulegen. Die brauchen ein Zuhause. Doch die strengen Regeln für geschützte historische Viertel erlauben es nicht, hübsche Altbau-Reihen etwa in Belsize Park abzureißen und durch günstige Wohnblöcke zu ersetzen. Die Hochhäuser in nicht geschützten Gegenden sind aber auch keine Lösung (siehe Bericht unten).

Daher fordern Immobiliengesellschaften, am Stadtrand, im sogenannten green belt, Häuser hochziehen zu dürfen - auf unbebauten Flächen, die als grüne Lunge für die Metropole dienen. Bürgermeister Johnson ist deren Erhalt aber wichtig, weswegen er solche Ansinnen abschmettert. Also steigen die Preise weiter. Weitere Viertel werden immer schicker werden, immer unerschwinglicher für viele Alteingesessene.

Besonders eindrücklich lässt sich die Veränderung Londons rund um die Caledonian Road beobachten, von den Anwohnern "Cally" genannt. Sie verläuft vom Bahnhof King's Cross nordwärts nach Holloway und galt jahrelang als Trennlinie zwischen dem vollends gentrifizierten Islington im Osten und der rauen Gegend im Westen. Mittlerweile hat sich jedoch auch die Gegend um King's Cross radikal gewandelt, Komplexe mit Luxuswohnungen sind entstanden, die Zeitungen Guardian und Observer haben sich hier niedergelassen.

Die Cally wirkt von alledem weitgehend unberührt, sie liegt wie ein Relikt des alten Londons inmitten des neuen Reichtums. Ende Februar radelte ein Teenager die Straße entlang und wurde ohne jeden Grund erstochen. Die Zeitungen fragten besorgt, ob vielleicht ein Zusammenhang bestehe zwischen einer immer schnelleren Stadtentwicklung und der in sinnlose Gewalt umschlagenden Wut der Menschen in Gegenden, die sich abgehängt fühlen.

Die Londoner sind zu einem Volk ausdauernder Pendler geworden

Wer seine Wohnung in den rauen Gegenden schon zu billigeren Zeiten gekauft hat, profitiert immerhin von den enormen Wertsteigerungen. Aber wer nur zur Miete wohnt oder wer nach dem Abitur zu Hause ausziehen will und eine eigene kleine Bleibe sucht, hat ein Problem: Er kann sich seine eigene Nachbarschaft nicht mehr leisten. Und muss immer weiter rausziehen, um etwas Bezahlbares zu finden - auch wenn seine Arbeitsstelle im Zentrum ist. Die Londoner sind daher ein Volk ausdauernder Pendler geworden.

Im schönen Belsize Park werden die vier grandios überteuerten, pseudo-viktorianischen Häuser in diesem Sommer fertig. Schon Anfang des Jahres teilte der Bauherr auf einem großen Plakat mit, man sei sehr stolz darauf, alle vier Häuser bereits deutlich vor Abschluss der Bauarbeiten komplett verkauft zu haben.

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