London:Die Dschihadisten von nebenan

London: Ein Polizistin und ein forensischer Mitarbeiter beim Betreten eines Hauses in Ilford im Osten von London, das im Rahmen des jüngsten Terroranschlags untersucht wird.

Ein Polizistin und ein forensischer Mitarbeiter beim Betreten eines Hauses in Ilford im Osten von London, das im Rahmen des jüngsten Terroranschlags untersucht wird.

(Foto: AFP)
  • Scotland Yard hat den Namen des dritten Attentäters von London veröffentlicht.
  • Nun ist klar: Zwei der Angreifer waren den Behörden längst als Islamisten aufgefallen.
  • Auch die Identität einiger Todesopfer ist bekannt - und ihre tragischen Geschichten.

Von Christian Zaschke, London

Scotland Yard hat am Dienstag auch den Namen des dritten Attentäters von London bekannt gegeben. Es handelt sich um den 22 Jahre alten Youssef Zaghba, Sohn einer italienischen Mutter und eines marokkanischen Vaters. Bereits am Montagabend hatte die Polizei die beiden anderen Täter als Khuram Butt, 27, und Rachid Redouane, 30, benannt. Butt wurde in Pakistan geboren und war britischer Staatsbürger. Redouane bezeichnete sich als marokkanisch-libysch.

Die drei Männer hatten am Samstagabend mit einem Lieferwagen Passanten auf der London Bridge angefahren. Anschließend liefen sie mit Messern bewaffnet zum nahegelegenen Borough Market, wo sie wahllos auf Menschen einstachen, die sich in Bars und Restaurants vergnügten. Sie töteten sieben Menschen und verletzten 48, viele schwer. 36 Opfer des Anschlags liegen noch immer im Krankenhaus, 18 befinden sich in einem kritischen Zustand. Die drei Attentäter wurden von der Polizei erschossen.

Innehalten von Truro bis nach Inverness

Um elf Uhr morgens beging Großbritannien am Dienstag eine Schweigeminute. Im gesamten Land hielten Menschen inne. In London standen sie im strömenden Regen, manche umarmten einander. Bürgermeister Sadiq Khan schwieg mit den Rettungskräften, die am Samstag im Einsatz waren. Zuvor hatte er eine durchaus laute Botschaft nach Washington gesandt: Ein Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump, der ihn nach dem Attentat in Twitter-Botschaften kritisiert hatte, sei unangemessen. Trump dürfe nicht der rote Teppich ausgerollt werden, sagte Khan.

Derweil laufen die Ermittlungen bezüglich möglicher Hintermänner weiter. Am Dienstag wurde ein 27 Jahre alter Mann im Stadtteil Barking festgenommen. Dort hatte der Attentäter Khuram Butt gewohnt. Eine Wohnung in Ilford, ebenfalls im Osten Londons gelegen, wurde in der Nacht zum Dienstag durchsucht. Bereits am Sonntag hatte die Polizei zwölf Menschen festgenommen, um sie zu befragen. Alle wurden inzwischen ohne Anklage entlassen.

Hätte die Polizei die Angreifer nicht im Blick haben müssen?

Im Falle von zweien der Attentäter stellt sich die Frage, ob die Polizei sie nicht im Auge hätte haben müssen. Youssef Zaghba arbeitete in einem Restaurant in London. Er versuchte nach Angaben italienischer Medien im März 2016, nach Syrien zu gelangen, mutmaßlich um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Der IS hat den Londoner Anschlag für sich reklamiert. Zaghba war den Behörden am Flughafen von Bologna aufgefallen, weil er lediglich ein Hinflugticket nach Istanbul vorweisen konnte und als Gepäck nur einen Rucksack dabei hatte.

Auf seinem Handy fand sich unter anderem das Video einer Massenenthauptung. Offenbar wurde damals auch die Wohnung von Zaghbas in Bologna lebender Mutter durchsucht. Ein italienisches Gericht entschied schließlich, dass nicht genügend Beweise vorlagen, um Zaghba des Terrorismus zu beschuldigen. Die italienischen Behörden schickten ihren britischen Kollegen nach eigenen Angaben im April 2016 ein Dossier über den Fall. Dennoch sei Zaghba nach Angaben von Scotland Yard weder für die Polizei, noch für den Inlandsgeheimdienst MI 5 eine "Person von Interesse" gewesen. Khuram Butt lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in London. Zwischen 2012 und 2015 arbeitete er in einer Filiale des Schnellrestaurants Kentucky Fried Chicken. Anschließend erhielt er sieben Monate lang Arbeitslosengeld, bevor er einen Job bei der Londoner U-Bahn annahm. Zuletzt hatte er als Wachmann gearbeitet. Den Behörden war er seit 2015 bekannt. Damals hatte ein Nachbar sich bei einer Anti-Terror-Hotline gemeldet und berichtet, Butt habe sich radikalisiert.

Mark Rowley, stellvertretender Chef von Scotland Yard, sagte, es habe Ermittlungen gegeben. Diese hätten aber keine Hinweise darauf ergeben, dass Butt ein Attentat plane. Eine weitere Nachbarin hatte sich an die Polizei gewandt, weil sie Sorge hatte, dass Butt ihre Kinder indoktriniere. Zudem trat Butt in einer Dokumentation namens "Die Dschihadisten von nebenan" des Senders Channel 4 auf, in der er seine Unterstützung für den Hassprediger Anjem Choudary kundtat. Choudary sitzt seit 2016 in Haft, weil er Terroristen für den IS anwerben wollte.

Eine Kanadierin starb in den Armen ihres Verlobten

Über Rachid Redouane gibt es bisher nur wenige Informationen. Er heiratete im Jahr 2012 eine Britin. Das Paar lebte in Dublin, wo er als Konditor arbeitete. Die beiden haben eine 18 Monate alte Tochter. Zuletzt hatte sich Redouane von der Frau getrennt und wie Butt in Barking gelebt. Für die drei Attentäter wird es keine islamische Bestattung geben. Mehr als 130 Imame verweigerten den Attentätern das Totengebet Salat al-Janaaza, bei dem um Vergebung für die Taten des Verstorbenen und seinen Eintritt in das Paradies gebetet wird. Man sei "geschockt und abgestoßen" vom Verhalten der Attentäter, deren "unhaltbares Handeln den hohen Lehren des Islam widerspricht", heißt es in einer Erklärung des britischen Muslimrates (MCB). Mittlerweile ist auch die Identität von einigen der Toten bekannt. Die 30 Jahre alte Kanadierin Chrissy Archibald war der Liebe wegen nach London gezogen. Sie wurde von den Terroristen angefahren und starb in den Armen ihres Verlobten Tyler Ferguson auf der London Bridge. Die 28 Jahre alte Australierin Kirsty Boden arbeitete als Krankenschwester in London. Als sie sah, was vor sich ging, rannte sie nicht weg, sondern an den Ort des Geschehens, um zu helfen. Sie bezahlte mit ihrem Leben. Vier Polizisten wurden verletzt, von denen sich einer in kritischem Zustand befindet. Unter den Verletzten sind auch zwei Deutsche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: