London:Den Zocker Cameron hat das Glück verlassen

David Cameron hat den Brexit möglich gemacht - jetzt kostet er ihn das Amt. Sein politisches Erbe? Ein gespaltenes Land - und ein verunsicherter Kontinent. Eine Karriere in Bildern.

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Prime Minister David Cameron leaving 10 Downing Street

Quelle: Facundo Arrizabalaga/dpa

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Er wolle auch im Fall eines Brexit im Amt bleiben, hatte Premier David Cameron noch wenige Tage vor dem Referendum mitgeteilt. Ob er wirklich daran geglaubt hat? Auch ihm muss klar gewesen sein, dass die Briten am Donnerstag nicht nur über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU abstimmten, sondern auch über sein politisches Schicksal. Der Sieg des Leave-Lagers ist auch eine persönliche Niederlage für Cameron. Am Freitag zog er dann doch die wohl unvermeidliche Konsequenz und kündigte seinen Rücktritt an. Es ist das (vorläufige) Ende einer politischen Karriere, in der Cameron oft am Boden schien - um am Ende doch immer zu gewinnen.

Diesmal nicht. Cameron hat sein Glück überstrapaziert - und wie nebenbei die Einheit des Vereinigten Königreichs und Europas aufs Spiel gesetzt.

Contender for leadership of Britain's opposition Conservative party Cameron arrives at the House of Commons in Westminster in London

Quelle: Stephen Hird/Reuters

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2005 waren die britischen Konservativen, mal wieder, am Ende. Die Labour Party von Tony Blair hatte zum dritten Mal in Folge die britischen Unterhauswahlen gewonnen, und die Tories suchten nicht nur nach einem neuen Vorsitzenden, sondern auch nach einer neuen Identität. Unter den Bewerbern war auch der 39-jährige David Cameron. Er war nur Eingeweihten ein Begriff, galt als chancenlos - und gewann.

Cameron, leader of Britain's Conservative Party stands on top of Scott-Turner glacier on Svalbard

Quelle: Andrew Parsons/Reuters

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Cameron überzeugte die Konservativen mit einer mitreißenden Rede, in der er einen "modernen, mitfühlenden Konservatismus" einforderte. Die Delegierten waren begeistert und wählten Cameron völlig überraschend zum neuen Vorsitzenden, der zugleich eine neue Generation konservativer Politik verkörpern sollte. Cameron versprach, sich auch verstärkt für Themen wie Umweltschutz einzusetzen - das Foto zeigt Cameron, zu diesem Zeitpunkt bereits Vorsitzender der Tories, bei einer Norwegen-Reise, auf der er sich über die Folgen des Klimawandels informieren wollte.

Britain's incoming Prime Minister Cameron waves in front of 10 Downing Street in London

Quelle: Toby Melville/Reuters

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Das etwas gequälte Siegerlächeln lässt es erahnen: 2010 zog David Cameron als neuer Premier in Downing Street Nr. 10 ein (auf dem Bild ist er mit seiner Frau Samantha zu sehen) - und wirkte dabei doch fast wie ein Verlierer. Cameron hatte bei der Wahl die absolute Mehrheit verfehlt und musste sich als erster Premier seit dem Zweiten Weltkrieg einen Koalitionspartner suchen. Diese Hypothek begleitete Cameron während seiner gesamten ersten Amtszeit.

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Quelle: Toby Melville/AP

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Nicht allein der Makel der verpassten absoluten Mehrheit machte Cameron zu schaffen. Häufig musste sich der Premier heftiger persönlicher Angriffe erwehren, auch und gerade aus der eigenen Partei. Camerons Unbeliebtheit lag nicht zuletzt an seiner elitären Herkunft. Er wuchs auf einem ländlichen Anwesen in der Nähe von London auf, mit Pool und Tennisplatz. Sein Vater Ian war ein gut verdienender Börsenmakler (im Zuge der Enthüllungen rund um die Panama Papers kam der Verdacht auf, er habe reichen Briten bei der Steuervermeidung geholfen). Cameron besuchte als Kind ein Internat, auf dem auch zwei Söhne der Queen ausgebildet worden waren; später ging er nach Eton - wo er auf einen gewissen Boris Johnson traf. In Oxford studierte Cameron Politik, Philosophie und Wirtschaft. Dort gehörte er auch dem 200 Jahre alten Bullingdon Club an, der für seine ausgiebigen Saufgelage berüchtigt ist (ebenfalls Mitglied im Club: Boris Johnson). Cameron soll sich von derartigen Akitivitäten aber ferngehalten haben. Cameron schloss sein Studium übrigens mit der Bestnote ab, Johnson beendete sein Altphilologie-Studium nur mit einer Zwei.

David Cameron

Quelle: Andy Rain/dpa

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Nicht zum ersten Mal versuchte Cameron in der Brexit-Debatte, die Briten in einer historischen Entscheidung von einer Scheidung abzuhalten. Vor zwei Jahren galt sein Werben den Schotten, die in einem Referendum über ihren Verbleib im Vereinigten Königreich abstimmten - und sich gegen die Abspaltung entschieden. Cameron blieb das Schicksal erspart, als der Premier in die Geschichte einzugehen, unter dessen Regierung die jahrhundertealte Union zerbricht. Für den Premier, dessen Familie väterlicherseits aus Schottland stammt, war das Ja der Schotten zu Großbritannien ein Erfolg.

Dass es Cameron nun nicht gelang, die Briten in der EU zu halten, bringt die schottische Frage erneut aufs Tableau. Schon in den nächsten Jahren wird es wohl eine Neuauflage des Referendums geben - nur, dass die Befürworter einer Unabhängigkeit dieses Mal ein gewichtiges Argument mehr haben. Cameron könnte also doch noch als der Premier in die Geschichte eingehen, der ein europäisch integriertes Großbritannien übernahm und ein isoliertes Kleinbritannien zurücklässt. Und wer weiß: Vielleicht stellt sich nach dem Brexit nicht nur die schottische, sondern auch die irische Frage noch einmal ganz neu. Auf der grünen Insel verläuft künftig die EU-Außengrenze.

Conservative party wins general election

Quelle: Facundo Arrizabalaga/dpa

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Bei den Wahlen im Mai 2015 gelang Cameron ein Befreiungsschlag, den niemand für möglich gehalten hatte. Die Konservativen errangen die absolute Mehrheit im Parlament, zum ersten Mal seit 1992. Cameron konnte den Makel seiner ersten Wahl endgültig abschütteln, der angeschlagene Premier auf Zeit verwandelte sich über Nacht in einen strahlenden Sieger. "Das ist der süßeste Sieg dieser Erde", frohlockte Cameron am Morgen nach der Wahl. Seinen Triumph verdankte er übrigens auch jenem Versprechen, das die Briten am Donnerstag einlösen durften: Im Fall seiner Wiederwahl, hatte Cameron angekündigt, werde er das Vereinigte Königreich über die Mitgliedschaft in der EU abstimmen lassen.

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Quelle: Yves Herman/AFP

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David Cameron hatte nie ein Interesse daran, aus der EU auszutreten. Doch sah er sich immer wieder genötigt, dem Druck der Euroskeptiker innerhalb der eigenen Partei nachzugeben, um sich Luft zu verschaffen. Schon 2005, damals noch als Bewerber um den Parteivorsitz der Tories, versprach Cameron, die Partei aus der EVP-Fraktion im Europaparlament zu führen. Dieses Versprechen löste er 2009 ein. Auch das Referendum über die EU-Mitgliedschaft beraumte Cameron nicht zuletzt aus innenpolitischen, ja innerparteilichen Gründen an. Zugleich nutzte er einen möglichen Brexit als wirksame Drohkulisse, um in Brüssel einen günstigen Deal für das an Sonderrechten ohnehin reiche EU-Mitglied Großbritannien herauszuschlagen - im Bild ist er mit EU-Ratspräsident Donald Tusk (li.) und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu sehen. Der Deal sollte die Briten vom Bleiben überzeugen - doch dieses Mal lag Cameron falsch.

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Quelle: Gareth Fuller/AFP

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Seit den erfolgreichen Verhandlungen mit der EU vollzog Cameron den bemerkenswerten Wandel vom EU-Kritiker zum entschlossenen EU-Befürworter. "Wir haben die Wahl zwischen Sicherheit und einem Sprung ins Ungewisse", warnte Cameron im März. Bis zuletzt tourte er duch das Land, um die Briten vom Bleiben zu überzeugen. Womöglich war es ein Fehler, dass Cameron, ebenso wie die meisten anderen EU-Befürworter, hauptsächlich wirtschaftlich-rational argumentierte - und die emotionale Seite dem Brexit-Lager überließ.

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Quelle: Stefan Rousseau/AFP

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Die Debatte über den Verbleib Großbritanniens spitzte sich in den letzten Wochen auf ein Duell zu: David Cameron gegen Boris Johnson. Bis zuletzt hatte Cameron gehofft, dass der so exzentrische wie einflussreiche Ex-Bürgermeister von London sich der Remain-Bewegung anschließen würde - vergeblich. In noch weit größerem Maße als Cameron ist Johnson bereit, das Prinzip dem Kalkül unterzuordnen. Am 21. Februar teilte er dem Premier per SMS mit, dass er auf der anderen Seite stehen werde. Das Duell der ungleichen Erzrivalen, die sich einst im Internat in Eton kennengelernt hatten und in Oxford gemeinsam dem Bullingdon Club angehörten, war eröffnet. Johnson ist jetzt der erste Anwärter auf Camerons Nachfolge.

Britain's Prime Minister David Cameron walks from Parliament to St Margaret's Church for a service of rememberance for Labour MP Jo Cox who was shot and stabbed to death last week outside her constituency surgery, in Westminster

Quelle: Toby Melville/Reuters

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Geschockt und tief bewegt zeigte sich Cameron nach dem Tod von Jo Cox. Die Labour-Abgeordnete, die sich für einen Verbleib des Landes in der EU ausgesprochen hatte, war nach einem wohl politisch motivierten Angriff gestorben - nach der Tat soll der Angreifer "Britain first" gerufen haben; vor Gericht sagte er, sein Name sei "Tod den Verrätern, Freiheit für Großbritannien". Viele Beobachter bewerteten den Angriff als mittelbare Folge einer völlig enthemmten Debatte. "Der Tod von Jo Cox ist eine Tragödie", schrieb Cameron bei Twitter. "Sie war ein engagiertes und mitfühlendes Mitglied des Parlaments. Meine Gedanken sind bei ihrem Ehemann Brendan und ihren beiden Kindern."

David Cameron Resigns After EU Referendum Result

Quelle: Getty Images

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Unmittelbar, nachdem das Ergebnis des Referendums feststand, zog Cameron die Konsequenzen. Gemeinsam mit seiner Frau trat er am Freitagmorgen vor die Presse und kündigte seinen Rücktritt an - aber nicht sofort. Er sei "nicht mehr der richtige Kapitän", sagte Cameron. Doch wolle er noch drei Monate im Amt bleiben, "um das Schiff auf Kurs zu halten". Das formale Austrittsgesuch bei der EU einzureichen, diese Aufgabe will Cameron seinem Nachfolger überlassen.

Es war so etwas wie Camerons letzter Versuch, Verantwortung zu übernehmen, nachdem er Europa und Großbritannien reichlich verantwortungslos einer ungewissen Zukunft entgegengeführt hat. Die europäischen Spitzenpolitiker dankten es ihm nicht - im Gegenteil. Angela Merkel verlor kein Wort zum Rücktritt des Premiers, und das war noch die freundlichste Reaktion. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte deutlich, dass er den Scheidungsbrief gerne sofort hätte. Und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezeichnete Camerons Abgang auf Raten als "skandalös". Dieser habe bereits "den ganzen Kontinent verhaftet für seine taktischen Verhandlungen", als er das Referendum anberaumte, so Schulz. Nun werde "zum wiederholten Male ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen".

Camerons Plan sah wohl so aus: Er wollte derjenige Premier sein, der das schwierige Verhältnis der Briten zur EU ein für allemal klärt. Das ist ihm gelungen - nur ganz anders, als er sich das vorstellte. Cameron wird, Stand jetzt, als der Zocker in die Geschichte eingehen, der die EU aus parteitaktischen Erwägungen in eine historische Krise stürzte. Und wenn es ganz schlecht läuft, wird es in ein paar Jahren vielleicht heißen, er sei der Premier gewesen, der das Ende des Vereinigten Königreichs und der Europäischen Union einläutete.

© SZ.de/pamu/ghe/ewid
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