Lobbyismus:Viren im Ministerium

Vertreter von Firmen arbeiten in Ministerien an Gesetzen mit, die eigentlich helfen sollen, eben jene Firmen zu kontrollieren. Ein neues Buch dokumentiert den ganz alltäglichen Lobbyismus der "Leihbeamten". Der Bundesrechnungshof ist eingeschaltet.

Daniel Steinmaier, Berlin

Christian Hauser fegt die Lobbyisten aus den Ministerien. Zumindest symbolisch. Der junge Lehramtsstudent steht vor dem Bundestag in Berlin und kehrt mit einem Besen energisch kleine Kartons über eine weiße Linie. Auf den Kartons sind Firmenlogos aufgeklebt: von Eon, BASF, Siemens und vielen andere. "Die Linie symbolisiert eine Bannmeile für die Lobbyisten solcher Firmen", sagt Heidi Klein, Vorsitzende der Initiative "Lobbycontrol". "Wir wollen, dass die Lobbyisten aus den Ministerien gefegt werden" - zurück in die Lobby, in die Eingangshalle, wo sie hingehörten.

Lobbyismus: Autoren des Buches Sascha Adamek (l.) und Kim Otto.

Autoren des Buches Sascha Adamek (l.) und Kim Otto.

(Foto: Foto: ddp)

Für ihre kleine symbolische Aktion vor dem Bundestag bekommt Lobbycontrol die Aufmerksamkeit mehrerer Fernsehteams. "Diese Resonanz haben wir dem Bundesrechnungshof zu verdanken", sagt Dieter Plehwe von Lobbycontrol; die Prüfer haben jetzt bestätigt, was Lobbycontrol schon lange anprangert: Dass in den deutschen Ministerien Mitarbeiter von Konzernen und Wirtschaftsverbänden als sogenannte Leihbeamte tätig sind. "Diese Leihbeamten schreiben dort an den Gesetzen mit, die ihre Konzerne kontrollieren sollen", sagt Heidi Klein. "Da wird der Bock zum Gärtner gemacht."

Die Aufklärung über dieses Leihbeamtentum sei vor allem den beiden Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto zu verdanken, erwähnt Plehwe von Lobbycontrol. Adamek und Otto haben für das TV-Magazin "Monitor" Fälle recherchiert, bei denen Wirtschaftsvertreter in den Ministerien mitgearbeitet haben. In ihrem Buch "Der gekaufte Staat", das sie am heutigen Freitag auf einer Pressekonferenz vorstellten, haben sie viele solcher Fälle zusammengefasst.

Etwa den Fall eines BASF-Mitarbeiters, der bei einer Chemikalienverordnung der EU mitwirkte. Diese Chemikalienverordnung mit dem Namen "REACH" sollte dafür sorgen, dass die Industrie gefährliche Stoffe in Kleidung, Möbeln und anderen Waren offenlegen muss. Das wäre für die chemische Industrie teuer geworden. Deshalb, so die Autoren Adamek und Otto, habe die chemische Industrie einen Inside-Lobbyisten eingesetzt, der drei Jahre im Industriekommissariat der EU arbeitete, aber weiterhin bei BASF angestellt gewesen sei. Sein Arbeitsgebiet sei die Ausgestaltung der Chemikalienverordnung REACH gewesen.

300 Leihbeamten

Aber der Fall ist damit noch nicht zu Ende. Adamek und Otto berichten, anschließend habe derselbe BASF-Beschäftigte als externer Mitarbeiter im Bundeswirtschaftsministerium weitergearbeitet. Und auch hier wieder "an den Giftstofftestverfahren, die sein Arbeitgeber am liebsten ganz verhindert hätte", schreiben die Autoren. In den meisten Punkten habe sich die Chemielobby dann gegen den Verbraucherschutz durchgesetzt. Diesen Fall habe der Bundesrechnungshof geprüft und auch die Aussagen bestätigt, sagen die Autoren.

In einem anderen Fall, den der Bundesrechnungshof ebenfalls bestätigt haben soll, hatte eine Juristin im Bundesfinanzministerium am "Gesetz zur Modernisierung des Investmentwesens" mitgearbeitet, die von der Finanzlobby BVI bezahlt wurde. Das Bundesfinanzministerium habe bei der Legalisierung von Hedgefonds "seine Pforten weit für Inside-Lobbyisten geöffnet", schreiben die Autoren in ihrem Buch "Der gekaufte Staat". Aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes schließen sie, dass 300 solcher Leihbeamten in den Ministerien bei der Gesetzesformulierung mitmischten.

"Ich bin überrascht, wie weit das geht", sagt der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, den die Autoren zu ihrer Buchvorstellung eingeladen haben: "Ich habe das Problem unterschätzt." Hauptproblem sei, so Lauterbach, dass die Abgeordneten, die über die in den Ministerien vorbereiteten Gesetze abstimmen, gar nicht wüssten, welche Interessen bei der Gesetzesformulierung im Spiel gewesen seien.

Würmer, Viren und Trojaner

Gesine Lötzsch von der Linken sitzt mit auf dem Podium. Nach ihren Angaben hatte sie schon 2003 Anfragen zum Leihbeamtentum bei der Regierung gestellt, aber keine wahrheitsgetreuen Antworten bekommen. Sie betont, Lobbyisten würden gleichsam "Würmer, Viren und Trojaner" in die Gesetze packen. Wenn der SPD-Fraktionschef Peter Struck sage, "unsere Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt", dann müsste man den Warnhinweis hinzufügen: Diesen Hinweis gab Ihnen die Rüstungsindustrie. Struck weist solche Anwürfe weit von sich.

Lauterbach gibt auch Auskunft dazu, wie es zu dieser "Unterwanderung des Staates" durch die Lobbyisten kommen konnte. Die rot-grüne Koalition habe die Idee gehabt, durch einen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft Bürokratie abzubauen. Volker Beck von den Grünen, der auch auf dem Podium sitzt, begründet dies damit, dass man eine "lebensnahe" Politik gewünscht habe, die der Praxis angemessen sei. Aber die von Kim Otto und Sascha Adamek geschilderten Zustände hätten mit dieser Idee nichts mehr gemein, betonen beide vehement.

"Das ist Implantieren von Interessenvertretern und kein Austausch", sagt der Grünen-Politiker Beck. Wenn man nur Austausch wolle, müsse man für Transparenz sorgen, damit Interessenvertreter auch als solche sichtbar seien. "Es muss auf den Visitenkarten stehen, dass sie externe Mitarbeiter sind, und im Internet muss das auch stehen", fordert Beck. Seine Partei habe dafür gesorgt, dass Nebeneinkünfte von Parlamentariern offengelegt werden müssten.

Heidi Klein von Lobbycontrol, die neben Beck auf dem Podium sitzt, sieht den Grünen-Politiker lange schief von unten an. "Offenlegung ist gut, aber das geht lange nicht weit genug!", sagt sie. "Transparenz allein reicht nicht, um die Demokratie vor dem Einfluss der Lobbyisten zu schützen." Ihrer Meinung nach braucht es klare Richtlinien, die dafür sorgen, dass Lobbyisten im Inneren der Ministerien nichts zu suchen haben.

"Der Staat kann die Interessenvertreter anhören", sagt sie, "die Gesetze formulieren soll er selbst."

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