Freilassung von Liu Xia:Ein Erfolg der deutschen Diplomatie

Liu Xia, Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, auf einem Plakat in Hong Kong

Liu Xia auf einem Banner im Hongkonger Victoria Park

(Foto: AP)

Dass Liu Xia nach Deutschland kommt, zeigt: Manchmal zahlt es sich tatsächlich aus, wenn eine demokratische Nation nicht allein den wirtschaftlichen Profit im Auge hat, sondern auch glaubhaft für Menschenrechte und Rechtsstaat einsteht.

Kommentar von Kai Strittmatter, Peking

Liu Xia ist frei. Und auf dem Weg nach Deutschland. Das ist zur Abwechslung einmal eine gute Nachricht. Erleichtert sein dürfen nun alle, die um die Poetin gefürchtet hatten, die Angst hatten, ihr könne das gleiche Schicksal drohen wie ihrem Mann, dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo vor ziemlich genau einem Jahr: der Tod im Gewahrsam des chinesischen Staates.

Es ging Liu Xia nicht gut zuletzt. Sie litt an Depressionen, war verzweifelt, sagte Freunden, der Tod scheine ihr nun leichter als das Leben. Deshalb dürfen sich ihre Freunde nun freuen: Liu Xia darf ans Licht, in ein freies Land. Sie wird in Deutschland alte Freunde wiedersehen, den Schriftsteller Liao Yiwu beispielsweise, der aus der Ferne - zunehmend besorgt - versucht hatte, ihr Mut zuzusprechen, sie am Leben zu halten.

Doch, es ist dies ein guter Tag. Aber nein, deshalb ist es noch lange kein gutes Ende, ein glückliches schon gar nicht. Liu Xia ist eine gebrochene Frau, die nun ein Leben antritt in einem ihr fremden Land. Ihr geliebter Mann ist tot, verstorben mit 61 Jahren in Gefangenschaft, an Leberkrebs, an einer Krankheit, deren tödliche Bedrohung Chinas Behörden viel zu spät einräumten - und deren Behandlung im Ausland sie dem Todkranken verwehrten.

Am 13. Juli 2017 wurde Liu Xiaobo zum ersten Friedensnobelpreisträger, der in Staatsgewahrsam starb, seit die Nazis 1938 Carl von Ossietzky diesem Schicksal auslieferten.

Liu Xia hatte Chinas KP da schon viele Jahre in Hausarrest gesperrt, ohne dass irgendetwas gegen sie vorgelegen, ohne, dass es jemals eine Anklage gegeben hätte. Ihr einziges Verbrechen war ihre Ehe mit, und ihre Liebe zu Liu Xiaobo. Dem Schriftsteller, der seine Wortgewalt ein Leben lang dazu eingesetzt hatte, in seinen Texten ein demokratisches und freies China zu beschwören, und der es so zum Staatsfeind Nummer eins in China gebracht hatte.

Der Bruder als Geisel

Der Satz "Liu Xia ist frei" stimmt bei genauem Hinsehen nur mit Einschränkungen. "Liu Xia ist frei" hatten die Propagandisten der Partei schon in den vergangenen Jahren immer wieder behauptet, wenn es mal einer gewagt hatte, nachzufragen nach der zerbrechlichen Frau, die in ihrer Wohnung in Peking mit sich selbst und ihrem Leid eingesperrt war und die von Tag zu Tag mehr zerfiel.

Der Zynismus und die Brutalität des Systems aber werden Liu Xia über ihre Abreise aus China hinaus begleiten, sie liegen über ihr wie ein Schatten, im Flieger jetzt, bei der Landung in Berlin heute Abend, in den Wochen und Monaten, die kommen.

Auch in Deutschland wird Liu Xia nicht vollkommen frei sein. Die Partei hat sich nämlich eine Geisel zurückbehalten, ihren Bruder Liu Hui, der 2013 schon einmal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war wegen angeblichen Wirtschaftsbetrugs: In Wirklichkeit sei das Sippenhaft, urteilten sämtliche Menschenrechtsorganisationen damals. Der Bruder Liu Hui ist heute auf freiem Fuß, aber Liu Xia weiß: Jedes falsche Wort von ihr in Deutschland kann ihn in China zurück in die Zelle bringen.

Die KP-Führung ist an diesem Dienstag nicht gnädiger geworden, sie handelt nach einer simplen Kosten-Nutzen-Rechnung. Warum sie Liu Xia gerade jetzt freigelassen hat? Beobachter verweisen auf den Handelskrieg mit Trump: China buhlt um die EU und besonders um Deutschland als Partner.

Keine Regierung hat so für Liu Xia gekämpft wie die in Berlin

Außerdem ist die KP nicht dumm: Sie weiß, dass zuletzt kaum etwas sie auf der Weltbühne so zynisch und grausam hat aussehen lassen wie ihr Umgang mit Liu Xia. Am Freitag steht der erste Todestag von Liu Xiaobo an. Möglicherweise ist die Freilassung heute auch ein Versuch, sich schnell noch ein Stück weit vom Pranger fortzustehlen.

Wenn neben Liu Xia und ihren Freunden heute noch jemand Grund hat zur Freude, dann sind das Bürgerrechtsaktivisten in aller Welt sowie die deutsche Diplomatie. Ja, auch die USA haben immer wieder nachgefragt nach dem Schicksal Liu Xias. Aber keine Regierung hat so sehr um die Rettung dieser Frau gekämpft wie die in Berlin, kein diplomatischer Dienst war dabei so hartnäckig wie der deutsche.

Vielleicht ist das überhaupt die beste Nachricht: dass es nicht nur kein Widerspruch ist, sondern sich tatsächlich auch auszahlen kann, wenn eine demokratische Nation draußen in der immer komplizierteren Welt nicht allein den wirtschaftlichen Profit im Auge hat, sondern zur gleichen Zeit glaubhaft für ihre Werte einsteht, für Menschenrechte und Rechtsstaat. Ja, man darf an diesem Tag auch wieder einmal stolz sein auf Deutschland.

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