Luftwaffenbasis Šiauliai:Litauen setzt im Luftraum auf Nato-Schutz

Luftwaffenbasis Šiauliai: Werbetour im Baltikum: Amerikanische Soldaten werden bei einer Übung von Bewohnern der litauischen Hauptstadt Vilnius begrüßt.

Werbetour im Baltikum: Amerikanische Soldaten werden bei einer Übung von Bewohnern der litauischen Hauptstadt Vilnius begrüßt.

(Foto: Petras Malukas/AFP)
  • Die baltischen Staaten registrierten über der Ostsee 150 Mal russische Flugzeuge, die weder ihre Flugpläne eingereicht, noch Transponder eingeschaltet hatten - dreimal mehr als 2013.
  • Der Flughafen Šiauliai ist Basis der Nato-Jäger für die Luftraumüberwachung über dem Baltikum - und Zentrum der litauischen Luftwaffe.
  • Als vor elf Jahren die ersten Nato-Flieger hierher kamen, waren viele misstrauisch. Heute würden die Litauer es wegen der Ukraine-Krise sehr begrüßen, wenn Nato-Truppen stationiert würden.

Von Florian Hassel, Šiauliai

Es dauerte nicht lange, bis Vito Cracas, Oberst der italienischen Luftwaffe, seinen ersten Einsatz fliegen musste. Cracas nimmt an einer Nato-Mission zur Überwachung des Luftraums über Estland, Lettland und Litauen teil; kaum eingetroffen, ertönte am Montag, wenige Tage vor dem gerade stattfindenden EU-Gipfel zur Ostpartnerschaft in Riga, der Alarm auf der Luftwaffenbasis Šiauliai in Litauen: ein unbekanntes Flugzeug über dem Meer. Minuten später waren Cracas und ein zweiter Pilot mit ihren Jagdflugzeugen hoch über der Baltischen See und sahen den unbekannten Flieger: ein russisches Transportflugzeug. Cracas' Kollege fotografierte das Flugzeug, dann kehrten sie zurück. "Mal sehen wir da oben zivile Flugzeuge, mal Jagdflugzeuge", sagt Cracas, dessen Kollegen seit Januar über dem Baltikum Patrouille fliegen. Seit die militärisch schwachen Balten 2004 der Nato beitraten, überwachen Jagdflieger anderer Nato-Länder den baltischen Luftraum.

Dreimal so viele russische Maschinen wie im Vorjahr

Im vorigen Jahr identifizierten Nato-Flieger über der Ostsee 150 Mal russische Flugzeuge, die weder ihre Flugpläne eingereicht, noch die Transponder eingeschaltet hatten, die Flugdaten auch von Militärmaschinen an zivile Fluglotsen funken. "Das war dreimal mehr als 2013", sagt ein Nato-Offizieller. Die meisten Flüge sind Routinestrecken von Sankt Petersburg in die russische Exklave Kaliningrad. Etwas anderes ist es, wenn Russland, wie im Dezember, mit Kriegsschiffen und Luftwaffe unangekündigt eine Großübung auf und über dem Meer abhält.

"Bei freundschaftlichem Umgang kündigt man solche Übungen an", sagt der Nato-Offizielle. "Doch mit der Ukraine-Krise hat sich der Ton in Moskau geändert." Da poltert der Politiker Wladimir Schirinowskij, die baltischen Länder und Polen müssten "ausgelöscht werden". Oder russische Generäle drohen amerikanischen Offiziellen mit dem Einsatz von Atombomben, falls die Nato Truppen im Baltikum stationiert. "Wir hätten gerne ein gutes Verhältnis zu unserem großen Nachbarn", sagt Litauens Außenminister Linas Linkevičius. "Aber wenn wir solche Äußerungen hören, wenn Präsident Wladimir Putin gerade erst wieder den Molotow-Ribbentrop-Pakt rechtfertigt, mit dem wir Balten von der Landkarte verschwanden, dann machen wir uns natürlich Sorgen."

Freude über Unterstützung durch Bevölkerung

In so angespannter Lage freuen sich die Nato-Piloten und die litauischen Offiziere in Šiauliai, dass sie von der Bevölkerung zunehmend unterstützt werden. "Früher haben sich manche Anwohner über den Fluglärm beschwert", sagt Oberst Vidmantas Raklevičius, der litauische Kommandeur von Šiauliai. "Heute sage ich ihnen: Der Lärm der Kampfflugzeuge ist der Lärm der Freiheit - und niemand widerspricht."

Der Flughafen Šiauliai und seine Geschichte illustrieren, warum Balten froh über ihre Nato-Mitgliedschaft sind. 1931 baute Litauen, damals unabhängig, den Flughafen. 1940 ließ Stalin die Baltenrepubliken besetzen. In Šiauliai zog die Rote Armee ein - um kurze Zeit später der auf Moskau vorrückenden Wehrmacht Platz zu machen. Mit dem Sieg über Hitler-Deutschland kehrte die Rote Armee zurück - für fast ein halbes Jahrhundert. Šiauliai wurde zu einem der größten Stützpunkte der sowjetischen Luftwaffe - mit Zehntausenden Soldaten, mit Jagdflugzeugen und atomaren Langstreckenbombern.

Oberst Raklevičius, 53 Jahre alt, dunkelblonder Schnurrbart zu weißen Haaren, war ein junger Kampfflieger der sowjetischen Luftwaffe - nicht in Šiauliai, sondern in der russischen Region Rostow. Als er 1985 Pilot werden wollte, schien die Sowjetunion noch ewig zu existieren. Seinen Traum vom Fliegen konnte er also nur in der sowjetischen Luftwaffe verwirklichen. Schon in der Fliegerschule stellte er eine litauische Fahne in seine Stube. Nachdem Litauen wieder unabhängig geworden war, trat er in der Heimat in die wiedererstandene litauische Luftwaffe ein - ein stolzer Name für 60, 70 Männer ohne Flugzeuge und richtigen Flughafen.

2004 übernahm Litauens Militär den heruntergekommenen Flughafen in Šiauliai - rechtzeitig zur Aufnahme in die Nato. Seitdem ist er modernisiert worden und Basis der Nato-Jäger für die Luftraumüberwachung über dem Baltikum - und Zentrum der litauischen Luftwaffe. Diese bereitet freilich einem russischen Flieger auch heute noch keine Albträume. Drei gebrauchte C-27J-Transportflugzeuge, ein leichtes Jagdflugzeug zum Training, ein paar rentenreife Mi-8-Hubschrauber - das ist die litauische Luftwaffe, über die Oberst Raklevičius gebietet. "Für eigene Flugzeuge haben wir kein Geld", gibt er zu.

Wie die Nato den baltischen Staaten nützt

Seit Beginn der Ukraine-Krise hat die Nato ihre Luftüberwachung ausgeweitet, von vier auf 16 Jets. Sie starten nun nicht mehr nur in Šiauliai, sondern auch im polnischen Malbork und dem estnischen Ämari. Bisher, so sehen es die Balten, hat die Nato ihren Ländern sehr genützt. "Wären wir nicht der EU und der Nato beigetreten, hätte Russland sein erst in Georgien 2008 und dann in der Ukraine erprobtes Szenario zur Rückeroberung seiner Einflusssphäre auch schon an uns baltischen Ländern durchexerziert", sagt Litauens Vize-Verteidigungsminister Marijus Velička.

Doch ein paar Jagdflugzeuge würden eine russische Besetzung ebenso wenig verhindern wie 450 US-Soldaten, die Washington ins Baltikum schickte. "Wenn die Russen es, wie auf der Krim, schaffen, sich in 48 Stunden festzusetzen, ist es sehr schwer, sie wieder zu vertreiben", sagt Velička. "Hätten wir aber Nato-Truppen hier, wüssten russische Generäle, dass es bei uns nichts wird mit einem kleinen Blitzkrieg à la Krim." Die Generalstabschefs von Litauen, Lettland und Estland hätten gerade einen Brief unterschrieben, in dem sie den Nato-Oberbefehlshaber in Europa auffordern, eine Brigade - etwa 5000 Nato-Soldaten - in ihren drei Ländern zu stationieren.

Widerstand aus Washington und Berlin

Derlei Vorschläge sind bisher am Widerstand Washingtons und Berlins gescheitert: Vor allem die Bundesregierung will den Kreml nicht provozieren. Gegner einer Entsendung von Nato-Truppen ins Baltikum verweisen zudem auf eine Übereinkunft zwischen Russland und der Nato von 1997: Damals verzichteten beide Seiten darauf, in Grenzgebieten "substanzielle Kampftruppen" neu zu stationieren.

Außenminister Linkevičius zufolge stellt dies die Dinge auf den Kopf: "Die Übereinkunft galt in einer entspannten Zeit. Seitdem hat sich die Lage gravierend geändert: Nicht wir oder die Nato haben etliche Bestimmungen der Übereinkunft gebrochen, sondern Russland." Viele Litauer hätten sich nicht träumen lassen, dass sie sich einmal über mehr ausländische Soldaten freuen würden. "Nachdem wir unabhängig geworden sind, wollten wir nur unsere eigenen Soldaten ", sagt die 30 Jahre alte Ieva Gulbinienė, weiblicher Hauptmann in Šiauliai. "Als vor elf Jahren die ersten Nato-Flieger hierher kamen, waren viele misstrauisch. Heute würden wir es sehr begrüßen, wenn Nato-Truppen stationiert würden. Nach elf Jahren Zusammenarbeit wissen wir, dass sie nicht als Besatzer zu uns kommen, sondern um uns zu helfen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: