Links und Rechts:Abgründe gibt es nur bei den anderen

Die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak hat der immerwährenden Debatte über den Wert von Ideen und Ideologien einen schönen Mosaikstein hinzugefügt - und dies ebenso unfreiwillig wie verdienstvoll.

Von Matthias Drobinski

Recht hat die Frau. Die SED, so hat die Linken-Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak zum Mauerbau-Gedenktag getwittert, war "autoritär, nationenbezogen, ausgrenzend von allem, was nicht normal war". Sie hätte hinzufügen können: Die DDR, in der diese SED herrschte, war ein ausländerfeindlicher Spießerstaat, der den Angepassten liebte und den Freigeist fürchtete. Nur: Waren DDR und SED deswegen rechts, wie Halina Wawzyniak schrieb? Weil links zu sein nichts anderes heißen kann als: weltoffen, frei, tolerant und antiautoritär zu sein? Der großen Debatte, was links ist und was rechts und was diese Unterscheidungen noch taugen, hat die Abgeordnete so unfreiwillig wie verdienstvoll einen schönen Mosaikstein hinzugefügt.

Seit 1789 im französischen Parlament die Königstreuen rechts und die Revolutionäre links saßen, dienen die beiden Richtungen der politischen Ordnung und Einordnung, der Identifikation wie der Benennung durch die Gegenseite. Links steht für die Kontrolle der Macht des Kapitals, für die Kraft der Gemeinschaft und dem Recht des Bürgers gegenüber dem Staat, links stehen der Universalismus und der Weltverbesserungsoptimismus. Rechts steht für die Freiheit und das Recht des starken Individuums, einem Staat mit starker Polizei und schwacher Sozialverantwortung, einer konservativ strukturierten Gesellschaft, für nationale Orientierungen und einen begrenzten kulturellen wie ethnischen Pluralismus.

Es ist eine Illusion zu glauben, stets auf der guten Seite zu stehen

Das taugt durchaus bis heute, um politische Alternativen zu benennen. Das brachte aber schon immer Paradoxien mit sich. Linke, denen die Parteidisziplin über alles ging oder Rechte, die auf die bürgerlichen Tugenden pfiffen: Beides bedingte auch immer Blindheit gegenüber jenen Abgründen, die sich auftun, wenn Ideen zur Ideologie werden. Die Adenauer-CDU fand die alten Nazis nicht schlimm, viele 68er ignorierten das Unrecht in der DDR, die einen geißelten die Junta in Argentinien, die anderen den Gulag in der Sowjetunion.

Je schneller die Welt sich ändert, je komplexer sie ist, umso schwieriger werden die Einordnungen. Rechte wie linke Globalisierungskritiker benutzen dieselben Formulierungen, Feministinnen polemisieren gegen die religiöse Pluralität, wohlhabende Linke schicken ihre Kinder auf die Eliteschule; Rechte entdecken, wie einst die 68er, das kalkulierte schlechte Benehmen. Man muss nicht so weit gehen wie der Soziologe Armin Nassehi, der "rechts" und "links" als Reinheitslehren beschreibt, die beide untauglich seien, die schmutzige Realität zu fassen. Aber die Grenzen solcher Richtungszuschreibungen sind ziemlich eng geworden.

Dies schmerzt die Linke mehr als die Rechte, das zeigt auch der Streit über die autoritäre SED, den Wawzyniak ausgelöst hat. Die Linke lebt ja von der Vision einer besseren Welt, davon, dass sich das Gute bewirken, erzeugen, gar erzwingen lässt. Sie lebt vom Narrativ, insgesamt auf der Seite der Menschlichkeit und des Menschheitsfortschritts zu stehen. Da tut es weh, mit den Grenzen, Fehlern und auch Abgründen des eigenen Ideengebäudes konfrontiert zu werden. Da liegt der Reflex nahe: Das hat nichts damit zu tun. Dunkle Seiten gibt es nur bei den anderen. Der eigene Glaube kann rein und unschuldig bleiben.

Wer will, dass links ein Merkmal und eine Unterscheidungskategorie in der politischen Auseinandersetzung bleibt, dem sollte dieser Reflex nicht recht sein. Ideengebäude bleiben in einer widersprüchlichen Welt nur dann lebendig, wenn sie um ihre eigenen Grenzen, Schwächen und Abgründe wissen, um ihre historischen Fehler wie auch um ihre zukünftige Fehlerhaftigkeit. Und trotz all dieser Grenzen: Eine Demokratie braucht solche Richtungsbeschreibungen.

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