Linken-Parteitag in Hamburg:Kippings Wenn-dann-Europa

Linken-Chefin Katja Kipping

Katja Kipping nach ihrer Wahl in Göttingen, 2012.

(Foto: AFP)

Die EU stürzt "Millionen Menschen ins Elend"? Die Linke hat bis vor kurzem ausgiebig über die Europawahl gestritten. Auf dem Parteitag der Linken am Wochenende will Parteichefin Kipping das schwierige Thema harmonischer präsentieren.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Manchmal wirkt sie wie von einem fernen Planeten, eine extraterrestrische Besucherin im Kosmos Politik, die ein Raumfahrzeug in der Welt der dunklen Anzüge abgesetzt hat. Katja Kipping, feuerroter Schopf, ebensolcher Geist, gern verpackt in feine Stoffe oder Märchenkleider, gehört zu dieser Sorte Frauen, deren Porzellangesicht leicht darüber hinwegtäuschen kann, dass dahinter ein ziemlicher Dickschädel wohnt.

Knapp anderthalb Jahre ist es jetzt her, dass Kipping zur Chefin der Linkspartei gewählt wurde. Beim Göttinger Parteitag 2012 war das, bei dem es zum Bruch zwischen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine kam. Die Partei hat das zerrissen damals, inzwischen beginnen die Schützengräben sich zu schließen. Nun steht der nächste Parteitag an, am Wochenende in Hamburg. Auf dem Programm steht das linke Streitthema Europa, im Hintergrund aber das Motto: nie wieder Göttingen.

Ein sonniger Februartag in Berlin, Besuch im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken, in der jeder Stein Geschichte erzählt. In den Zwanzigerjahren gehörte das Haus der KPD, dann malträtierte die Gestapo hier politische Gegner. Unten im Erdgeschoss, in der Bibliothek, lebt noch die DDR, hier warten auf vergilbtem Papier sozialistische Schriften auf Leser. Und oben, wo man auf die Volksbühne schaut und eine Fahne mit dem Schriftzug "Lüge", sitzt Katja Kipping unter Bildern von Rosa Luxemburg. Mit freundlichem, aber schwer auftaubarem Gesicht.

Trübe Wendegeschichten aus dem Osten mag sie nicht

Katja Kipping, das ist eine, die schnell im Kopf ist und sehr ernsthaft, "ich bin ein dialektisch denkender Mensch", sagt sie über sich. Seit mehr als zehn Jahren gilt sie schon als Jungtalent ihrer Partei, steht für den Reformerflügel und sieht sich als Netzwerkerin, die die Linke mit neuen, intellektuellen, jüngeren Milieus verweben will. Kipping war elf und lebte in Dresden, als die Mauer fiel, sie gehört zur "Dritten Generation Ost", bei deren Aufbruch ins Erwachsensein rundum die Autoritäten wegbrachen. "Das findet man in der Pubertät ja nicht nur schlecht", sagt sie.

Sie mag das nicht, trübe Wendegeschichten aus dem Osten, und wer sie nach ihren Eltern fragt, kriegt eher sparsame Antworten. Vater Ingenieur, nach der Wende selbständig, Mutter Kunstlehrerin, dann Erzieherin. Waren die Eltern in der Partei? Hat Kippings Weg in die Politik mit Debatten am Abendbrottisch begonnen? Sie schüttelt den Kopf. "Ich hatte nicht die Situation der politischen Reibung."

Katja Kipping, das ist eine Frau auf der Hut, sie wirkt da wie viele aus der "Dritten Generation Ost", die die Auseinandersetzung mit den Eltern, der Generation Diktatur, sorgsam vor fremden Blicken schützen. Oder meiden. Wir lassen uns nicht klein machen vom Westen, ist da die Haltung, bei Katja Kipping schon als Kind. Von ihren ersten zehn Mark West kauft sie sich: nichts. "Es glitzerte alles, aber nichts war wert, das Geld auszugeben."

Nach dem Abitur will sie nach Russland, studiert Slawistik und Jura, möchte Professorin werden. Ihr Leben stellt sie sich zwischen Büchern vor, als eine Art Caféhausgelehrte. Es kommt anders. Mit 21 sitzt sie für die PDS im sächsischen Landtag, mit 26 im Bundestag. Jetzt ist sie 36, Mutter und Parteichefin, zusammen mit dem Schwaben Bernd Riexinger, neben dessen Rübezahlgestalt sie manchmal wie Rotkäppchen wirkt.

Nur nicht die Kleine sein, die Nummer zwei

Nur will Katja Kipping halt genau das nicht sein: die Kleine, womöglich die Nummer zwei. Weshalb sie ihrem Co-Parteichef schon mal sacht den Wortstrom abgräbt, wenn auch nicht immer mit dauerhaftem Erfolg. Neulich etwa war das zu besichtigen, als die Parteichefs im Karl-Liebknecht-Haus vom Europawahlkampf erzählten. Die Linke hat sich da ja einen Disput geliefert, der die Welt eher ratlos zurückgelassen hat.

Es ging da um das Europawahlprogramm, über das der Linkenvorstand beim Parteitag am Wochenende abstimmen lassen will. Die Europäische Union, hieß es in einem Entwurf, sei zu einer "neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht" geworden. Statt Solidarität bringe sie "rechtspopulistische Hetzer und mehr Menschenjagd in und an den Grenzen" und stürze "Millionen Menschen ins Elend".

Ein Szenario war das wie aus einem Katastrophenfilm von Roland Emmerich. Offenbar wurde die Passage bei einer schlecht besuchten Vorstandssitzung von Europa-Hardlinern um Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke durchgesetzt. Die Euro-Kritikerin Sahra Wagenknecht unterstützte die beiden, verließ dann kurz vor der Abstimmung den Saal - und wollte später mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Es hagelte Kritik, auch aus linken Landesverbänden, denn mit derlei martialischen Sprüchen rückt die Partei sich gefährlich nah an Europagegner vom rechten Rand.

"Wir sagen Ja zu Europa als Gestaltungsraum"

Die Passage ist inzwischen aus dem Leitantrag getilgt, auf dem Parteitag will man Kampfabstimmungen vermeiden, vor allem aber persönliche Fehden wie in Göttingen. Europa soll jetzt positiver kommuniziert werden, irgendwie. Und während Sahra Wagenknecht über das Ende des Euro nachdenkt, will Katja Kipping, diese Expertin fürs dialektische Denken, dem Wähler klar machen, warum Europa gut ist, als Idee, in der Realität aber ein Problem.

"Wir sagen Ja zu Europa als Gestaltungsraum", erklärt sie. "Aber wir kritisieren Strukturen, die unsozial und undemokratisch sind oder Profite vor die Menschen stellen." Hier Bankenmacht, Entmündigung, dort Spielräume der Politik, so etwa muss man sich das vorstellen. "Wie sieht ein Europa aus, für das wir streiten?", fragt Kipping irgendwann. Die Antwort bleibt sie dann erst einmal schuldig.

Wenn die Parteivorsitzende gefragt wird, was sie positiv findet an Europa, antwortet sie mit Sätzen, die mit "Wenn" beginnen und mit Konjunktiv enden. "Wenn es einen europaweiten Verbraucherschutz gäbe, wäre das positiv." Oder: "Wenn es europaweit gültige Arbeitsschutzrichtlinien gäbe, würden wir das begrüßen." Gibt es aber alles nicht, also noch einmal: Was ist gut an Europa? "Dass es in der EU keine Kriege mehr gibt, ist ein Fortschritt", sagt sie schließlich. "Das entlässt die Länder aber nicht aus der Pflicht, sich auch nach außen friedfertig zu verhalten."

Begeisterung mag anders klingen, Katja Kipping stört das nicht. "Warten Sie meine Rede auf dem Parteitag ab", sagt sie, und da huscht so etwas wie ein Lächeln über ihr Gesicht. Ist doch schön, dass über Inhalte diskutiert wird, findet sie. Es gab in der Partei auch schon andere Zeiten.

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