Linke-Vize-Chefin Wawzyniak:"Es geht darum, Konkurrenten fertigzumachen"

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Halina Wawzyniak kann die Respektlosigkeiten, Beleidigungen und Verletzungen bei den Linken kaum noch ertragen. Die Vize-Chefin der Partei droht mit Rückzug, wenn sich der Umgangston nach dem Parteitag nicht ändert. Ein Gespräch über Konflikte unterschiedlicher politischer Kulturen.

Thorsten Denkler

Auf dem Schreibtisch der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Halina Wazyniak steht ein nachgebildetes Stück Berliner Mauer. "Die Partei" steht darauf, eine Devotionalie der gleichnamigen Satirepartei also. Aber das passt: In der Linken werden gerade wieder tüchtig Mauern hochgezogen zwischen den antiautoritären Kräften im Osten und den autoritären Kräften im Westen, wie Wawzyniak sagt. Wird es die Linke zerreißen? Wawzyniak hält das für denkbar.

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Die Linke steht vor einer schwierigen Aufgabe: Die Partei sucht nach zwei qualifizierten Parteichefs, möglichst eine Frau und ein Mann, jemand aus dem Osten und aus dem Westen - und gut miteinander auskommen müssen sie auch noch. Zehn Kandidaten treten heute zur Wahl an. Das Ergebnis ist völlig offen.

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SZ.de: Frau Wawzyniak, am Wochenende trifft sich ihre Partei in Göttingen. Irgendeine neue Führung wird dort wohl gewählt werden.

Halina Wawzyniak: Ich gehe mal davon aus.

SZ.de: Schon eine Ahnung, wie es ausgehen könnte? Sie wollen ja wieder stellvertretende Parteivorsitzende werden.

Wawzyniak: Ich weiß nicht, wie das endet. Die große Zahl von Kandidaten freut mich. Die Delegierten haben diesmal eine echte Auswahl. Die Linke kommt damit an in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Wenn es gut läuft, wird die Partei dadurch lebendiger werden. Die Mitglieder werden mehr mitmachen, mehr mitbestimmen können. Das wollen sie auch: einbezogen und nicht länger von oben durchregiert werden. Das Risiko ist dabei, dass sich politische Prozesse verlangsamen.

SZ.de: Die ehemalige PDS-Vorsitzende Gaby Zimmer sagt, optimistisch formuliert gebe sie der Linken eine 50-zu-50-Chance, dass es die Partei nicht zerreißt. Wie sehen Sie das?

Wawzyniak: Bis vor einer Woche hätte ich noch eine andere Antwort gegeben als heute. Ich hätte gesagt, der Parteitag wählt und am Montag danach geht die Arbeit ganz normal weiter.

SZ.de: Und jetzt?

Wawzyniak: Wenn wir uns nicht spätestens auf dem Parteitag zusammenreißen und gegenseitigen Respekt erkennen lassen, dann sinkt die Chance erheblich, dass wir gemeinsam weitermachen.

SZ.de: Was meinen Sie?

Wawzyniak: Seit Oskar Lafontaine seine Kandidatur zurückgezogen hat, ist es zu einer Eskalation von Unterstellungen gekommen.

SZ.de: Sie meinen die Dolchstoßlegenden, die von Dieter Dehm und anderen verbreitet gegen Dietmar Bartsch werden. Dieser will Parteichef werden, was den Lafontainisten nicht schmeckt.

Wawzyniak: Eine Gruppe versucht ihn jetzt zu diskreditieren, indem sie behauptet, Bartsch habe sich 2002 für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ausgesprochen. Ich habe versucht, das zu recherchieren, aber nichts dazu gefunden. Das ist doch alles absurd. Bartsch sagt früh, dass er kandidiert. Dann kommt Lafontaine und sagt, er kandidiert, aber nur wenn Bartsch nicht kandidiert. Bartsch gibt nicht auf, Lafontaine schmeißt hin und jetzt wird Bartsch mit unfairen Mitteln gedrängt seine Kandidatur zurückziehen. Wo leben wir denn?

SZ.de: Sagen Sie es uns.

Wawzyniak: Was da jetzt passiert, offenbart eine Respektlosigkeit, die ich mir nicht hatte vorstellen können. Wir streiten nicht mehr um Inhalte. Es geht darum, innerparteiliche Konkurrenten fertig zu machen. Damit laden wir die Leute nicht ein, damit schrecken wir sie ab. Wer uns von außen beobachtet, der fragt sich: Wie gehen die denn menschlich miteinander um?

SZ.de: Dem Frauen-Duo Katja Kipping und Katharina Schwabedissen werden jetzt beste Chancen eingeräumt, Vorsitzende zu werden und die Krise zu meistern.

Halina Wawzyniak kritisiert den Umgangston der LInken. (Foto: Foto: Sascha Nolte)

Wawzyniak: So sehr ich die beiden mag, aber sie erklären ihre Kandidatur, weil angeblich die zwei Züge Bartsch und Lafontaine aufeinander zu fahren. Einer fährt aber gar nicht mehr. Sie sagen, es gebe keine inhaltlichen Angebote. Bartsch hat aber eins gemacht. Kipping und Schwabedissen auch. Einen inhaltlichen Unterschied kann ich nicht erkennen.

SZ.de: Auch die beiden dürfen kandidieren, oder?

Wawzyniak: Natürlich. Ich streite für das Recht auf Kandidatur. Aber warum müssen sie das in Abgrenzung zu anderen Kandidaten machen? Warum reicht es nicht, zu sagen, dafür stehen wir inhaltlich, der Parteitag soll entscheiden? Warum muss ich bewusst andere Kandidaten beschädigen?

SZ.de: Ist das alles nicht auch ein Führungsversagen von Ernst und Lötzsch?

Wawzyniak: Nein. Ich kann die Menschen nur für ihr eigenes Handeln verantwortlich machen.

SZ.de: Was ist dann schief gelaufen?

Wawzyniak: Vier Dinge: Es war rückblickend falsch, nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine 2010 in einer langen Nacht einen Personal-Vorschlag für die Spitze zu zimmern, der gefühlt 50 Kriterien genügen musste. Ost-West, Mann-Frau, Reformer-Nichtreformer, alles musste ausgewogen sein. Das hat nicht funktioniert.

SZ.de: Was noch?

Wawzyniak: Wir haben versäumt, uns auf die Rolle der SPD als Oppositionspartei einzustellen. Wir haben zu sehr SPD und Grüne für vergangene Politik kritisiert, statt schwarz-gelb für ihre aktuelle Politik und unsere Alternativen darzustellen. Und wir sind einem oft blinden Aktionismus verfallen. Wir haben in jeder Parteivorstandsitzung gefühlt zwei Kampagnen beschlossen. Das geht aber nicht! Wir haben uns zerfasert. Zuletzt haben wir zwar ein gutes Programm beschlossen, uns aber keine Gedanken gemacht, wie wir Mitglieder halten, gewinnen und für sie interessant bleiben können.

SZ.de: Sie klammern den Konflikt zwischen Ost- und West aus, zwischen ehemaliger PDS und ehemaliger WASG aus.

Wawzyniak: Das ist kein Ost-West-Konflikt. Das ist ein Konflikt unterschiedlicher politischer Kulturen. Die einen haben den schweren Veränderungsprozess von der SED zur PDS und heute zur Linken mitgemacht. Die anderen haben in der SPD als Gewerkschafter einen aussichtlosen Kampf geführt und dann gegen die SPD die WASG gegründet. Inhaltlich sind wir alle meist auf derselben Linie. Aber das sind zwei völlig unterschiedliche Wurzeln des politischen Stils und der politischen Kultur, die noch nicht vollständig zusammengewachsen sind. Die einen sind eher antiautoritär, die anderen handeln autoritärer.

SZ.de: Dann wächst also schlicht nicht zusammen, was nicht zusammengehört?

Wawzyniak: Nein, inhaltlich stehen wir beisammen. Aber wir haben uns gegenseitig nicht genug erzählt, wo wir herkommen, was uns in die Politik gebracht hat. Darum fehlt das Verständnis, warum die anderen so anders ticken.

SZ.de: Oskar Lafontaine und auch Klaus Ernst pflegen die Betonopposition. So hat die Linke ihre größten Wahlerfolge feiern können. Ist die Partei ohne lafontaineschen Populismus und Radikalopposition überhaupt überlebensfähig?

Wawzyniak: Die Bürger fühlen sich besser mit einer Partei, in der respektvoll um Inhalte gestritten wird.

SZ.de: Die gerade für die Linke wichtige Gruppe der Protestwähler erreichen Sie so nicht mehr. Die Linke ist gerade aus zwei wichtigen Landesparlamenten geflogen und verliert sogar im Osten stetig an Zustimmung.

Wawzyniak: Wir haben ein sehr breites Wählerspektrum. Wir werden immer Menschen ansprechen, die in sozial schlechter Lage sind. Wir müssen aber auch so genannte Linksintellektuelle erreichen. Darum müssen verstärkt eine Alternative im Hier und Jetzt bieten. Dafür brauchen wir eigenständige Positionen. Auch solche, die vielleicht nicht sofort mehrheitsfähig sind. Ich denke da etwa an die Asylpolitik. Ein Wettbewerb in höher, schneller, weiter gegenüber SPD und Grünen reicht nicht.

SZ.de: Die Piraten haben die Linke aus dem Nichts überrundet. Die scheinen ihre Protestwähler besser zu binden.

Wawzyniak: Die Piraten gewinnen vor allem mit ihrem Versprechen eines anderen Politikstils. Deswegen finde ich es gut, dass die Linke diesen Politikstil jetzt auch für sich annimmt.

SZ.de: Na ja, gezwungenermaßen.

Wawzyniak: Richtig. Aber es gibt auch in der Linken Menschen, die schon lange eine Öffnung der Partei fordern.

SZ.de: Die Lafontaine-Linke reagiert allergisch auf den Begriff Kompromiss. Sie formuliert lieber rote Linien. Muss sich die Linke auch da ändern?

Wawzyniak: Kompromisse gehören zur Politik. Wir müssen genauer definieren, wo sie für uns möglich sind und wo nicht.

SZ.de: Nehmen wir das Beispiel Hartz IV. Lafontaine prägte den Satz: Hartz IV muss weg, sofort - Ausrufezeichen! Würde eine neue Linke sagen: Hey Leute, wir kriegen zwar Hartz IV nicht weg, aber wir können in dieser Koalition die Lebensbedingungen von Hartz-IV-Empfängern erheblich verbessern.

Wawzyniak: Jede Partei hat Punkte, die sie nicht aufgeben kann. Aber wir können objektiv nicht sagen, von heute auf morgen ist Hartz IV weg. Wir müssen sagen, wir wollen Hartz-IV überwinden und das bis zu einem Zeitpunkt X. Jedem muss klar sein, dass eine Systemumstellung Zeit braucht.

SZ.de: Gibt es eine Chance, dass nach dem Parteitag alle mal miteinander Friedenspfeife rauchen?

Wawzyniak: Die Fragen, die sich jetzt jeder stellen muss, lauten: Wollen wir uns gegenseitig wirklich so tief verletzten, dass der Vernarbungsprozess ewig dauert? Oder schaffen wir es, nach der Wahl jedes Ergebnis ehrlich zu respektieren und gemeinsam weiterzuarbeiten?

SZ.de: Was, wenn das nicht gelingt?

Wawzyniak: Dann wird für mich irgendwann der Punkt kommen, an dem ich sage, jenseits aller inhaltlichen Übereinstimmung, es ist menschlich nicht mehr erträglich.

SZ.de: Dann treten Sie aus?

Wawzyniak: Nein. Ich bleibe in der Partei. Die Idee dieser Partei ist großartig. Die Idee des demokratischen Sozialismus ist großartig. Es kann aber einen Punkt geben an dem ich sage: Ich habe den Glauben verloren, das man das mit dieser Partei umsetzen kann. Dann zahle ich meine Parteibeiträge und mache die Sachen, die ich sonst noch kann.

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