Linke:Klagen für das Klagerecht

Activists take part in 'Walk for Freedom' to protest against human trafficking in front of Reichstag in Berlin

Die Opposition im Berliner Bundestag ist klein: Nur 127 von 630 Sitzen hat sie inne. Die Linke fürchtete um ihr Klagerecht in Karlsruhe - und klagte.

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Tariflohn, Mütterrente, Maut: Die Linke würde gerne Karlsruhe anrufen, darf aber nicht. Nun prüfen die Verfassungsrichter, ob die Opposition benachteiligt ist. Erst einmal meldeten sie viele Zweifel an.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Opposition ist Mist, hat der große Lakoniker Franz Müntefering einst festgestellt. Will man die Klage der Linken zusammenfassen, über die das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch verhandelt hat, könnte man sagen: Besonders groß ist der Mist, wenn man als Opposition nicht einmal in Karlsruhe klagen kann. Um dies zu ändern, hat die Linksfraktion den ziemlich gewagten Versuch unternommen, ihr Klagerecht einzuklagen: Weil in Zeiten der "übergroßen Koalition" - wie Klägervertreter Hans-Peter Schneider formulierte - nicht einmal Linke und Grüne gemeinsam das für eine abstrakte Normenkontrolle erforderliche Bundestags-Viertel zusammenbekommen, soll der Zweite Senat Abhilfe schaffen. "Eine Opposition muss nicht nur möglich, sondern auch effektiv sein", forderte der ehemalige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi.

Tariflohn, Mütterrente, Maut: Die Linke würde gerne Karlsruhe anrufen, darf aber nicht

Dabei hatte der Bundestag selbst im Frühjahr 2014 bereits Konsequenzen daraus gezogen, dass die derzeitige Opposition mit ihren 127 von 630 Bundestagssitzen die Quoren etwa für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen nicht mehr erreicht. Per Geschäftsordnung wurde entschieden, dass 120 Abgeordnete ausreichen, um zentrale Minderheitenrechte auszuüben. Damit war den Linken einigermaßen geholfen - doch der erwünschte Klageweg war ihnen damit nicht eröffnet. Gysi zählte denn auch eine Reihe von Themen auf, zu denen er gern die Karlsruher Richter angerufen hätte - Tarifeinheit, Mindestlohn, Mütterrente, Maut. Und auch ohne Klage könne die bloße Möglichkeit einer Normenkontrolle die Regierungsmehrheit zur Verfassungstreue anhalten: "Die Drohung ist schon ein Wert an sich."

Wer freilich geglaubt hatte, die Richter könnten sich geschmeichelt fühlen ob der zentralen Rolle, die ihnen die Linke im politischen Prozess zugesteht, sah sich getäuscht. Schon die Frage, ob eine derart vertrakte Organklage - die Linksfraktion klagt im Namen des Bundestags gegen den Bundestag - überhaupt zulässig sei, nahm wegen der kritischen Nachfragen von der Richterbank fast zwei Stunden in Anspruch. Auch inhaltlich meldeten die Richter viele Zweifel an. Das 25-Prozent-Quorum habe auch den Zweck, einen Missbrauch der Normenkontrolle als politisches "Kampfinstrument" zu verhindern, sagte Ulrich Maidowski. Dies könnte durch eine Absenkung dieses Quorums unterlaufen werden, sollte künftig beispielsweise eine Fraktion in den Bundestag einziehen, die jede Vorschrift zum Flüchtlingsrecht angreife - das Kürzel AfD nahm er nicht in den Mund. Herbert Landau warnte vor einer Veränderung des Verfassungsgefüges, weil durch vermehrte Klagebefugnisse das Gericht - dem oft Einmischung in die Politik vorgeworden werde - zunehmend in politische Auseinandersetzungen hineingezogen werde. Und Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle schloss mit der Frage, wie sich das Gericht eigentlich über den "klaren Verfassungswortlaut" hinwegsetzen solle. Im Grundgesetz stehe nun mal das Quorum von 25 Prozent. "Ein Viertel ist ein Viertel."

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