Libyen:Schwach und selbstbewusst

Wie die Rumpfregierung aus der Hauptstadt Tripolis sich plötzlich entschlossen und selbstbewusst zeigt.

Von Tomas Avenarius

Für eine Regierung, deren Herrschaft nicht sehr viel weiter als bis zur Grenze der eigenen Hauptstadt reicht, zeigt die libysche Regierung großes Selbstbewusstsein: die einseitige Ausweitung der Zwölf-Meilen-Grenze auf eine "Sicherheits- und Rettungszone" von 74 Seemeilen, Warnschüsse auf ein spanisches Seenot-Rettungsschiff, die Drohung an die Adresse anderer humanitärer Organisationen, beim nächsten Mal scharf zu schießen. Bei seinem rigiden Vorgehen, Flüchtlingsboote von der Küstenwache abfangen und die Insassen zurück aufs nordafrikanische Festland bringen zu lassen, kann sich Libyens Staatschef und Premierminister Fayez al-Serraj allerdings der stillen Billigung der Europäer und der vom Flüchtlingsproblem am stärksten betroffenen Italiener sicher sein. Denn die Zahl der in Süditalien ankommenden Migranten geht inzwischen sehr stark zurück. Genau das will Rom, genau das will die Europäische Union.

Im Osten des Landes hat der Staatschef nichts zu sagen - und im Süden auch sein Gegner nicht

Ob sich das Problem der unkontrollierten Migration von Afrika über das Mittelmeer hin nach Europa mithilfe des seit 2011 de facto bestenfalls noch teilstaatlichen Libyens lösen lässt, ist eine andere Frage. Die aktuelle Flüchtlingsroute, deren Ablegeplätze im Westen Libyens, rund um die Hauptstadt Tripolis, liegen, lässt sich allerdings auch nicht ohne Weiteres nach Osten verschieben. Die Distanz auf See würde weit länger werden, sie wäre für Flüchtlingsboote kaum zu bewältigen - wenn sie nicht schon in der Nähe der nordafrikanischen Küste von europäischen Kriegsschiffen oder humanitären Organisationen an den Haken genommen würden.

Noch weiter im Osten, von Bengasi bis zur ägyptischen Grenze, hat der Kriegsherr Khalifa Haftar das Sagen. Er interessiert sich weniger für das europäische Flüchtlingsproblem als für die Macht in Libyen, er will irgendwann in Tripolis einziehen. Er droht Italiens Marine mit Luftangriffen, sollte sie sich der Küste nähern. Rom ist die frühere Kolonialmacht, deshalb bleibt es vielen Libyern suspekt; für General Haftar könnte eine allzu offensichtliche Zusammenarbeit der italienischen Marine mit Staatschef Serraj der Vorwand sein, in Richtung Tripolis zu marschieren - um die vermeintlich bedrohte Souveränität Libyens zu schützen und dabei die Macht gleich ganz zu übernehmen.

Jenseits der verwirrenden libyschen Innenpolitik verdient die Schleppermafia gemeinsam mit mächtigen Milizen am Fluchtbusiness ihr Geld. Solange weiter Zehntausende Afrikaner über die libysche Südgrenze ins Land strömen, bleibt das Geschäft lohnend, wird der Migrationsdruck anhalten: An der Grenze im Süden haben weder Serraj noch Haftar viel zu melden. Dieser Teil des Landes ist seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi vor sechs Jahren fest in der Hand von örtlichen Stämmen, die sich ihr Schleppergeschäft von Serraj und seiner international anerkannten Rumpfregierung nicht so ohne Weiteres verderben lassen wollen. Für die Hunderttausenden im Land festsitzenden Flüchtlinge, die laut dem deutschen Auswärtigen Amt in "KZ-ähnlichen Verhältnissen" von Mord, Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit bedroht sind, bleibt das Leben in Libyen fürs Erste die irdische Hölle.

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