Libyen:Mit alten Waffen und dem Mut der Verzweiflung

Noch kämpfen Gaddafis Getreue. Doch selbst wenn sie unterliegen, könnten sie versuchen, das neue Libyen mit Terror zu überziehen. Waffen, mit denen sie das Land ins Chaos stürzen könnten, gibt es genügend.

Sonja Zekri und Paul-Anton Krüger

Gaddafis Männer kontrollieren nicht mehr viele Orte in Tripolis, aber einen sehr berühmten hatten sie zumindest bis Mittwoch fest im Griff: das Fünf-Sterne-Hotel Rixos, monatelang Zwangsunterkunft für ausländische Journalisten und für drei Dutzend Reporter und Techniker mehrere Tage lang nun eine gefährliche Falle. Gaddafis Sprecher Mussa Ibrahim und seine deutsche Frau Julia Ramelow, die sich wie ganze Behörden über Wochen hierher geflüchtet hatten, hatten sich mit ihrem Sohn längst abgesetzt. Einige der Aufpasser hatten sich von den Journalisten sogar mit Handschlag verabschiedet. Es blieben die Aggressivsten, die Fanatiker, die Gläubigen. Der BBC-Reporter Matthew Price riet einem der Wächter, er solle doch heimgehen zu seinem Kind, es sei längst alles gelaufen. Kein Gedanke: "Nein, nein, nein, wir kämpfen für unser Land, wir kämpfen für unseren Führer", sagte der andere.

Libyen: Die Rebellen bekämpfen Gaddafis Getreue auch mit Waffen, die sie aus den Arsenalen des Dikatators geholt haben.

Die Rebellen bekämpfen Gaddafis Getreue auch mit Waffen, die sie aus den Arsenalen des Dikatators geholt haben.

(Foto: AFP)

Erst am Mittwochnachmittag kam die Nachricht: Die Journalisten können das Hotel verlassen. Offenbar gaben die Wachen plötzlich den Weg frei. Scharfschützen auf den Dächern und Bewaffnete auf den Fluren hatten zuvor jeden bedroht, der versuchte, das Gelände zu verlassen. Wasser und Strom waren meist unterbrochen. Trinkwasser und Lebensmittel wurden knapp.

Das Rixos, nur einen Steinwurf von der gestürmten Gaddafi-Festung Bab al-Asisija entfernt, ist ein Fünf-Sterne-Haus mit Spa und schattiger Veranda. In diesen Tagen wurde es zu einem der letzten Gefängnisse Gaddafis. Und vielleicht sein letztes Domizil. Warum, so spekulierten Beobachter, machten sich die Wachen sonst die Mühe mit ein paar Ausländern, wenn nicht Gaddafi selbst ins Hotel geflüchtet war?

Andere vermuten den gestürzten Diktator in seiner Heimatstadt Sirte, östlich von Tripolis am Meer gelegen. Hierher könnten sich Gaddafis Getreue samt Waffen geflüchtet haben, hier könnten sie sich verschanzen. Aus Sirte feuerten Gaddafi-Truppen laut Nato seit Wochenbeginn mindestens vier Boden-Boden-Raketen Richtung Misrata. Mindestens eine davon wurde abgefangen, der Rest schlug am Strand ein oder fiel ins Meer.

Gaddafi hatte sich dereinst mehr als 400 Scud-B-Raketen aus sowjetischer Produktion zugelegt. Im April 2004 unterschrieb der Diktator ein Abkommen, nach dem Nutzlast und Reichweite der Geschosse reduziert werden sollten, später versuchte er, sein ganzes Arsenal für mehr als 800 Millionen Dollar an die USA zu verscherbeln, doch denen war der Preis zu hoch. Etliche der Geschosse dürfte die Nato ausgeschaltet haben, und die verbleibenden sind veraltet. Allenfalls eignen sich die Scuds, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Militärisch sind sie wegen ihrer geringen Treffgenauigkeit kaum von Bedeutung.

Auch auf Sirte rücken allerdings die Aufständischen vor, am Mittwoch hieß es, man verhandle mit den Rebellen über eine Übergabe der Stadt. Als ähnlich Gaddafi-treu galt bislang der Wüstenort Sabha, 650 Kilometer südlich der Hauptstadt. Sabha, ein Militär- und Luftwaffenstützpunkt, wäre eine letzte Verteidigungslinie und ein Fluchtpunkt für Gaddafi; denn von dort aus ist der Weg nach Niger und Tschad offen. Am Mittwoch berichteten Agenturen aber von Zusammenstößen zwischen Gaddafi-Anhängern und Rebellen in Sabah, möglicherweise entfällt also auch dieses Asyl für den gejagten Machthaber, der seine Flucht aus Bab al-Asisija in einer gewohnt dramatischen Botschaft als "taktisch" bezeichnete - und, wieder einmal, schwor, als Märtyrer zu sterben.

Terroristen könnten an Senfgas gelangen

Noch immer ist die Gefahr einer letzten, verheerenden Attacke nicht gebannt. 1987 hatte Gaddafi im Krieg mit dem Nachbarland Tschad bewiesen, dass er nicht davor zurückschreckt, Chemiewaffen einzusetzen. 23 Tonnen Senfgas besaß Libyen, als Gaddafi Ende 2003 einwilligte, alle Programme zum Bau von Massenvernichtungswaffen aufzugeben. Nur etwa zwölf Tonnen davon wurden bis Anfang dieses Jahres wie vereinbart vernichtet. Allerdings ist der Kampfstoff nicht in Granaten oder Gefechtsköpfe abgefüllt, sondern lagert nach Angaben von US-Regierungsmitarbeitern in einer verbunkerten Anlage.

Die Nato und die USA überwachen die Lagerstätten seit Beginn des Aufstands, sie müssen dabei aber weitgehend auf Drohnen und Satelliten zurückgreifen; ob sie Plünderer im Ernstfall stoppen könnten, kann niemand garantieren. Terroristen könnten deshalb versuchen, sich des Senfgases zu bemächtigen; auch das niedrig angereicherte Uran und tonnenweise Atommüll aus einer Nuklearanlage nahe Tripolis könnten ein lohnende Beute sein.

Zudem beunruhigt westliche Geheimdienste der Verbleib von etwa 30.000 schultergestützten Luft- und Panzerabwehrraketen. Sie sind einfach zu transportieren und zu bedienen und damit für Terroristen attraktiv. Erst jüngst schossen die Taliban in Afghanistan einen den Hubschrauber einer US-Spezialeinheit mit einer modernen Panzerfaust ab; 38 Elitesoldaten starben. In der Einflugschneise eines Flughafens könnten die russischen SA-7 Grail und ähnliche Raketen auch für zivile Maschinen zu einer großen Bedrohung werden.

Langfristig gefährlicher aber sind wohl jene Hunderttausende Bewaffneter, für die ein Leben ohne den "Bruder" Gaddafi nicht denkbar ist. Auch der Irak wurde 2003 von US-Truppen zügig erobert. Aber der Widerstand gegen die neue Zeit quält das Land bis heute.

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