Libyen-Krieg: Den Haag ermittelt gegen Tripolis:Gaddafi soll Tötung von Zivilisten geplant haben

Schwere Vorwürfe aus Den Haag: Das Gaddafi-Regime soll nach den Revolutionen in Tunesien und Ägypten Pläne für den Umgang mit Demonstranten vorgelegt haben - Schüsse auf Zivilisten seien von vornherein beabsichtigt gewesen.

Die libysche Regierung hat nach Erkenntnissen der Anklage beim Internationalen Strafgericht in Den Haag schon vor dem Volksaufstand die Tötung von Zivilisten geplant. Nach den Protesten in Tunesien und Ägypten seien in der Regierung in Tripolis Pläne für den Umgang mit Demonstranten ausgearbeitet worden, sagte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo.

Libyans loyal to leader Muammar Gaddafi demonstrate during a prot

Eine regierungsnahe Demonstrantin geht für den libyschen Machthaber Gaddafi auf die Straße: Der könnte sich schon bald vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen.

(Foto: dpa)

"Wir haben Beweise, dass Schüsse auf Zivilisten von vornherein beabsichtigt waren", sagte Moreno-Ocampo. Zunächst sollte Tränengas geworfen werden. Für den Fall, dass das nicht gewirkt hätte, sei der Einsatz von Schusswaffen fest eingeplant gewesen. Die Luft- und Raketenangriffe in Libyen begründeten die Alliierten mit dem Schutz der Zivilbevölkerung. Der UN-Sicherheitsrat hatte den Gerichtshof im Februar mit Ermittlungen gegen Libyen beauftragt. Moreno-Ocampo soll dem Rat Anfang Mai Bericht erstatten. Dann dürfte er auch Haftbefehle gegen Vertreter Libyens beantragen.

Moreno-Ocampo will sich auch um ein Treffen mit dem nach London geflohenen früheren libyschen Außenminister Mussa Kussa bemühen. Kussas Überlaufen aus Protest gegen die Angriffe auf Zivilisten könnte die Ermittlungen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafis sowie dessen Söhne und Berater beeinflussen.

Derweil geht der Machtkampf in Libyen weiter: Die Truppen Gaddafis haben an diesem Dienstag die Stadt Brega angegriffen und die Aufständischen erneut zurückgedrängt. Mit Panzern und Raketenwerfern beschossen Regierungstruppen die strategisch wichtige Ölstadt. Erst am Tag zuvor hatten die Rebellen mit Luftunterstützung der internationalen Streitkräfte Brega eingenommen.

Heftige Gefechte um Brega

"Die Situation ist sehr schlecht", sagte der Rebellenkämpfer Kamal Mughrabi. "Wenn die Flugzeuge nicht zurückkommen und angreifen, müssen wir uns zurückziehen." Zwar erreichen immer neue Kämpfer der Aufständischen mit schweren Waffen die Front, doch bislang sind ihnen die Regierungstruppen noch weit überlegen. "Wir können mit ihren Waffen nicht mithalten", sagte Mughrabi.

Die Kontrolle des Hafens von Brega ist für die Aufständischen von strategischer Bedeutung: Über den Zugang zum Meer könnten sie Öl verschiffen und schwere Waffen importieren.

Unterdessen bestätigte der auf Schifffahrt spezialisierte Datenanbieter Lloyd's List Intelligence die Wiederaufnahme von Ölexporten aus Libyen nach fast drei Wochen. Ein Tanker mit einem Fassungsvermögen von etwa einer Million Barrel kam am Dienstag im von der Opposition kontrollierten Hafen Marsa el-Hariga nahe der Stadt Tobruk im Osten des Landes an.

Die libysche Opposition kam außerdem in ihren Bemühungen voran, im Osten des Landes eine international anerkannte Regierung zu etablieren. Nach Frankreich und Katar bot Italien dem Oppositionsrat am Montag diplomatische Anerkennung an. Die USA sandten den Diplomaten Chris Stevens als Sonderbeauftragten nach Libyen. Bei Gesprächen mit dem Oppositionsrat sollen humanitäre und möglicherweise finanzielle Hilfen erörtert werden.

Gaddafi zeigt sich gesprächsbereit

Inzwischen rückte das Gaddafi-Regime von seiner kompromisslosen Haltung gegenüber der Opposition ab. Regierungssprecher Mussa Ibrahim bestand jedoch darauf, dass mögliche Reformen nur von Gaddafi eingeleitet werden könnten. "Wir können jedes politische System, jeden Wechsel haben: Verfassung, Wahlen, alles. Aber der Führer muss den Wechsel vorantreiben", sagte Ibrahim in Tripolis.

Der Despot soll militärisch immer stärker unter Druck geraten: Seit Beginn der Angriffe auf Libyen vor gut zwei Wochen wurden nach Angaben der Nato 30 Prozent der militärischen Kapazitäten von Gaddafi ausgeschaltet. Wegen eines Taktikwechsels von Gaddafis Truppen würden die Angriffe der Allianz zur Unterstützung der Rebellen aber immer schwieriger, sagte Nato-Brigadegeneral Mark van Uhm im Brüsseler Hauptquartier. Panzer, Raketenwerfer und andere schwere Waffen seien von der Front abgezogen worden und würden zum Teil mit menschlichen Schutzschilden abgeschirmt. "Wenn wir von Menschen umringte Ziele identifizieren, werden sie nicht angegriffen."

Am Montag führten Nato-Kampfjets nach seinen Angaben 14 Angriffe durch. Unter anderem seien in der westlichen Stadt Misrata Panzer getroffen worden, in Brega im Osten sei ein Raketenwerfer zerstört worden, den die Gaddafi-Truppen eingesetzt hätten. Auch ein Munitionslager sei von der Nato getroffen worden. In Misrata etwa 150 Kilometer östlich von Tripolis sei die Lage am kritischsten, sagte Van Uhm. Auch dort setzten die Regierungstruppen menschliche Schutzschilde ein, um schwere Waffen vor Nato-Angriffen zu schützen.

Van Uhm äußerte sich auch zu dem "bedauernswerten Unfall" am Samstag, als bei einem Nato-Angriff im Osten des Landes 13 Kämpfer der Opposition ums Leben kamen. Die Opposition habe bereits erklärt, dass das Unglück auf einen Fehler ihrerseits zurückzuführen sei. Es seien Freudensalven gefeuert worden, die eine Reaktion der Jets ausgelöst hätten, sagte Van Uhm.

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