Libyen: Gaddafi zu Waffenstillstand bereit:Scheinmanöver oder Friedensoption

Libyens Alleinherrscher Gaddafi soll den Plan der Afrikanischen Union für einen Waffenstillstand akzeptiert haben. Nur: Welche Ziele verfolgt er? Werden sich die Rebellen darauf einlassen? Muss das nordafrikanische Land geteilt werden?

Von Kathrin Haimerl

Der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi ist einer Delegation der Afrikanischen Union (AU) zufolge zu Verhandlungen sowie zu einem Waffenstillstand bereit. Nur: Was beinhaltet dieser Plan? Wie ehrlich sind Gaddafis Absichten? Werden sich die Aufständischen auf die Initiative einlassen? Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Roadmap.

Libyan leader Muammar Gaddafi gestures, as he is surrounded by members of the media, after a meeting with a delegation of five African leaders at his Bab al-Aziziyah compound in Tripoli

Erster öffentlicher Auftritt seit Ende Februar: Der libysche Machthaber gestikuliert, während er sich mit Delegierten der Afrikanischen Union der Presse präsentiert.

(Foto: REUTERS)

Was steht in der Roadmap der Afrikanischen Union?

Der Plan der Afrikanischen Union zur Beendigung des Bürgerkriegs in Libyen enthält unter anderem einen sofortigen Waffenstillstand, einen Dialog zwischen Regierung und Aufständischen sowie die Öffnung sicherer Korridore für Hilfslieferungen. Ein weiterer Punkt betrifft den Schutz von Ausländern, insbesondere von afrikanischen Arbeitern in Libyen. Laut Human Rights Watch waren vor dem Bürgerkrieg etwa 100.000 Arbeiter aus dem subsaharischen Afrika in Libyen tätig; die meisten der 1,5 Millionen Wanderarbeiter kam nach Angaben der UN aus Ägypten.

Die Übergangsperiode soll von politischen Reformen zur Überwindung der derzeitigen Krise begleitet sein. Dabei sollen die "berechtigten Bestrebungen des libyschen Volks nach Demokratie, Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit sowie nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung" berücksichtigt werden.

Die sogenannte Roadmap wurde in der Nacht auf Montag in einer hektisch einberufenen Pressekonferenz verlesen. Neben Südafrikas Präsidenten Jacob Zuma gehören der AU-Delegation folgende Staatschefs an: Amadou Toumani Touré (Mali), Mohamed Ould Abdel Aziz (Mauretanien) und Denis Sassou Nguesso (Kongo) sowie der ugandische Außenminister Henry Oryem Okello. Zuma zufolge habe Gaddafi dem Friedensplan "prinzipiell" zugestimmt.

Warum lässt sich Gaddafi auf diesen Vermittlungsplan ein?

Der Politologe Hamadi El-Aouni von der Freien Universität Berlin, Experte für die Umwälzungen im Nahen Osten, vermutet einen taktischen Schachzug des libyschen Machthabers. Zum einen wolle sich dieser mit Hilfe des Waffenstillstandes Zeit für eine Wiederaufrüstung seiner Truppen verschaffen.

Zum anderen könnte er den Rebellen die Schuld für den ungelösten Konflikt zuschieben. Schließlich wisse Gaddafi genau, dass die Opposition keinem Vermittlungsplan zustimmen werde, wenn dieser nicht den Machtverzicht des 1969 regierenden "Bruder Führer" enthalte.

Werden die Rebellen ebenfalls zustimmen?

Die AU-Delegation reist an diesem Montag von Tripolis nach Bengasi, um sich dort mit Vertretern der Opposition zu treffen. Allerdings lehnen diese jeden Vorschlag ab, der keinen Machtverzicht Gaddafis und seiner Söhne vorsieht. Zudem fordern sie einen Abzug der Regierungstruppen als Bedingung für eine mögliche Waffenruhe.

Bereits im Vorfeld wurde deutlich, was die Opposition vom Vermittlungsangebot hält: "Was gibt es hier zu verhandeln. Wir werden keinen Kompromiss akzeptieren", sagte ein Rebellenkämpfer in Bengasi. Ahmed al-Bani, Sprecher der Aufständischen, sagte dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira: "Es gibt nur eine militärische Lösung."

Es zeichnet sich also ab: Die Opposition wird sich auf keine Verhandlung einlassen, die nicht den Rücktritt Gaddafis beinhaltet. Dass diese Forderung Teil der Roadmap ist, glaubt Hanspeter Mattes vom Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien nicht. Denn der libysche Machthaber würde damit seine eigene Niederlage eingestehen müssen, so Mattes.

Erstmals seit Beginn des Krieges Ende Februar zeigt sich Gaddafi öffentlich. Hat das eine besondere Bedeutung?

Gaddafi empfing die Delegierten der AU in Bab al-Aziziyah, seiner Residenz in Tripolis, wo er sich seit Wochen verschanzt hält. Bilder zeigen die Vertreter der AU zusammen mit dem libyschen Machthaber vor dessen Beduinenzelt. Gaddafi präsentiert sich in seinem gewohnten Stil, ganz in braun gekleidet, wie er sich schon bei seiner Wutrede Ende Februar im libyschen Fernsehen gezeigt hat.

Eine besondere Bedeutung will der Politologe Mattes diesem Auftritt nicht beimessen. Es sei klar, dass es von einem solchen offiziellen Empfang Bilder gebe, ähnliche Bilder werde es mit den Vertretern der oppositionellen Regierung in Bengasi geben.

Ist die Afrikanische Union ein neutraler Vermittler?

Muammar al-Gaddafi war vor zwei Jahren Vorsitzender der Organisation und gilt als wichtiger Geldgeber der Organisation. Der Politologe El-Aouni schätzt denn auch, dass Gaddafi den Vertretern der Delegation finanzielle Mittel für das diplomatische Scheinmanöver in Aussicht gestellt haben könnte. Libyen-Experte Mattes hingegen schätzt die Absichten der AU-Delegation anders ein und glaubt, dass die AU tatsächlich eine wichtige Vermittlerrolle übernehmen könne. Er begründet dies damit, dass die Libyer sehr sensibel auf ausländische Einmischung reagieren - insbesondere von Seiten der Europäer und der Amerikaner.

Als Vermittler kommen Mattes zufolge lediglich andere arabische Staaten oder afrikanische Länder in Frage. Während El-Aouni ganz klar den Rückzug Gaddafis als Bedingung für Verhandlungen mit der Opposition sieht, tritt Mattes dafür ein, dass der Vermittler eine neutrale Position wahren müsse. Die Türkei, die vor wenigen Tagen ebenfalls eine Friedensinitiative gestartet hatte, habe diese Position verspielt, als der türkische Präsident Abdullah Gül Gaddafi zum Rücktritt aufgefordert habe.

Ist in Libyen eine Übergangsperiode ohne institutionelle Strukturen überhaupt möglich?

Ja, sagt Libyen-Experte Mattes. Denn die Gremien für eine Diskussion über die künftige politische Ausgestaltung des Landes seien vorhanden. Mattes spielt dabei auf die 450 Basisvolkskongresse in Libyen an, die die Träger des - zumindest formell - direktdemokratischen Systems sind.

In diesen Versammlungen könnten wichtige Fragen geklärt werden: Soll es einen Präsidenten oder ein Kollektivorgan geben? Sollen politische Parteien zugelassen werden? Die Übergangsphase könnte allerdings an Gaddafi scheitern. Denn um eine freie Diskussion zu ermöglichen, müsste sich der Oberst als Revolutionsführer zurückziehen. Und das hält Mattes für sehr unwahrscheinlich: "Ich glaube nicht so recht daran".

Kommt es zur Teilung des Landes?

Eine solche Zweiteilung ist aus Sicht des Politologen Mattes bereits jetzt der Fall. Der Osten ist in den Händen der Aufständischen, die Frontlinie verläuft nahe Gaddafis Geburtsort Sirte. Im Osten haben sich viele desertierte Offiziere zusammengeschlossen, die Gaddafi aus Loyalität gegenüber ihrem eigenen ostlibyschen Stamm den Rücken gekehrt hätten. Zwar würde ein Waffenstillstand diesen Status Quo noch verfestigen. Dennoch sei in der jetzigen Situation eine Feuerpause der wichtigste Schritt.

Vor wenigen Tagen hatte Nato-Generalsekretär Rasmussen eingeräumt, wie verfahren die Lage ist: Eine militärische Lösung für den Konflikt gebe es nicht. Allerdings sei völlig offen, wie sich die beiden Teile Libyens weiterentwickeln werden: Mattes zufolge gebe es vermehrt Anzeichen, wonach im sogenannten befreiten Osten des Landes islamistische Gruppierungen an Einfluss gewinnen würden.

Der Berliner Politikwissenschaftler El-Aouni weist diese Einschätzung zurück - auch dies sei Propaganda von Seiten Gaddafis, um die Angst des Westens vor Islamisten zu schüren.

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