Libyen: Chancenlose Rebellen:Der Mut ist ihre einzige Waffe

"Gebt mir ein Gewehr, ich will kämpfen": Junge Männer ohne jede Kampferfahrung stürzen sich in die Schlacht gegen das Gaddafi-Regime. Keiner führt das Kommando. Keiner weiß, wie sie den Krieg gewinnen sollen. Die Niederlage in Bin Dschawwad zeigt, wie sehr die Rebellen auf die Luftunterstützung der Alliierten angewiesen sind.

Tomas Avenarius, Bin Dschawwad

Wie ein Prediger steht Abdullah Ali auf der Motorhaube seines Jeeps, ruft die Umstehenden zur Einsicht auf: "Der Feind hat schwere Waffen. Wir haben keine. Es ist sinnlos, einfach vorzustürmen." Ali schaut sich um. Keiner hört ihm zu. Der 50-Jährige aus Bin Dschawwad versucht es ein zweites Mal: "Spart doch die Munition. Wir brauchen sie noch in unserem Freiheitskampf."

Libyen: Chancenlose Rebellen: Die Rebellen haben keine Schweren Waffen, nicht mehr Funkgeräte. Sie haben nur ihren Mut. Das ist in der Schlacht gegen das Gaddafi-Regime eindeutig zu wenig.

Die Rebellen haben keine Schweren Waffen, nicht mehr Funkgeräte. Sie haben nur ihren Mut. Das ist in der Schlacht gegen das Gaddafi-Regime eindeutig zu wenig.

(Foto: AP)

Ali schaut vom Wagen herunter auf den Haufen junger Kämpfer um ihn herum. Einige tragen Phantasieuniformen, andere Sportanzüge. Einige schießen jetzt in die Luft. Kaum einer interessiert sich für das, was Ali ihnen zu sagen hat - obwohl er der einzige ist, der wenigstens etwas militärische Erfahrung hat, und der das Terrain kennt. Ein letzter Versuch, von der Behelfskanzel herunter für das Mindestmaß an militärischer Disziplin im libyschen Freiheitskampf zu sorgen: "Wer aus Tobruk ist oder aus Baida und unsere Gegend hier nicht kennt, darf keinesfalls alleine nach vorne gehen." Ein junger Mann fällt Ali ins Wort: "Ich bin gerade aus Tobruk gekommen, ich habe keine Waffe. Gebt mir ein Gewehr! Ich will kämpfen!"

Abdullah Ali steht auf der Motorhaube auf verlorenem Posten. Es geht ihm so wie der gesamten Rebellenarmee vor Bin Dschawwad: Keiner führt das Kommando. Keiner hört zu. Keiner weiß, was er macht. Kurz: Keiner kann sagen, wie sie den Krieg gewinnen sollen gegen den Machthaber Muammar al-Gaddafi.

Dessen Truppen haben sich rund 30 Kilometer weiter westlich eingegraben, schießen mit weitreichenden "Grad"-Raketenwerfern, rücken geordnet vor. Die Einschläge kommen näher, der Konvoi der Hals über Kopf von der 30 Kilometer entfernten Front fliehenden Rebellen wird schnell länger: Die Regierungstruppen schieben die Rebellen mit den Raketen vor sich her.

Wenige Minuten nach Alis fruchtloser Predigt beginnen auch die todesmutigen Rebellen auf dem Marktplatz von Bin Dschawwad die wilde Flucht: Ein chaotischer Treck aus Jeeps, Pick-up-Trucks, Kleinbussen und Autos setzt sich in Bewegung. Hunderte Männer schreien durcheinander, lose Munition tanzt auf den Ladeflächen, Granaten fallen auf den Asphalt. Zu sehen ist der ungeordnete Rückzug der Aufständischen aus Bin Dschawwad. Ihr Vormarsch auf Gaddafis Hauptstadt Tripolis ist vorerst gestoppt.

Mit Mut alleine ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. Der Wüstenort Bin Dschawwad war erst vor drei Tagen von den Aufständischen eingenommen worden. Einen Tag später meldeten die Rebellen triumphierend, sie hätten auch den gut 150 Kilometer weiter westlich gelegenen Gaddafi-Heimatort Sirte erobert. Alles Wunschdenken.

Die Milizionäre des Diktators hatten sie in Hinterhalte gelockt, mit schweren Waffen beschossen. Vor allem aber: Die westlichen Kampfflugzeuge haben bisher nicht wirklich eingegriffen vor Sirte. Sie haben den Rebellen den Weg nicht freigebombt, wie sie es in den weiter östlich gelegenen Orten Adschdabija, Brega und Ras Lanuf getan hatten. Erst nachdem die Jets Gaddafis Bodentruppen ausgeschaltet hatten, konnten die Rebellen vorstoßen.

Alles ist ein wildes Durcheinander

Keine 40 Kilometer vor Bin Dschawwad aber haben sich die Regierungstruppen in einem Tal namens Wadi Ahmar eingegraben. Die Nato-Flugzeuge lassen sich an diesem Morgen dort nicht sehen. An der Straße vor dem Ortseingang steht einer der wenigen Rebellenkämpfer, die noch zurückbleiben. Mohamed al-Huni hat militärische Erfahrung, jedenfalls für einen der libyschen Aufständischen: Er kämpft seit 14 Tagen. Der 25-Jährige fragt: "Wo ist Sarkozy? Wir brauchen Hilfe!"

Der Kampf um Bin Dschawwad zeigt: Ohne Luftunterstützung haben die Rebellen nicht die geringste Chance. Das einzige, was bei ihnen im Gleichklang läuft, sind die Allahu-Akbar-Rufe, die sie ausstoßen, wenn einer ihrer kleinen Raketenwerfer eine ungezielte Salve in die grobe Richtung der Gaddafi-Front feuert. Alles andere ist wildes Durcheinander. Die Rebellen haben weder Funkgeräte noch schwere Waffen. Es fehlt ihnen an Disziplin, Führung und Taktik. Das einzige was sie haben, ist ihr Mut. Das ist an diesem Morgen eindeutig zu wenig.

Seit Wochen erzählen die Führer der Aufständischen, dass sie aus den jugendlichen Freiwilligen nun eine kampfstarke Armee formen werden. Von Gaddafi übergelaufene Offiziere würden echte Streitkräfte aufbauen. In Bin Dschawwad ist davon nichts zu sehen. Nur der Name der Rebellenarmee, der ist bekannt: Die "Armee des 17.Februar", benannt nach dem Tag des Ausbruch der Revolution in Libyen.

Der Rebell al-Huni hört auf die Einschläge und erzählt: "Vorne an der Front stehen ein paar Offiziere unserer Armee. Sie teilen uns ein. Sie sagen uns, was wir machen sollen." Dann hält er kurz inne, fügt hinzu: "Aber Abends machen wir unsere eigenen Pläne. Dann stoßen wir im Dunkeln vor." Al-Huni ist ein Student aus Bengasi. Er ist nur einer von vielen jungen Libyern, die ihr Leben ohne jede Bedenken riskieren in diesem Krieg, die ohne jede Führung und ohne jedes Training gegen ausgebildete Soldaten kämpfen.

Der Kämpfer kramt in der Hosentasche seiner Uniform, zieht ein sorgsam gefaltetes Blatt Papier hervor. Es ist die Fotokopie eines Fotos, das zwei junge Männer zeigt: "Ahmed und Walid al-Faituri, zwei sehr gute Freunde von mir. Ich habe sie verloren." Dann sagt er, fast nebenbei, dass sein älterer Bruder umgekommen ist: "Vor ein paar Tagen, bei den Kämpfen um Ras Lanuf." Al-Huni sagt: "Ich habe schon so viele verloren. Hier kämpft ganz Libyen."

Über Bin Dschawwad stehen die ersten Explosionswolken der Raketen. Keiner der Aufständischen weiß, wie viele ihrer Kämpfer in den letzten beiden Tagen ums Leben gekommen sind. Die einen reden von Dutzenden, die anderen von Hunderten. Aus ihren Erzählungen wird klar: Die Regierungstruppen haben ein leichtes Spiel mit der Armee des 17. Februar. Kurz hinter der Stadt seien sie in einen Hinterhalt geraten, sagt einer der Aufständischen: "Sie kamen mit einer weißen Fahne auf uns zu. Wir gingen ihnen friedlich entgegen." Fast ungläubig schließt er: "Dann haben sich die Vorderen von ihnen hingeworfen. Und die dahinter haben auf uns geschossen."

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