Libyen:Am Rand des Strudels

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Syrien, der Irak, jetzt zerfällt mit Libyen ein weiterer arabischer Staat. Die Folgen sind ähnlich: Kämpfe, Chaos - und der Islamische Staat ist zur Stelle. Doch eine Militärintervention wäre ein Fehler.

Von Paul-Anton Krüger

Syrien, der Irak - jetzt Libyen? Ein weiteres Land im Nahen Osten steht am Rande des Zerfalls. Das deutlichste Zeichen, dass eine gefährliche Spirale in Gang ist, die immer mehr Gewalt und Chaos bringt, ist die grausame Enthauptung von 21 ägyptischen Christen durch Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat. Kairo reagiert mit Luftangriffen, angeblich jagen auch Spezialeinheiten auf libyschem Territorium die Kopfabschneider. Die Islamisten-Miliz Morgenröte antwortet mit ihren ersten Luftangriffen. Und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat eine Militärintervention gefordert - Italien und Frankreich wiesen dieses Ansinnen nicht kategorisch von sich.

Bedrohung rückt näher an Europa

Der Reflex in Ägypten ist nachvollziehbar, das Land teilt 1000 Kilometer Grenze mit Libyen, dort kommt es immer wieder zu Scharmützeln. Es ist der Albtraum der vom Militär dominierten Regierung, dass Dschihadisten in das kaum zu kontrollierende Wüstengebiet einsickern. Sie rechtfertigt ihren repressiven Kurs damit, dass sie den Bürgern Sicherheit biete - die den ersehnten Aufschwung möglich machen soll. Ebenso ist die Sorge der Mittelmeeranrainer in Europa verständlich: Der Strand, an dem das Blut der Kopten das Wasser rot färbte, ist, anders als der Irak und Syrien, von Italien nur ein wenige Hundert Kilometer entfernt. Die messerschwingenden Dschihadisten tönen, sie stünden südlich von Rom - das ist Propaganda, aber die Bedrohung rückt näher an Europa heran.

Die beste Hoffnung zu verhindern, dass Libyen endgültig ins Chaos abgleitet, bleiben die Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen. Anders als im Irak und in Syrien halten die Dschihadisten in Libyen bislang keine bedeutenden Städte oder große Gebiete. Die Kämpfe zwischen den Islamisten-Milizen, die Tripolis kontrollieren, und der international anerkannten Regierung in Beida, verlaufen auch nicht entlang religiöser Trennlinien. In dem Konflikt geht es um die Verteilung der politischen Macht und den Zugang zu den reichen Ressourcen des Landes - darum also, wer Anspruch hat auf eine Dividende aus der Revolution und dem Sturz des Tyrannen Muammar al-Gaddafi.

Ein weiterer arabischer Staat zerfällt - mit allen blutigen Folgen

Beide Seiten haben anders als die Dschihadisten, von denen viele Ausländer sind, das Interesse, eine Eskalation à la Syrien oder Irak zu vermeiden, sie bringen sich sonst um die Früchte des Kampfes. Das verleiht Vermittlungen gewisse Erfolgsaussichten; Gespräche mit dem Ziel, eine Einheitsregierung zu bilden, sind unlängst wieder aufgenommen worden - jedoch ohne Beteiligung der Morgenröte. Diese Chance schwindet aber, wenn die Miliz und die von ihr gestützte Gegenregierung in Tripolis befürchten müssen, dass unter dem Vorwand, gegen den IS vorzugehen, durch eine Intervention militärisch eine Entscheidung des Konflikts herbeigeführt werden soll. Man darf sich nur keiner Illusionen hingeben, mit wem man es zu tun hat: Die Morgenröte bezweifelt, dass die Kopten in Libyen ermordet wurden, und hat bisher bereitwillig darüber hinweggesehen, dass manche ihrer Verbündeten nicht weit entfernt sind von den IS-Dschihadisten.

Nötig ist ein abgestimmtes Vorgehen, in dem Europäer und Amerikaner Sisi zur Zurückhaltung drängen sollten. Dazu wird sich Ägypten aber allenfalls dann bewegen lassen, wenn ein Eingreifen als Ultima Ratio nicht von Anfang an ausgeschlossen ist. Zumindest ließ Kairo fürs Erste die Forderung nach einer internationalen Militäroperation fallen - was jedoch nicht das Ende der ägyptischen Operationen im Nachbarland bedeutet. Kairo verlangt nun, dass das Waffenembargo gegen die international anerkannte Regierung fällt.

Ohne massiven Druck von außen wird es nicht gehen: Die Situation in Libyen hat jedenfalls bislang nicht gereicht, dass sich die Konfliktparteien wirklich zum Kompromiss bereit gezeigt hätten. Teil jeder Lösung muss ein koordiniertes Vorgehen gegen die Dschihadisten sein. Dann ist Libyen noch nicht verloren. Aber ohne eine große Kraftanstrengung von außen, wird es dem apokalyptischen Strudel anheimfallen, der schon Irak und Syrien verschlungen hat.

© SZ vom 19.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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