Liberales Kurs-Gerangel:FDP-Trio um Lindner prescht vor

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Ein Appell, angeblich ohne Abstimmung mit Parteichef Westerwelle: Die liberalen Spitzenpolitiker Lindner, Rösler und Bahr fordern, die FDP müsse dominanter regieren. Es gibt weitere Fingerzeige an Westerwelle, der Union und der Kanzlerin stärker Paroli zu bieten.

Kurz vor dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart gewinnt die Richtungsdebatte an Fahrt. Drei liberale Spitzenpolitiker gingen mit einem Reform-Appell unter dem Titel "Jetzt erst recht" in die Offensive. In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung forderten FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der niedersächsische FDP-Chef und Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler sowie der NRW-Landesvorsitzende Daniel Bahr, das Partei-Profil zu schärfen.

Parteichef Guido Westerwelle und FDP-Generalsekretär Christian Lindner bei einem Auftritt im Oktober (Foto: dapd)

Die drei FDP-Führungsfiguren kritisierten in dem "Neujahrsappell" die innerparteilichen Personaldebatten, weil diese den erforderlichen "Erneuerungsprozess" gefährdeten. Zugleich bemängelten sie den Kurs der Parteispitze: "Die erfolgreiche Oppositionsarbeit zur großen Koalition hatte allerdings dazu geführt, dass das Bemühen um thematische Verbreiterung und um die sympathische Vermittlung unser konzeptionellen Vorschläge weniger dringlich schien."

In der schwarz-gelben Koalition seien "hinlänglich" diskutierte Fehler gemacht worden, deshalb forderten Bahr, Lindner und Rösler nun, dass die FDP dort auch punktet: "Die entscheidenden Impulse für neues Vertrauen müssen deshalb auch aus der Regierungsarbeit kommen."

CDU und CSU hätten die Liberalen in "kräftezehrende" Debatten geführt, "an deren Ende nicht durchgreifende Reformen, sondern nur Kompromisse stehen". Von Westerwelle verlangte das Trio indirekt, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Union Zähne zu zeigen: Künftig sollte die FDP ihre "Partner stärker als bisher durch eigene Vorschläge programmatisch herausfordern, um im gemeinsamen Interesse zu ehrgeizigeren Vorhaben zu kommen".

Wie die Nachrichtenagentur dpa erfuhr, wurde Westerwelle von den Autoren über Inhalte des Appells in Kenntnis gesetzt, der Text wurde jedoch nicht mit ihm abgestimmt. Westerwelle wird in dem Appell laut Zeitung nur mit dem Hinweis erwähnt, unter seiner "Federführung" seien in der FDP-Krise der 90er Jahre die "Wiesbadener Grundsätze" formuliert worden, durch die die Partei damals "neues Vertrauen" gewonnen habe.

Forderung nach einem "symbolhaften Sieg"

Aufforderungen an den Vizekanzler, offensiver in der Koalition aufzutreten, kommen auch aus anderen Teilen der FDP: Die Nachwuchsorganisation Junge Liberale erwartet von der Mutterpartei den Nachweis, dass sie in der Koalition mit CDU und CSU etwas durchsetzen kann. JuLi-Chef Lasse Becker benannte in der Leipziger Volkszeitung zwei symbolische Punkte: Der "klare Kurs" der von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) müsse gegen den Widerstand der Union gehalten werden. Zweitens müsse "das System der Mehrwertsteuer (...) rasch und erkennbar vereinfacht werden, auch wenn sich der Bundesfinanzminister (Wolfgang Schäuble, CDU) dagegen sträubt", sagte Becker.

Dieselbe Zeitung berichtet unter Berufung auf "kritische FDP-Funktionsträger aus den Ländern" über ein Papier, das Bedingungen für die Weiterarbeit der gewählten Partei- und Koalitionsspitze festhält. Danach müsse unter anderem Vizekanzler Westerwelle in nächster Zeit "einen symbolhaften Sieg" in der schwarz-gelben Koalition erringen, der der FDP von der Öffentlichkeit gutgeschrieben werde. Eine "wahrnehmbare Eigenständigkeit" müsse Grundlage der Arbeit der gesamten FDP-Führung werden.

Wolfgang Gerhardt, Westerwelles Vorgänger als FDP-Chef, lenkte vor dem Dreikönigs-Treffen am Donnerstag die Aufmerksamkeit auf die Programmarbeit. In seinem Beitrag für die Frankfurter Rundschau warnte er vor einer Verengung des Liberalen im politischen Alltag. Die Freiheit, nach der Liberale stets strebten, biete "eben nicht nur Raum für hedonistische Selbstverwirklichung" und äußere sich nicht nur in einer Freiheit von Steuern und Abgaben.

Rufe nach Kurskorrektur mehren sich

Der FDP-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin, forderte seine Partei zur Kurswende auf. Mertin, der Westerwelle jüngst als "Klotz am Bein" bezeichnet hatte, plädierte in einem Gastbeitrag auf sueddeutsche.de, sich auf "Bürgernähe und Graswurzel-Liberalismus" zurückzubesinnen. Die FDP müsse bodenständige Basis- und Bürgerbewegung sein. "Die Welt der FDP ist nicht die Glitzerwelt der Finanzjongleure", schrieb Mertin, der die Fraktion im Mainzer Landtag führt. Die Zukunft der FDP entscheide sich in den Regionen.

Auch der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) forderte eine Kurskorrektur. "Guido Westerwelle muss die FDP für die Zukunft profilieren, und zwar nicht nur mit dem Thema 'Mehr Netto vom Brutto'", sagte er den Stuttgarter Nachrichten. Nach Ansicht Baums hat die FDP "ein Problem mit der mangelnden öffentlichen Akzeptanz von Westerwelle". Zudem verlangte der Ex-Minister eine personelle Erneuerung und "deutliche Verjüngung".

Überschattet von der Kurs- und Führungsdebatte kommt die FDP in Baden-Württemberg an diesem Dienstag in Stuttgart zu einem zweitägigen Landesparteitag zusammen. Etwa 400 Delegierten beraten über das Programm zur Landtagswahl am 27. März. Bei der Landtagswahl 2006 hatte die Südwest-FDP noch 11,7 Prozent geholt. Inzwischen liegt die FDP in ihrem Stammland Baden-Württemberg bei fünf Prozent oder darunter und muss um den Wiedereinzug in den Stuttgarter Landtag fürchten.

© sueddeutsche.de/odg/dpa/dapd/AP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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