Liberale nach dem Mitgliederentscheid:Erosionspartei FDP

Um das Ergebnis des Mitgliederentscheids zum Euro-Rettungsschirm als Erfolg zu werten, muss man wohl FDP-Chef sein. Zwei Drittel aller Mitglieder haben sich an der Abstimmung gar nicht beteiligt, vom Rest hat nur knapp die Hälfte die Parteiführung gestützt. Inzwischen hat die FDP einen Rettungsschirm fast noch nötiger als der Euro.

Kurt Kister

Wer heute eine fünfjährige Tochter hat, dem mag es in zehn Jahren widerfahren, dass sie fragt: "Papa, was war eigentlich diese FDP für eine Partei?" Wenn man Zeit hat, kann man weit ausholen und erzählen von Theodor Heuss und Hans-Dietrich Genscher, von dem Drei-Parteien-System in einer Bundesrepublik, die es nicht mehr gibt, und vielleicht auch davon, was ein Zünglein an der Waage in jenen Zeiten war, als es noch Balkenwaagen gab.

Hat man aber diese Geduld nicht, muss man eigentlich nur sagen: "Ach weißt du, manchmal werden Parteien zuerst unmodern und dann überflüssig. Dass sie überflüssig sind, merkt man daran, dass sie nichts mehr zu bieten haben, was die Leute wollen."

Bei der FDP ist zu erkennen, dass sie kaum mehr etwas hat, was die Wähler noch wollen, zumal von ihr. Bis 2009 wollten die Leute von der FDP Opposition; die hat sie gekonnt. Danach wollten ihre Wähler aber professionelles Regierungshandeln, das Umsetzen von ökonomischer Liberalität und entschiedenem Bürgerrechtsdenken.

Dabei hat die FDP versagt, sie konnte das, was viele erwarteten, weder verkörpern noch durchsetzen. Ihr Wahlsieg mit 14,9 Prozent vor zwei Jahren war so etwas wie der Zustand des größten Aufblähens einer Blase. Wähler aus dem Mittelstand projizierten 2009 ihre Hoffnungen auf die FDP, die nicht einmal als Projektionswand genug taugte.

Das ist vorbei, die FDP fliegt aus den Länderparlamenten und 2013 vielleicht aus dem Bundestag. Große und kleinere Chefs kommen und gehen; sie beschuldigen sich gegenseitig, dass der jeweils andere jene Luft, welche die Blase füllte, nicht aufgefangen hat. Westerwelle ist weg, aber nicht ganz; Brüderle ist immer wieder mal weg; Rösler ist da und weg zugleich.

Ob man sich Namen wie Döring überhaupt merken muss, weiß man nicht. (Eine Eselsbrücke: Döring war der mit dem Außenspiegel.) Die FDP ist eine Partei im Niedergang, sie ist manchmal lächerlich, wie selbst ihr Vize-Vorsitzender Zastrow sagt. Das ist durchaus traurig. Die FDP hat in ihren besten Zeiten die CDU gebremst, die SPD am Boden verankert und mitgeholfen, die Gesellschaft zu erneuern. Perdu.

Immerhin hat die FDP jetzt noch einmal eine Krise überwunden. Überwunden? Na ja. Zwei Drittel aller Mitglieder haben sich an dem angeblich existentiellen Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm nicht beteiligt. Man kann das, wie Philipp Rösler, als Zustimmung interpretieren. Dazu aber muss man wohl FDP-Vorsitzender sein. Nein, zwei Dritteln war es egal, und von dem restlichen Drittel hat nur knapp die Hälfte die Parteiführung gestützt. Wären es ein paar hundert oder vielleicht auch 2000 Stimmen weniger gewesen, dann wäre Rösler gestürzt.

Ein Hauch russischer Demokratie

Bei der Auszählung hat man offenbar relevant viele Stimmen - gut 2400 - als nicht abgegeben gewertet, weil bei ihnen der Nachweis der FDP-Mitgliedschaft fehlte. Das ist, auch wenn die Zählkommission das anders sah, problematisch, denn die Mehrheit für den Kurs des Parteivorstandes ist knapp, und auch das Quorum wurde nur knapp verfehlt. Fazit: Während es in der FDP insgesamt nach Volkssturm und Halten bis zur letzten Patrone riecht, weht bei der Auszählung des Mitgliederentscheids ein Hauch von russischer Demokratie.

Wie es um Loyalität und Interesse am Schicksal der Partei steht, hat der fortgelaufene Generalsekretär Christian Lindner in dieser Woche eindrucksvoll bewiesen. Man denkt an Oskar Lafontaine und Horst Köhler. Wird Rösler danach gefragt, warum sein engster Mitarbeiter in der Partei kapituliert hat, sagt der FDP-Chef mit der ihm eigenen Mischung aus Trotz und Naivität, er wisse es nicht. Klasse, das ist Führungskunst.

Einen guten Zeitpunkt für selbstinduzierte Rücktritte gibt es selten. Trotzdem erinnert Lindners Abgang an den alten Country-Song von Kenny Rogers, in dem sich der Mann beschwert, dass ihn die Frau ausgerechnet dann verlässt, wenn vier Kinder hungern, die Ernte auf dem Feld steht und auch sonst nichts bestellt ist: You picked a fine time to leave me, Lucille.

Wenn eine Partei immer wieder beschwört, sie werde von jetzt an nur noch nach vorne blicken, weiß man, dass sie Angst vor ihrem eigenen Schatten hat. Allerdings ist die FDP nicht nur eine Selbstbeschäftigungsmaschine, sondern auch noch Regierungspartei. Man merkt das nicht immer sofort. Der liberale Beitrag zur Bekämpfung der Euro-Krise zum Beispiel bestand in erster Linie darin, dass man sich in der Partei darüber stritt, ob man denn nun die Linie der Bundeskanzlerin mittragen solle oder nicht.

Der Außenminister schien anderswo tätig zu sein, was auch allmählich Auswirkungen auf das Ansehen des Außenministeriums zu Hause und in der Welt hat. Ja, Joschka Fischer war ein eitler Bursche mit einer partiell zweifelhaften Vergangenheit, aber er gab auch als Repräsentant des kleinen Koalitionspartners dem Außenministerium in vielerlei Hinsicht Gewicht. Guido Westerwelle hat nicht einmal eine zweifelhafte Vergangenheit.

Angst vor dem eigenen Schatten

Merkels CDU ist an eine Partei gefesselt, die einen Rettungsschirm nötiger zu haben scheint als der Euro. Eine FDP-Stabilitätszone gibt es nicht. Zwar profitiert die Union ein wenig von der Schwäche der FDP, denn jene zwei, drei Prozentpunkte, mit denen es in den Umfragen für die Union hin und wieder aufwärts geht, sind wohl auf reuige FDP-Wechselwähler zurückzuführen. Allerdings hilft das nicht viel, denn eine Wiederauflage von Schwarz-Gelb 2013 ist ausgeschlossen.

Andererseits bleibt der Union nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass den Liberalen nichts Ernsthaftes zustößt vor 2013. Bräche die schwarz-gelbe Koalition auseinander, würde die SPD nicht in eine Rettungsregierung unter der Leitung von Merkel eintreten. Es müsste zu einer Wiederholung jener Prozedur kommen, die Gerhard Schröder 2005 durchexerziert hat. Seine Regierung scheiterte damals letztlich an den inneren Widersprüchen der sie tragenden Parteien.

Schröder vergrätzte mit seiner Agenda 2010 und seinem Führungsstil eine große Unterfraktion innerhalb der SPD, verärgerte viele Grüne und wurde außerdem zu einem der illegitimen Väter jenes Ost-West-Konglomerats, das sich heute Linkspartei nennt. Auch weil bis 2005 immer mehr Länder an unionsgeführte Regierungen fielen, was die Verhältnisse im Bundesrat umstieß, zog Schröder im Juni 2005 die Konsequenz, nach einer planmäßig verlorenen Vertrauensfrage den Bundestag durch den Bundespräsidenten auflösen zu lassen, um so zu Neuwahlen zu kommen.

Den einschlägigen Artikeln der Verfassung über die Vertrauensfrage und das Misstrauensvotum liegt auch die Idee zugrunde, dass es eine handlungsunfähige Regierung nicht geben darf. Bis zu einem gewissen Grad war Rot-Grün 2005 nicht mehr politisch handlungsfähig. Schwarz-Gelb bewegt sich Ende 2011 wegen der Erosionspartei FDP schnurgerade in diese Richtung. Vorzeitige Neuwahlen allerdings bedeuteten auf absehbare Zeit das Ende der FDP in der Bundespolitik.

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