Liberale:"Angst passt zu Lindner so wenig wie Schwarzenegger eine Slim-Fit-Jeans"

Scheitern der Jamaika-Sondierungen

Christian Lindner erhält momentan viel Aufmerksamkeit.

(Foto: picture alliance / Bernd von Jut)

Was sagen eigentlich FDP-Wähler zum Abbruch der Jamaika-Sondierungen? Wir haben sie gefragt.

Von Hannah Beitzer, Berlin, und Jana Anzlinger

FDP-Chef Christian Lindner hat die Jamaika-Sondierungen abgebrochen. Und seine Anhänger? Freuen sie sich über ein starkes Signal oder schämen sie sich für die kompromisslose Entscheidung? Wie würde es der FDP nach einer Neuwahl ergehen? Das wollten wir wissen und haben FDP-Wähler auf Facebook gebeten, uns ihre Meinung zu schicken. Innerhalb weniger Stunden waren es Hunderte Mails. Mit einigen Wählern haben wir telefoniert, andere haben unsere Fragen schriftlich beantwortet.

Repräsentativ für alle FDP-Wähler ist unsere Auswahl sicher nicht, doch sie zeigt die Spannbreite der Ansichten - die nach dem Abbruch der Gespräche weiter auseinanderliegen, als das Führungspersonal der FDP es wohl gerne hätte.

Warum haben Sie die FDP gewählt?

Daria J., 33, Studienrätin: Wegen ihrer liberalen Werte und weil ich auf eine schwarz-gelbe Koalition spekuliert habe. Ich habe bisher nur ein einziges Mal einer anderen Partei meine Zweitstimme gegeben.

Dirk F., 45, Creative Director: Weil ich sie immer wähle, aber auch weil sie einen großen Sprung nach vorne gemacht hat. Christian Lindner ist zugänglich, sympathisch, hat gute Ideen, gute Konzepte, ein gutes Team und eine Vision. Ich kann ihn mir als Kanzler gut vorstellen.

Markus M., 55, Ingenieur: Ich komme eigentlich aus der linken Ecke. Die FDP habe ich eher aus Verzweiflung gewählt, weil sie die Einzige ist, die bestimmte Fragen wenigstens anspricht. Ich kann auch mit einigen Positionen von AfD und Frauke Petry etwas anfangen - doch die Partei ist natürlich unwählbar.

Maximilian P., 21, studiert Wirtschaftsinformatik: Ich bin Erstwähler und habe mir die Programme vor der Bundestagswahl genau angesehen, genau wie die Auftritte der Politiker in Talkshows. Die FDP hat mich vor allem wegen der Digitalisierung überzeugt, weil sie zum Beispiel ein Digitalministerium möchte und Medienkompetenz in der Schule unterrichten will. Auch die Idee eines Einwanderungsgesetzes finde ich gut. Ansonsten bin ich ein Merkel-Fan. Allerdings wohne ich in Bayern, da kann ich ja nur die CSU wählen. Und die ist mir zu populistisch. Wie sie auf der Obergrenze beharrt hat, das fand ich nicht gut.

Kyra K., 26, Redaktionsvolontärin: Ich halte Christian Lindner für einen sehr authentischen Politiker, vielleicht liegt das an seinem Alter. Mich überzeugen seine Ausdrucksweise und seine Einstellung zu den verschiedensten Themen. Außerdem habe ich mich durch das Programm der FDP, gerade was die Digitalisierung, Bildung, den Solidaritätszuschlag und die Einwanderungspolitik betrifft, am meisten angesprochen gefühlt.

Wie beurteilen Sie den Abbruch der Sondierungen?

Dirk F., 45, Creative Director: Der Abbruch ist nur konsequent und logisch. Es war einen Versuch wert, aber man sollte es bei dem Versuch belassen, bevor man seine Seele für das Amt des Außenministers, Vizekanzlers und andere Privilegien verkauft. Die These, dass die FDP aus Angst vor der Regierungsverantwortung gehandelt hat, ist ganz großer Unsinn. Sie hat lange Zeit Deutschland mitregiert und kann es heute auch noch. Angst passt zu Lindner so wenig wie Arnold Schwarzenegger eine Slim-Fit-Jeans.

Mirko T., 42, Systemadministrator: Jamaika wäre eine Chance für einen echten politischen Neuanfang in Deutschland gewesen. Daher war ich wirklich fassungslos, als ich vom Abbruch hörte. Mittlerweile bin ich einfach nur noch enttäuscht. Der öffentliche Umgang mit der FDP ist viel zu positiv. Wenn es stimmt, dass die FDP die Sondierungsgespräche abgebrochen hat, dann fühle ich mich irgendwie um meine Stimme betrogen. Eine Partei, die ihren Mitregierungsauftrag ignoriert, ist für mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Matthias B., 46, Autor und Unternehmensberater: Ich finde den Abbruch nicht so schlimm. Besser merkt man jetzt, dass das nicht zusammengeht, als nach einem Jahr Regierung. Allerdings hätten die Sondierer das schon nach einer Woche merken können, da muss man doch nicht vier Wochen lang drum herumreden.

Hannah K., 22, studiert Public Relations: Dass der Verhandlungsabbruch geplant war, glaube ich schon. Die Unterhändler sollen auf einmal gemerkt haben, dass sie ihre Forderungen nicht durchbringen? Das kaufe ich Christian Lindner nicht ab. Trotzdem gebe ich nicht nur den Liberalen die Schuld. Ich habe das Gefühl, dass alle nur an ihre eigenen Interessen gedacht haben: Die CSU hat versucht, vor ihrer Landtagswahl besonders hart rüberzukommen. Die Grünen sind einfach nur geil aufs Regieren. Und der FDP steht eben Christian Lindners Ego im Weg.

Christian M., 47, Internist: Ich finde den Abbruch der Verhandlungen unverantwortlich, geradezu katastrophal. Ich bin auch persönlich enttäuscht. Die Jamaika-Koalition hätte genau den Konsens repräsentiert, wie ich ihn in meinem privaten Umfeld wiederfinde. Meine Frau wählt Grüne, ich habe FDP gewählt, meine Eltern wählen CDU. Die Fragen, die die Jamaika-Sondierer diskutiert haben, diskutieren wir am Essenstisch. Die Positionen liegen nicht so weit auseinander. Falls die Berichte, die FDP habe in der Flüchtlingspolitik gebremst, stimmen, würde ich sagen: Das kommt mir vor wie die AfD im Schafspelz.

Carsten N., 40, Geschäftsführer: Ich sehe den Abbruch der Sondierung als konsequent an. Die Partei ist schließlich in erster Linie dafür da, die Interessen der eigenen Wähler zu reflektieren und durchzusetzen. Wenn es da partout keinen Konsens gibt, dann ist eine Beendigung der Gespräche die richtige Maßnahme.

Wie soll es nun weitergehen - große Koalition, Minderheitsregierung, Neuwahlen?

Maximilian P., 21, studiert Wirtschaftsinformatik: Das ist eine unglaublich schwierige Frage. Eine Minderheitsregierung finde ich auf jeden Fall schlecht, das hat es ja noch nie gegeben. Neuwahlen finde ich auch nicht gut, weil ich befürchte, dass die AfD da noch mehr Stimmen bekommen wird. Das kleinste Übel scheint mir noch die große Koalition zu sein.

Daria J., 33, Studienrätin: Spannend fände ich eine Minderheitsregierung. Dann könnte Politik vielleicht wieder lebendig werden und festgefahrene Strukturen würden aufgebrochen. Neuwahlen finde ich problematisch, da ich befürchte, dass die AfD zu stark wird.

Dirk F., 45, Creative Director: Selbstverständlich Neuwahlen. Das ist Demokratie. Alles andere ist Unsinn. Eine große Koalition mit einer schwer angeschlagenen SPD hat absolut keine Zukunft. Eine Minderheitsregierung müsste auch von der AfD toleriert werden, und das wäre schwierig zu verkaufen. Also bleibt nur ein Neuanfang. Klar sehe ich hier auch die Gefahr eines Stimmenzuwachses für die AfD, aber am Ende ist das dann eine Folge aus der katastrophalen Politik der vergangenen Zeit. Wenn die Wunden verheilt sind, wird auch die AfD verschwinden.

Christian M., 47, Internist: Eine Minderheitsregierung kann nicht funktionieren. Stellen Sie sich mal vor, Angela Merkel wäre einmal auf die Stimmen der AfD angewiesen. Einer großen Koalition hat wiederum die SPD eine Absage erteilt - aber vielleicht kommt sie ja doch noch an den Verhandlungstisch. Bei Neuwahlen hätte ich Angst, dass derselbe Mist noch einmal passiert.

Hannah K., 22, studiert Public Relations: So eine Minderheitsregierung wäre nicht uninteressant. Vielleicht würden die Regierenden mehr auf das Land schauen als auf Parteien, wenn sie Entscheidungen ausführlicher begründen müssten.

Würden Sie der FDP noch mal Ihre Stimme geben - wenn ja warum, wenn nein, wem dann?

Markus M., 55, Ingenieur: Mit ihrem jetzigen Kurs: Ja!

Christoph S., 27, Kundenberater: Nein, definitiv nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Stimme ernst genommen wurde. Ansonsten hätte man mit dem Wahlergebnis und der Perspektive Jamaika vernünftige Politik betreiben können. Ich würde die Grünen wählen.

Kyra K., 26, Redaktionsvolontärin: Ja, würde ich, da ich nach wie vor von der politischen Richtung der Partei überzeugt bin und mich mit dem Wahlprogramm identifizieren kann.

Tobias K., 32, Business Development Manager: Nein. So sehr ich mit den Grundsätzen der FDP übereinstimme - es ist wichtig, dass Deutschland eine stabile und zukunftsfähige Regierung hat. Wir können nicht wegen parteipolitischer Querelen unsere Verantwortung gegenüber den Menschen in Deutschland, in Europa und in der Welt vernachlässigen. Ich würde die CDU mit Angela Merkel wählen - das sind die einzige Partei und die einzige Person, denen ich in dieser kritischen Situation vertraue.

Carsten N., 40, Geschäftsführer: Ja, weil die anderen keinen adäquaten Gegenentwurf präsentieren können.

Hannah K., 22, studiert Public Relations: Ganz ehrlich, am liebsten würde ich aus Protest gar nicht mehr wählen. Aber das geht natürlich nicht. Ich glaube, ich würde wieder für die FDP stimmen. Ich fände es blöde, sie quasi für den Abbruch zu bestrafen - und außerdem wüsste ich gar nicht, wen ich sonst wählen soll.

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