Libanon:Syriens Nachbar im Gleichgewicht des Schreckens

Tausende Golf-Araber verlassen fluchtartig den Libanon, weil ein mächtiger Clan mit Entführungen von Unterstützern der syrischen Rebellen droht. Der Konflikt im Nachbarland destabilisiert die Lage im Libanon zusehends. Und könnte dort die fragile Machtkonstellation ins Wanken bringen.

Juliane Meißner

Die Sorge über eine Ausweitung des Syrien-Konfliktes wächst: Dutzende Araber aus den Golfstaaten haben sich am Donnerstag auf den Weg von Beirut in ihre Heimat aufgemacht, nachdem ihre Regierungen Reisewarnungen für den Libanon veröffentlicht hatten. Grund für die Warnungen sind die Aktionen eines schiitischen libanesischen Familienverbands.

Ein Sprecher des Al-Mokdad-Clans hatte erklärt, die Familie habe einen Türken und mehr als 50 Syrer in Beirut und in der Bekaa-Ebene in ihre Gewalt gebracht. Sie wolle demnächst zudem Araber aus Staaten entführen, die den Aufstand in Syrien unterstützen. Damit wollten sie die Freilassung ihres Angehörigen Hassan al-Mokdad erzwingen. Dieser wird ihren Angaben zufolge von syrischen Rebellen gefangen gehalten.

Viele Libanesen befürchten nun, dass der Konflikt auf ihr Land übergreift. Bereits in den vergangenen Wochen hatten Medien immer wieder von Gefechten in Grenznähe zwischen syrischen Rebellen und syrischen Regierungstruppen berichtet. Artilleriegeschosse trafen Anfang August das nordlibanesische Dorf Khirbit Dawoud, dabei wurden zwei Menschen verletzt.

Strategischer Knotenpunkt im Waffenschmuggel

Hinzu kommt, dass im Norden des Landes auch eine wichtige Versorgungslinie der syrischen Rebellen verläuft. "Ein Teil der Unterstützung für den syrischen Widerstand läuft durch die vorwiegend sunnitisch bewohnten Grenzgebiete im Norden und Nordosten des Libanon", erklärt Heiko Wimmen, Mitarbeiter der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, zu Süddeutsche.de. "Sie sind strategische Knotenpunkte, auch in Bezug auf Waffenschmuggel. Aus Sicht des Assad-Regimes ist es da problematisch."

Bislang reagierte die libanesische Regierung nicht auf die Kämpfe an den Grenzen. Die Auslieferung von 14 Syrern an das Assad-Regime Anfang August zeigt aber, dass die libanesische Regierung keineswegs neutral ist. Seit 2010 wird die Mehrheit des Parlaments von der Hisbollah kontrolliert. Die islamistische Organisation wird von Syrien und Iran unterstützt. Das macht eine Auseinandersetzung mit der Syrienkrise innerhalb des Libanon fast unmöglich.

"Die libanesische Regierung ist derzeit lahmgelegt. Die politischen Gruppen scheuen die Auseinandersetzung mit der Hisbollah", sagt der libanesische Journalist und Politikwissenschaftler Abdel Mottaleb El Husseini zu Süddeutsche.de. Es herrsche derzeit ein Gleichgewicht des Schreckens. "Grund dafür ist die dominierende Stellung und starke Waffengewalt der Hisbollah."

Die Hisbollah dominiert das Land

Wimmen von der SWP betont, dass "die politischen Kräfte im Libanon kein Interesse daran haben, einen Konflikt auf libanesischem Territorium eskalieren zu lassen. Einzelne Zwischenfälle auch abseits der Grenzen können vorkommen, unter Umständen auch, um gezielt politische Punkte zu setzen." Aber insbesondere die Hisbollah habe ihre Leute im Griff.

Husseini spricht von einer instabilen politischen Lage. "Die syrische Krise spaltet den Libanon: Auf der einen Seite steht die Hisbollah, die größtenteils aus Schiiten besteht. Das andere Lager unterstützt die syrische Opposition und besteht mehrheitlich aus Sunniten." Während der syrische Widerstand wesentlich von Sunniten getragen wird, halten sich die Glaubensbrüder im Libanon meist zurück - zwangsläufig. "Etwa die Hälfte der Libanesen solidarisiert sich mit Syrien und der Opposition. Aber diese Leute stehen unter großem Druck, sie können nicht politisch aktiv sein wegen der Hisbollah."

Enge Verflechtung der Nachbarstaaten

Die syrische und die libanesische Politik sind seit Jahrzehnten eng miteinander verflochten. Syrien intervenierte 1976 in den libanesischen Bürgerkrieg und ließ seine Truppen dort bis 2005 stationiert. "Syrien hat den Libanon in dieser Zeit politisch kontrolliert und dazu benutzt, Druck auf Israel und den Westen auszuüben", erklärt Husseini. Auch jetzt versuche das syrische Regime wieder, seine Probleme auf den Libanon auszudehnen.

Das bestehende Machtgefüge im Libanon hängt von der weiteren Entwicklung seines Nachbarlandes ab: "Wenn das syrische Regime fällt, wird sich die gesamte Kräftekonstellation im Libanon ändern", unterstreicht Wimmen.

Bislang wird das Land noch von einem System der Machtaufteilung zwischen den verschiedenen Religionsgruppen zusammengehalten. Sollte der Bürgerkrieg im Nachbarland eskalieren, könnten die unterschwelligen Konflikte offen zutagetreten.

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