Libanon:Ein Putsch mit weitreichenden Folgen

Der Libanon droht erneut im Chaos zu versinken. Übernimmt die Hisbollah die Macht verschieben sich die Koordinaten des labilen politischen Systems. War es ein "Coup Irans" - und wer profitiert noch davon?

Tomas Avenarius, Beirut

Dem Libanon, der sich nur mühsam von seinem langen Bürgerkrieg und dem Krieg der Hisbollah gegen Israel an seiner Südgrenze erholt hat, droht mit der jüngsten Entwicklung ein Rückfall ins Chaos. Die Residenzen der sunnitischen Spitzenpolitiker Saad Hariri und des Drusenführers Walid Dschumblatt in West-Beirut waren von Kämpfern belagert; einige Regierungsmitglieder haben sich in ihren Büros verschanzt.

Libanon: Szene aus Menieh, nahe Tripoli: Putsch mit weitreichenden Folgen

Szene aus Menieh, nahe Tripoli: Putsch mit weitreichenden Folgen

(Foto: Foto: dpa)

"Auch wenn die Hisbollah alles an sich reißt, bleiben wir doch die von der Verfassung vorgesehene Autorität", erklärte Kabinettsmitglied Ahmed Fatfat. Drusenführer Dschumblatt sagte, er werde unter dem Schutz der libanesischen Armee ausharren. Er sei zu einem Dialog bereit, warnte aber: "Niemand kann Beirut einseitig übernehmen. Keine Partei, wie mächtig sie militärisch auch sein mag, kann die andere abmurksen." Die Armee vermeidet es bislang, sich in die Straßenkämpfe hineinziehen zu lassen, da sie ansonsten aufgrund ihrer religiösen Fraktionierung auseinanderzubrechen droht.

Der Verlauf der zweitägigen Kämpfe zeigt klar, dass die Hisbollah sich auf diesen Konfliktfall vorbereitet hatte. Das Vorgehen erinnert an die Machtübernahme der ebenfalls radikalislamischen Hamas im Gaza-Streifen vor knapp einem Jahr. Damals war die moderate und im Kern prowestliche Palästinenserpartei Fatah von den Hamas-Islamisten von der Macht vertrieben worden: Die ebenfalls proiranische Hamas hat seither mit der Kontrolle des Gaza-Streifens das strategische Bild im Palästina-Konflikt nachhaltig verändert. Eine weitere Verschiebung der Kräfteverhältnisse würde drohen, wenn im Libanon ebenfalls eine proiranische Gruppe die Macht übernähme.

Offene christliche Frage

Die offene Frage im Libanon ist nun, wie sich die Christen verhalten werden. Der Ostteil Beiruts und einige Landesteile sind christlich dominiert. Die Christenmilizen haben an den Kämpfen bisher nicht teilgenommen. Die Christen selbst sind aber politisch tief zerstritten: Während ein Teil der Regierung Siniora angehört, hat die Christenpartei der "Freien Patrioten" vor zwei Jahren ein Bündnis mit der Hisbollah geschlossen. Der Führer der Freien Patrioten, der ehemalige Armeechef Michel Aoun, sprach am Freitag denn auch von einem "Sieg für den Libanon". Die Bevölkerung des Libanon orientiert sich politisch an den jeweiligen Religionsgruppen, von denen die Schiiten die größte sein dürfte. Nur die im Libanon traditionell wichtigen Christen sind interkonfessionell gespalten und daher derzeit schwach.

Über das Schicksal der Regierung Siniora und der Führer ihrer Partei wurde wenig bekannt. Minister Ahmed Fatfat sprach aber von einem "Coup Irans". Hisbollah sei das Instrument Teherans. Die Schiitenmiliz meine offenbar, "dass der Weg nach Jerusalem durch Beirut führt".

Die Hisbollah hat nun eine Reihe von politischen Optionen. Sie wird und kann die Macht im Libanon nicht allein übernehmen. Eher dürfte sie die Macht offiziell der Armee überlassen. Deren Chef Michel Suleiman gilt als Schiiten-freundlich. Er könnte das Land vorerst per Ausnahmezustand regieren. Suleiman ist zudem Kandidat für das Amt des Staatschef. Er war aber bisher wegen des Dauerstreits zwischen Regierung und Opposition nicht offiziell vom Parlament gewählt worden. Möglich ist auch, dass die Hisbollah baldige Neuwahlen anstrebt, um die Regierung als legitime Kraft dominieren zu können.

Nicht auszuschließen ist aber auch, dass es zum militärischen Widerstand von Teilen der Christenparteien kommt - und zu Kämpfen zwischen den einzelnen christlichen Fraktionen. Dies könnte zu einer De-facto-Teilung Beiruts sowie zu Kämpfen in anderen Landesteilen führen. Sollte die Hisbollah das Land hingegen tatsächlich bald in weiten Teilen kontrollieren, könnte Iran in seinem Dauerstreit um das iranische Atomprogramm erheblichen strategischen Druck auf die USA, Europa, Israel und die prowestlichen arabischen Staaten ausüben. Die radikalislamische und proiranische Hisbollah ist zudem ein erbitterter Gegner des Nachbarstaats Israel.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: