Massenproteste:Den Libanesen "stinkt" die Regierung

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Zehntausende Regierungsgegner sind am Samstag in Beirut auf die Straße gegangen. (Foto: AP)
  • Unter dem Slogan "Ihr stinkt" protestieren im Libanon Zehntausende gegen die Regierung.
  • In vielen Städten türmen sich die Abfälle. Die Demonstranten machen Korruption und Misswirtschaft der Regierenden verantwortlich.
  • Manches, was in diesen Tagen in Libanon geschieht, erinnert an die Bilder vom Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings in Ägypten, Tunesien oder Syrien.

Von Ronen Steinke

Die Demonstranten, die unter dem Slogan "Ihr stinkt" gegen Libanons Regierung auf die Straße gehen, haben erstmals eine Drohung gegen die Regierung ausgesprochen. Zehntausende waren am Samstag zur Kundgebung auf dem Platz der Märtyrer in Beirut gekommen, als die Sprecherin des Protestbündnisses, Rascha Halabi, Forderungen verlas und ein Ultimatum verkündete, das am Dienstagabend ablaufen soll. Unter anderem verlangte sie den Rücktritt von Umweltminister Mohammad Machnuk. Das Parlament, das seine 2014 ausgelaufene Amtsperiode zuletzt eigenständig bis 2017 verlängert hatte, müsse neu gewählt werden. Zudem müsse Innenminister Nohad Machnuk für die Gewalt gegen Demonstranten in der vergangenen Woche zur Rechenschaft gezogen werden. "Wir geben der Regierung 72 Stunden Zeit", sagte sie. "Wenn unsere Forderungen bis Dienstag nicht erfüllt werden, gibt es eine Eskalation."

Libanon
:Gebraucht und beäugt

Die Wirtschaft des Landes ist angewiesen auf die billigen Arbeitskräfte, die aus dem Nachbarland geflohen sind. Der schiitischen Hisbollah aber, eng mit den Machthabern in Damaskus verbündet, sind sie suspekt.

Von Ronen Steinke

Bilder erinnern an Arabischen Frühling

Seit dem Auslaufen der Verträge zur Müllentsorgung Mitte Juli türmen sich in vielen Städten des Landes die Abfälle. Die Demonstranten machen Korruption und Misswirtschaft der Regierenden verantwortlich. Seit Kurzem können sie sich sogar auf den Premierminister Tammam Salam als Kronzeugen berufen: In der vergangenen Woche hatte der prowestliche Politiker seine Minister scharf ermahnt, die Krise rasch zu lösen. Die gegenseitige Blockade der verschiedenen politischen Kräfte, die in Beirut in einer Allparteienregierung vereint sind, müsse enden.

Am Samstag skandierten die Demonstranten: "Bye, bye ihr Korrupten". Am Rande der Kundgebung zündete eine Gruppe Vermummter Müll an und warf Steine auf Sicherheitskräfte. Die Organisatoren der Demonstration distanzierten sich von der Gewalt. Was sie mit der angedrohten "Eskalation" meinen, beließen sie im Ungewissen.

Manches, was in diesen Tagen in Libanon geschieht, erinnert an die Bilder vom Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings in Ägypten, Tunesien oder Syrien: Demonstranten organisieren sich über Facebook und Twitter, viele zeigen sich euphorisch, zu den Gründern der Bewegung "Ihr stinkt" gehören einer der einflussreichsten Blogger in Nahost, ein Medienstratege, ein Bürgerrechtsanwalt, Journalisten und eine Schauspielerin, deren Film verboten wurde, weil er sich mit heiklen sexuellen Fragen beschäftigt.

Es protestieren vorrangig Jugendliche

Die Bewegung hat ihre Anhänger quer durch das politische und religiöse Spektrum des kleinen Vielvölkerstaates. Es protestieren nicht Schiiten gegen Sunniten, Säkulare gegen Islamisten oder umgekehrt, sondern vorrangig Jugendliche, die sich parteipolitisch neutral geben, lediglich libanesische Flaggen schwenken und demokratische Reformen verlangen. "Wir sind die Zukunft dieses Landes", sagt Nadin Juni, eine freiberufliche Journalistin, die zu den Gründern zählt. "Wenn die Jugend nicht handelt, wird es keiner tun." Der Protest spiegele den wachsenden Frust über eine alternde und korrupte politische Garde wider, welche die Infrastruktur herunterwirtschafte.

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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