Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch:"Personalchefs dürfen Bewerber nicht ausforschen"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die "neue, liberale Agenda" ihrer FDP und die Bedeutung des Datenschutzes für Arbeitnehmer.

Oliver Das Gupta und Matthias Kolb

Es ist eines der Herzensthemen von Justizministerin Sabine-Leutheusser-Schnarrenberger, 58, über das die Akademie für politische Bildung in Tutzing am Wochenende diskutierte: "Angst, Kontrolle, Vertrauen - Datenschutz und Gesellschaft". Im Anschluss sprach die Chefin der bayerischen FDP mit sueddeutsche.de über den Streitfall Sicherungsverwahrung, die "neue Agenda" der Liberalen und den Zustand der schwarz-gelben Koalition in Berlin.

German Chancellor Angela Merkel speaks with Justice Minister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger before cabinet meeting at Chancellery in Berlin

Diskussion mit der Kanzlerin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist seit Herbst 2009 Justizministerin im Kabinett von Angela Merkel. Dieses Amt hatte die Liberale bereits in den neunziger Jahren unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) inne.

(Foto: rtr)

sueddeutsche.de: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie waren schon einmal Bundesjustizministerin in einer schwarz-gelben Koalition. Wie regiert es sich besser - unter Helmut Kohl oder unter Angela Merkel?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich würde nicht die Kategorien "gut" oder "schlecht" verwenden. Es ist einfach anders. 1992 kam ich in eine Koalition mit Bundeskanzler Helmut Kohl, die schon zehn Jahre arbeitete. Diese Regierung hatte mit der deutschen Einheit ein großes, einigendes Projekt. Von daher war die Arbeit eine Zeitlang von diesem gemeinsamen großen Ziel getragen, aber die Probleme der inneren Sicherheit und der Bekämpfung von organisierter Kriminalität lagen auf dem Tisch. In diesem Bereich ging es damals hoch her, was aber auch an den beteiligten Personen lag ...

sueddeutsche.de: ... Sie hatten es damals mit einem CDU-Innenminister Manfred Kanther zu tun, der deutlich konservativere Positionen vertrat als Thomas de Maizière heute.

Leutheusser-Schnarrenberger: Kanther stand für sehr zugespitzte Positionen, Herr de Maizière sieht aufgrund globaler technologischer Entwicklungen andere Aufgaben des Innenministeriums. Er ist wirklich überzeugt, dass wir nicht dauernd neue Sicherheitsgesetze brauchen. In den neunziger Jahren ging es immer wieder darum, den Strafverfolgungsbehörden mehr Instrumente bereitzustellen. Das zeigte sich unter anderem in der heftigen Debatte um den Großen Lauschangriff, weshalb ich dann letzten Endes auch zurückgetreten bin.

sueddeutsche.de: Sie verhandeln mit Innenminister de Maizière gerade um das Bundesdatenschutzgesetz. Wann wird ein Gesetzentwurf vorliegen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die entsprechenden Textentwürfe werden derzeit in Ressortgesprächen überarbeitet und weiterentwickelt. Neben dem federführenden Innenministerium und meinem Haus sitzen auch Wirtschafts- und Arbeitsministerium mit am Tisch. Alle Seiten sehen noch großen Beratungsbedarf, denn es gibt naturgemäß verschiedene Interessen. Wir im Justizministerium passen auf, dass alles grundrechtskonform abläuft. Die Grundrechte fordern ein hohes Datenschutzniveau, schützen aber auch berechtigte Arbeitgeberinteressen. Darum achten wir auf ein ausgewogenes Gesamtkonzept. Ein Entwurf wird voraussichtlich im Herbst vorliegen.

sueddeutsche.de: Zuletzt gab es zahlreiche Datenschutzskandale in Deutschland: Lidl setzte Detektive und versteckte Kameras ein, Daimler verlangte Bluttests von Bewerbern und Personaler suchen in sozialen Netzwerken nach Informationen über Kandidaten. Wie schützen Sie die Angestellten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Bei Eignungstests vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses wollen wir sicherstellen, dass sie einen Bezug haben zur aufzunehmenden Tätigkeit. Der Arbeitgeber darf sich informieren, ob der Bewerber fit ist für den konkreten Job, nicht mehr und nicht weniger. Nehmen Sie das Beispiel Daimler: Da muss es doch einen Unterschied geben zwischen einem Testfahrer und einer Sekretärin.

sueddeutsche.de: Und wie sicher sind die persönlichen Daten, die etwa auf Facebook stehen, vor den Augen der Chefs?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Datenschutz muss auch im Internet zur Geltung gebracht werden. Ein Arbeitgeber braucht nicht ignorieren, was über gängige Suchmaschinen über einen Bewerber zu finden ist, das wäre weltfremd. Aber es sollte verboten werden, dass ein Personalverantwortlicher einfach mit einem Account bei Facebook oder StudiVZ Daten von Bewerbern ausforscht.

sueddeutsche.de: Am sichersten fährt doch jeder, der möglichst wenig von sich preisgibt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich, eine hohe Medienkompetenz der Bürger ist das A und O. Wir können nicht verhindern, dass sich jemand im Internet auf seiner Website produziert und Bilder von Saufgelagen hochlädt. Da darf sich keiner wundern, wenn ein Personalchef diese Bilder sieht und seine Schlüsse zieht. So etwas kann kein Gesetz verhindern.

sueddeutsche.de: Ein Thema, bei dem Sie heftig mit der Union streiten, ist die Sicherungsverwahrung von besonders gefährlichen Straftätern. Bayerns Justizministerin Beate Merk ist hier sehr kritisch und Innenminister Joachim Herrmann wirft Ihnen sogar vor, die Bürger nicht ausreichend zu schützen. Das erinnert ein wenig an die Zeiten von "Gurkentruppe" und "Wildsau", finden Sie nicht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, dass diese Töne weder angemessen sind noch der Sache dienen. Bei der Sicherungsverwahrung haben wir Vorgaben zu beachten, die uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gemacht hat, aber auch die Verfassungsrichter aus Karlsruhe. Natürlich muss die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern geschützt werden, aber mit rechtsstaatlich wasserdichten Lösungen. Die Eckpunkte meines Gesetzentwurfes sind vom Bundeskabinett angenommen worden und die Grundlage für alle weiteren Beratungen. Auch die CSU-Minister im Bundeskabinett haben diesem Beschluss zugestimmt.

Horst Seehofer und seine Flexibilität

sueddeutsche.de: Gibt es denn Vorschläge aus Bayern?

Horst Seehofer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Sie sehen sich oft in München und in Berlin: CSU-Chef Horst Seehofer und die bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Herbst 2008. Dabei bleibt der Streit nicht immer aus.

(Foto: AP)

Leutheusser-Schnarrenberger: Kompromissfähige Vorschläge aus München liegen mir bislang nicht vor. Ich habe den Eindruck, nicht alle haben die Details des Kabinettsbeschlusses gelesen, obwohl mein Konzept fast einstimmig von der Landesjustizministerkonferenz unterstützt wird. Bayern hat sich auf der Justizministerkonferenz im Juni übrigens enthalten - Frau Merk hat also nicht dagegen gestimmt. Es ist kurzsichtig und falsch zu meinen, man könne aus einer knackigen Schlagzeile kurzfristig parteipolitisches Kapital schlagen.

sueddeutsche.de: Das geht in diesem Fall auf Kosten des Partners, denn CSU und FDP koalieren sowohl in Berlin als auch in Bayern. Vielleicht kann CSU-Chef Horst Seehofer vermitteln. Wie oft telefonieren Sie als bayerische FDP-Vorsitzende mit ihm?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir treffen uns bei verschiedenen Anlässen, vor allem im Koalitionsausschuss. Wenn es notwendig ist zu telefonieren, dann tun wir das. Zuletzt ging es auch um die Sicherungsverwahrung und ich habe Seehofer gesagt, dass mir noch gut die Zeiten in Erinnerung sind, als die CSU stets vom "Sicherheitsrisiko Leutheusser-Schnarrenberger" sprach. Nun regieren wir seit fast zwei Jahren im Freistaat und seit einem Dreivierteljahr im Bund zusammen - vielleicht wären langsam andere Begriffe angemessen. Ich denke, da kehrt langsam Vernunft ein.

sueddeutsche.de: Sieht Herr Seehofer das auch so?

Leutheusser-Schnarrenberger: Er sagte, beim Thema Sicherungsverwahrung werde sich die CSU noch einbringen. Auf diese Vorschläge freue ich mich, man sollte ja immer diskutieren.

sueddeutsche.de: Finanzminister Schäuble sagte jüngst in einem SZ-Interview, er habe "leider erfolglos" dafür plädiert, "im Wahlkampf keine Steuersenkungen" zu versprechen. Hat er recht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube nicht, dass es für die FDP falsch war, in unserem Programm Steuerreformen zu betonen - gerade auch mit dem Ziel, untere und mittlere Einkommen zu entlasten.

sueddeutsche.de: Aber im Koalitionsvertrag, den nicht nur Herr Schäuble "ein Problem" nennt, stehen Zahlen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist richtig. Aber die Auswirkungen der Finanzkrise haben uns voll erwischt, Stichwort Griechenland und Eurokrise. Das zwingt uns, die Prioritäten zu verschieben. An dem Ziel einer möglichen Steuerentlastung halten wir fest, nur der Zeitrahmen ist jetzt ein anderer. Außerdem sind die Spielräume wegen der Schuldenbremse zusätzlich eingeengt.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz, dies war doch nicht leicht.

Leutheusser-Schnarrenberger: Es war die richtige Entscheidung, auch wenn es der FDP schwerfiel. Jetzt müssen wir den Haushalt konsolidieren. Mit der Gesundheitsreform haben wir einen ersten Schritt unternommen, um alle Verantwortlichen einzubeziehen. Auch wenn die Pharmaindustrie uns deswegen jetzt viele Briefe schreibt, sagen wir, dass ein Beitrag zum Sparen für alle unverzichtbar ist.

sueddeutsche.de: Frau Ministerin, viele verbinden die FDP mit sozialer Kälte. Was antworten Sie den Kritikern?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP ist eine soziale Partei. Wir Liberalen haben in dieser Koalition das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger erhöht und dafür gesorgt, dass junge Menschen unter 25 Jahren bessere Beschäftigungschancen bekommen: Wer Ferienjobs annimmt, dem wird sein Verdienst nicht auf das Hartz IV der Eltern angerechnet. Natürlich müssen wir nun das Urteil aus Karlsruhe über die Regelsätze umsetzen und den Bedarf der Kinder neu ermitteln.

sueddeutsche.de: Allerdings wird die FDP doch nicht als soziale Partei wahrgenommen, weil Steuersenkungen im Zentrum standen. Wie soll denn die neue liberale Agenda konkret aussehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sagen ganz klar: Die Liberalen sind die Partei, die Bildung, Bürgerrechte sowie Finanz- und Wirtschaftskompetenz vertritt. Wir haben da ein bestimmtes Menschenbild, in dem die Selbstbestimmung des Einzelnen sehr wichtig ist, aber zugleich die Verantwortung für die Gesellschaft eine große Rolle spielt. Das ist vielleicht in der Vergangenheit nicht genügend vermittelt worden. Bei der jetzt nötigen Haushaltskonsolidierung ist gestaltendes Sparen gefragt. Da haben wir eine große Wegstrecke vor uns.

sueddeutsche.de: Was soll noch zum künftigen Markenkern gehören?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind die Partei, die sich für die richtige Regulierung des Finanzmarktes einsetzt. Wir brauchen andere Regeln für das Funktionieren der Finanzmärkte, um die Lücke zwischen Finanz- und Realwirtschaft zu schließen. Beim Datenschutz muss die Frage beantwortet werden, wie mit den Datenbergen des digitalen Zeitalters umzugehen ist. Gerade prüfen wir, ob die Riesendatensammelei durch Elena, den Elektronischen Entgeltnachweis, noch zu rechtfertigen ist. Und wir müssen klarmachen: Ohne Bildung und Weiterbildung geben wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf.

sueddeutsche.de: Früher war die FDP die "Partei der Besserverdienenden", dann war sie Spaßpartei und zuletzt die "Steuersenkungspartei". Wie könnte der Slogan der Liberalen künftig lauten?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind die Partei des ganzheitlichen Liberalismus. Das waren wir früher, und das müssen wir auch künftig laut und deutlich herausstellen.

Starke Schultern müssen mehr tragen

FDP Bundestagsfraktion

Auf ihm ruhen die Hoffnungen der Liberalen: FDP-Generalsekretär Christian Lindner (li.) mit Gesundheitsminister Philipp Rösler (Mitte) und Parteichef Guido Westerwelle.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Was bedeutet "ganzheitlicher Liberalismus"?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Liberalismus bietet kompetente Antworten auf alle gesellschaftlichen und politischen Fragen dieser Zeit. Die liberale Idee strahlt dann besonders, wenn die Welt rasant im Wandel ist

sueddeutsche.de: Einen ähnlichen Anspruch erheben auch Linke und Konservative.

Leutheusser-Schnarrenberger: Aber sie liefern keine Lösungen, die für alle tragen. Es gilt, das richtige Maß zu finden zwischen der Freiheit des Einzelnen und notwendiger Regulierung auf der anderen Seite. Das ist klassisch liberal. Und deshalb ist die FDP die Partei des ganzheitlichen Liberalismus.

sueddeutsche.de: Bedeutet das auch, dass künftig starke Schultern in der Gesellschaft mehr tragen sollten als die schwächeren?

Leutheusser-Schnarrenberger: Steuerrecht bedeutet nun mal Umverteilen, und deshalb gehört dieser Aspekt in die Debatte. Nur kann es keine Lösung sein, mit Instrumenten von vorgestern, wie etwa der Vermögenssteuer, Antworten zu formulieren

sueddeutsche.de: Sondern?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist angebracht, mittels einer Steuerstrukturreform das zu justieren. Das Steuersystem muss so reformiert werden, dass nicht diejenigen, die ohnehin viel haben, noch von Ausnahmetatbeständen profitieren können.

sueddeutsche.de: Welche Tatbestände meinen Sie?

Leutheusser-Schnarrenberger: Im Abschreibungsbereich gibt es noch einiges, was nicht unteren und mittleren Einkommen zugutekommt, sondern den sehr Vermögenden. Handwerker, Lehrer, Sachbearbeiter und auch Beamte im mittleren Dienst investieren nun mal nicht in Schiffe und Filmprojekte. Je mehr wir davon streichen, umso besser: Dann lichten wir den Steuerdschungel, dann wird unser System einfacher und verständlicher.

sueddeutsche.de: Gehört zu diesem ganzheitlichen Konzept auch die Ökologie? Davon hört man nämlich aus Reihen der FDP erstaunlich wenig.

Leutheusser-Schnarrenberger: Einspruch! Umwelt und Energie - dieser Bereich spielt natürlich auch für die FDP eine wichtige Rolle. Wir haben zum Beispiel mit Horst Meierhofer einen Bundestagsabgeordneten und Chef der bayerischen FDP-Landesgruppe, der ein sehr kompetenter und anerkannter Umweltexperte ist. Das Problem ist eher, dass man die FDP in diesem Bereich noch zu wenig wahrnimmt. Mit unserem Energiekonzept, das wir derzeit erarbeiten, werden wir die ökologische Kompetenz der FDP deutlich sichtbar machen.

"Mir geht es nicht um Posten"

Leutheusser-Schnarrenberger, Westerwelle

Die 58-jährige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist die profilierteste Rechtspolitikerin der FDP. Zuletzt wurde spekuliert, sie könnte Außenminister Guido Westerwelle als Parteichefin nachfolgen. Sie selbst sagt: "Diese Frage stellt sich nicht."

(Foto: Fotos: dpa / Grafik: sueddeutsche.de)

sueddeutsche.de: Welche Persönlichkeit in der FDP soll die "neue liberale Agenda" schreiben - und durchsetzen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind ein Team und werden das auch im Team bewältigen.

sueddeutsche.de: Geht es etwas genauer?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Mannschaft besteht aus Präsidium, Ministern, aus unserer Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger und unserem Generalsekretär Christian Lindner. An den FDP-Ministern liegt es jetzt, möglichst viel von der neuen liberalen Agenda in die Koalition einzubringen. Und die Programmdebatte wird federführend vom Generalsekretär vorangetrieben.

sueddeutsche.de: Christian Lindner ist erst wenige Monate im Amt - und mit gerade mal 31 Jahren ein Frischling in der bundespolitischen Arena.

Leutheusser-Schnarrenberger: Er ist jung, aber alt genug, um einen tollen Job zu machen. Er bringt sich eindrucksvoll programmatisch ein und greift neue Themen auf. Christian Lindner ist echt spitze.

sueddeutsche.de: Manche an der Parteibasis, wie der Fürstenfeldbrucker FDP-Chef Klaus Rehbock, hätten gerne Sie als Parteichefin - reizt Sie der Job?

Leutheusser-Schnarrenberger: Vielleicht spricht Herr Rehbock so positiv über mich, weil ich einen zerstrittenen FDP-Landesverband zusammengeführt habe. Als ich 2000 den Landesvorsitz übernommen habe, lag die FDP bayernweit bei 1,7 Prozent. Nun regieren wir mit. Eine Personaldebatte über den Bundesvorsitz sollten wir aber auf jeden Fall vermeiden. Einen solchen Streit braucht die FDP nicht.

sueddeutsche.de: Können Sie ausschließen, eines Tages für den Bundesvorsitz zu kandidieren?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte von einer solchen Debatte überhaupt nichts. Diese Frage stellt sich nicht. Nur im Team kommen wir aus der Talsohle heraus

sueddeutsche.de: Sie engagieren sich in den letzten Monaten bemerkenswert intensiv in Parteidingen, da stellt sich die Frage durchaus.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das nehmen Sie vielleicht so wahr, Fakt ist aber doch: Ich bin seit zehn Jahren Landeschefin in Bayern und Mitglied im Präsidium der Bundes-FDP. Dass ich mich da für die Partei engagiere, ist doch selbstverständlich. Jetzt finde ich auch als Ministerin Gehör. Ich engagiere mich, weil ich helfen möchte, das Profil der Partei zu schärfen. Es geht mir nicht um Posten.

sueddeutsche.de: Die FDP sackte in den Umfragen auf existenzbedrohende fünf Prozent ab, bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2011 droht sie gerupft zu werden. Wie wollen Sie den Negativtrend bis dahin stoppen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Da ist noch nichts gelaufen. Die FDP wird alles dransetzen, das Ergebnis im Südwesten zu verbessern oder wenigstens zu halten, auch durch Entscheidungen der schwarz-gelben Bundesregierung.

sueddeutsche.de: Rückenwind aus Berlin? Das hat ja in Nordrhein-Westfalen prima geklappt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Zugegeben: Wir hatten keinen guten Start in Berlin. Aus den letzten Monaten ziehen wir jetzt die richtigen Lehren. Wir haben viel zu lange und viel zu öffentlich gestritten in Sachen Gesundheitsreform, aber nun ist ein erster wichtiger Schritt getan. Jetzt geht es weiter, konstruktiv und immer besser. Wir haben uns auch in anderen Punkten verständigt: Denken Sie an das Sparpaket, denken Sie an die Wehrdienstreform. Wer hätte für möglich gehalten, dass ausgerechnet eine Regierung aus Union und FDP sich an die Wehrpflicht traut? Wir haben ein paar Dinge aufs Gleis gesetzt, die erst ihre Wirkung entfalten werden.

Die Grünen haben in NRW die Ampel verhindert

sueddeutsche.de: Die Grünen setzen auch auf liberale Themen und stehen in Umfragen inzwischen bei fast 18 Prozent - ein Wert, den Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann einst für die FDP vergeblich anvisierten. Können Sie den grünen Höhenflug erklären?

Leutheusser-Schnarrenberger: In der Opposition tun sich die Grünen leichter als in Regierungsverantwortung. Sie können ihre Themen herauszustellen, ohne die Machbarkeitsfrage zu beantworten. In gemeinsamer Regierungsverantwortung mit einem Koalitionspartner sind mühsame Kompromisse manchmal unumgänglich. Die Grünen wollen inzwischen gar nicht mehr so viel verändern, sie wollen vor allem regieren. Und deshalb liebäugeln sie unverhohlen mit der CDU.

sueddeutsche.de: Die Grünen können inzwischen mit allen Parteien, die FDP nur mit der Union. Sind Sie nicht ein bisschen neidisch?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, und ich möchte Ihnen auch widersprechen: In NRW waren die Grünen nicht bereit, eine Koalition mit SPD und FDP einzugehen. Die FDP hat mit Rot-Grün sondiert, die Grünen nicht mit Schwarz-Gelb. Fakt ist doch, dass in der Parteienlandschaft viel in Bewegung geraten ist. Das ist nicht mehr das alte System, das es noch in den neunziger Jahren gegeben hat.

sueddeutsche.de: Zurück zu NRW: Die rot-grüne Minderheitsregierung kommt allem Anschein nach in dieser Woche ins Amt. Halten Sie es für möglich, dass die FDP später noch einsteigt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dazu bedarf es Kompromissfähigkeit, und die zeigen vor allem die Grünen nicht. Sie stellen in Sachen Bildungspolitik auf stur. Im Wahlkampf haben sie uns übrigens sogar als Extremisten und Verfassungsfeinde hingestellt, mit denen sie nichts zu tun haben wollten. Über die Arbeit im Parlament nun zu einer gemeinsamen Koalition zu kommen, diese Chance sehe ich nicht. Ich habe vielmehr den Eindruck, SPD und Grüne wollen abwarten und dann Neuwahlen anstreben. Gleichwohl ist sicher wichtig, dass man verbal abrüstet und dass alle Parteien im Gespräch bleiben.

sueddeutsche.de: Halten Sie es für ratsam, im Bund Koalitionsaussagen vor Wahlen zu machen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Im Bund haben Union und FDP einen klaren Wählerauftrag. Der gilt und den setzen wir jetzt um. Als eigenständige liberale Partei müssen wir in den Ländern selbstverständlich auch andere Optionen im Blick behalten. Das muss man von Fall zu Fall abwägen. Koalitionen sind Zweckbündnisse auf Zeit. Kommt man gut miteinander aus, kann man das auch sagen. Die FDP täte gut daran, sich anderen politischen Konstellationen zu öffnen. Wichtig ist, dass wir auch andere Optionen als die Union haben - die CDU sieht sich ja auch um. Wir sollten uns davor hüten, vor Wahlen kategorisch auszuschließen, mit bestimmten demokratischen Parteien zusammenzuarbeiten. Wir kämpfen primär für uns, die FDP. Der Rest wird dann durch die konkrete Situation entschieden.

sueddeutsche.de: Es fällt auf, dass Sie FDP-Chef Guido Westerwelle im ganzen Gespräch bislang nicht erwähnt haben.

Leutheusser-Schnarrenberger: Sie haben mich auch nicht nach ihm gefragt.

sueddeutsche.de: Kommen Sie gut miteinander zurecht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Seit Jahren arbeiten wir im Präsidium eng zusammen. Der Erfolg der bayerischen FDP in den vergangenen Jahren wäre auch ohne den Rückenwind aus Berlin nicht denkbar gewesen.

sueddeutsche.de: Und, dass der Bürgerrechtsflügel ihm die Stange hält, ebenso. Tatsache ist doch, dass der wirtschaftsliberale Flügel seit Jahrzehnten dominiert, und die Bürgerrechtsliberalen in der Minderheit sind. Stört Sie das?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir hatten früher Achterbahnfahrten, aber haben jetzt seit Jahren klare Positionierungen. Bei der Parteiklausur waren wir uns einig, dass die Bürgerechte wieder zentrales Thema werden. Außerdem wirken beide Flügel gemeinsam: Genauso wie ich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in Sachen Opel unterstützt habe, unterstützen meine Parteifreunde die Bürgerrechtspolitik offensiv.

sueddeutsche.de: Jahrelang hat man Sie in Ihrer Partei in solchen Dingen allein auf weiter Flur erlebt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das stimmt heute mit Sicherheit nicht mehr.

sueddeutsche.de: Bösartige Journalisten bezeichneten Sie gar als liberales Feigenblatt - war diese Einschätzung so falsch?

Leutheusser-Schnarrenberger: Als Bürgerrechtspolitikerin gestalte ich das Profil der FDP mit, gemeinsam mit vielen anderen. Wir haben eine Menge junger Leute - in der Fraktion ebenso wie Generalsekretär Christian Lindner -, die wissen, wie unverzichtbar es ist, sich für Gesellschaftspolitik zu engagieren. Es wird heute also nur noch ganz wenige Journalisten geben, die meinen, ich sei die Einzige mit diesen Positionen in der FDP.

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