Leserfragen an Matthias Lilienthal:"Halten Sie Merkels Flüchtlingspolitik für fatal?"

Matthias Lilienthal

Neuer Intendant der Münchner Kammerspiele: Matthias Lilienthal

(Foto: Christian Kleiner)

Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal provoziert mit seiner Art, Theater zu machen und sich für Ausgegrenzte zu engagieren. Unsere Leser haben ihm Fragen gestellt. Hier sind seine Antworten.

Glauben Sie an die Macht der Zivilgesellschaft? Was halten Sie von Til Schweigers Engagement für Flüchtlinge? Sind Sie stolz auf die Asylpolitik der Bundesregierung? Diese Fragen haben wir dem neuen Intendanten der Münchner Kammerspiele Matthias Lilienthal in unserem Interview gestellt. Er erklärt, warum er nicht glaubt, dass Politiker Ideale haben und warum ihn Merkels Politik des "Einlullens" ärgert (das gesamte Interview hier).

Im Anschluss an das Gespräch haben wir unsere Leser dazu aufgerufen, nachzuhaken und Lilienthal selbst ihre Fragen zu stellen. Seine Antworten auf ausgewählte Leserfragen lesen Sie hier:

Leserfrage: Theater ist eine Form der Unterhaltung, aber Sie reduzieren es auf reine Provokation. Warum kann man der Gesellschaft nicht auch eine Portion Ausgeglichenheit widerspiegeln? Muss es immer laut und schrill sein?

Matthias Lilienthal: Für mich ist Theater keine Unterhaltung, sondern eine Form des ästhetischen Nachdenkens. Reine Provokation finde ich nicht sinnvoll, aber wenn aus dem Nachdenken etwas Provozierendes entsteht, nehme ich das gerne hin. Ausgeglichenheit aufzuzeigen, ist nicht mein Ziel. Theater lebt ja aus asozialen Behauptungen heraus, auch aus sehr subjektiven, die nicht dem Common Sense entsprechen. Shakespeares "Richard III." ist getragen von der Sympathie für einen skrupellosen Verbrecher - davon lebt das Theater, das ich mache.

Leserfrage: In einer Zeit der zwingenden Realität vermittelt Theater andere Lebensentwürfe - zum eigenen Nachdenken und Träumen bleibt hier zu wenig Zeit und Muße. Welchen Beitrag leistet Theater in einer Zeit des Überflusses?

Theater geht ganz anders mit Zeit um, hier ist eine intensive Konfrontation mit Texten noch möglich. Allerdings will mein Theater keine Entschleunigung, sondern steht stattdessen für Beschleunigung und Urbanität. Ich will Tempo machen.

Leserfrage: Sie kritisieren Politiker und insbesondere Frau Merkel als kühl kalkulierende Wesen, die nur auf Wählerstimmen aus sind. Bei der aktuellen Entscheidung, fast unbeschränkt Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern aufzunehmen, hat die Kanzlerin aber gegen eine großen Teil der Deutschen entschieden. Halten Sie Merkels Politik für mutig oder feige, für sinnvoll oder fatal?

Ich sehe Frau Merkel nicht als kühl kalkulierende Person, sondern als jemand, der Probleme bisher auf weiter Strecke ausgesessen hat. Ihre Entscheidung, Flüchtlinge ins Land zu lassen, halte ich für mutig und sinnvoll. Allerdings befindet sie sich nun in der fatalen Situation, dass sie die Konsequenzen dieser Entscheidung managen muss. Das wird schwierig. Aber ich bin überzeugt, die Bundesrepublik kann das hinkriegen.

Leserfrage: Wie kann ein Intendant subversives Handeln fördern, das über einen rein künstlerischen Prozess hinausreicht? Ist er doch an die Mittel gebunden, die ihm eine Stadt zur Auseinandersetzung mit den "Satten" und den "Hungrigen" gleichermaßen zur Verfügung stellt.

Natürlich machen die Kammerspiele Theater für die gesamte Gesellschaft, für reiche und sozial schlecht gestellte Menschen. Wir versuchen, mit beiden Gruppen zu kommunizieren und Projekte zu organisieren, die über die bloße Ästhetik hinausreichen. Was das Zentrum für politische Schönheit macht, finde ich beispielsweise sehr interessant: Sie verlassen den Rahmen der Ästhetik und greifen mit ästhetischen Verfahren in die Wirklichkeit ein.

Leserfrage: Ihr Ansinnen ist ja löblich, aber wie gedenken Sie mit Ihrem Theater jene Menschen zu erreichen, die sich abgehängt und ausgeschlossen fühlen?

Die einzige Möglichkeit liegt darin, den Dialog mit ihnen zu suchen. Theater mit ihren Themen zu machen und sie direkt zu beteiligen. Wir machen Projekte zum Mitmachen und wollen beispielsweise auch Flüchtlinge ins Theater holen.

(Redaktion: Karin Janker)

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