Leihmutterschaft:Wohin mit Teodoro?

Leihmütter in Indien

Ein umstrittenes Geschäft: Frauen, die sich als Leihmütter verdingten, im indischen Anand.

(Foto: Doreen Fiedler/dpa)

Das Schicksal von Leihmutter-Kindern beschäftigt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mit dem Fall betritt das Gericht Neuland.

Von Wolfgang Janisch, Straßburg

Das Glück des kleinen Teodoro in seiner ersten Familie währte nicht lange. Am 30. April 2011 brachte die Frau, die seine Mutter sein möchte, den Jungen nach Italien - zwei Monate, nachdem eine russische Leihmutter das Baby in einer Moskauer Klinik entbunden hatte. Alles sah gut aus, die russische Geburtsurkunde wies das Ehepaar aus dem süditalienischen Dorf Colletorto als rechtmäßige Eltern aus. Doch dann setzte sich die Justiz in Gang. Die Urkunde sei ungültig, deshalb habe das Paar italienisches Adoptionsrecht verletzt. Ein Jugendgericht zog drastische Konsequenzen: Am 20. Oktober 2011 nahmen Beamte das Kind mit. Es war das letzte Mal, dass die verhinderten Eltern das Kind sahen - ein "immenser Schock", sagte ihr Anwalt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Jeglicher Kontakt zu dem Jungen, der inzwischen an unbekanntem Ort bei einer Pflegefamilie lebt, ist ihnen streng verboten.

An diesem Mittwoch hat die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs über die Klage der Eltern verhandelt. Der Fall führt an die Grenzen der rechtlichen Akzeptanz moderner Reproduktionstechniken. Müssen Staaten, die Leihmutterschaft verbieten - neben Italien gehören dazu beispielsweise auch Frankreich und Deutschland - es hinnehmen, dass Paare sich dorthin begeben, wo dies erlaubt ist? Nach Russland oder in die Ukraine beispielsweise, oder in US-Bundesstaaten wie Kalifornien, Texas, Utah? Dürfen Paare das ausländische Elternrecht mit nach Hause nehmen - dorthin, wo diese Form der Familiengründung unterbunden werden soll? Die italienische Regierung warnte vor dem Straßburger Gerichtshof, damit werde "Reproduktionstourismus" gefördert oder womöglich Schlimmeres: der Handel mit Kindern.

Bisher hat der Menschenrechtsgerichtshof das Dilemma durch eine entschiedene Verteidigung des Kindeswohls gelöst. Wie auch immer man zur ethischen Bewertung von Leihmutterschaft steht: Wenn Menschen diesen Weg beschreiten, dann stellt sich stets die drängende Frage, welchen Eltern man das Kind zuordnen kann. "Diese Kinder haben nicht darum gebeten, geboren zu werden", argumentierte der Klägeranwalt in Straßburg. Das italienische Recht - wie auch das deutsche - hilft hier nicht weiter, weil danach die gebärende Frau als Mutter gilt. Also die Leihmutter, die das Kind aber gerade nicht haben möchte. Im Juni 2014 hat der Gerichtshof entschieden, die im Ausland rechtmäßig anerkannte Elternschaft - zwei französische Familien hatten ihre Kinder legal in Kalifornien und Minnesota austragen lassen - müsse auch in Frankreich gelten. Andernfalls würde die Identität der Kinder innerhalb der französischen Gesellschaft untergraben. "Wann immer die Situation eines Kindes zur Diskussion steht, hat dessen Interesse Vorrang", befand das Gericht. Ende 2014 schloss sich der Bundesgerichtshof dieser Linie an - sogar für homosexuelle Lebenspartner. Ein US-Gericht hatte zwei Männer, denen eine kalifornische Leihmutter Zwillinge geboren hatte, als rechtliche Väter anerkannt. Das müsse auch für Deutschland gelten, trotz des inländischen Leihmutterverbots, befand der BGH.

Mit dem italienischen Fall betritt das Menschenrechtsgericht allerdings Neuland. Bisher war immer ein Elternteil zugleich der biologische Erzeuger - die Leihmutterkinder waren genetisch mit ihren Vätern verwandt. Teodoro dagegen ist ein Kind im familiären Niemandsland: Eizelle und Samen stammen von unbekannten Spendern, die Leihmutter, eine damals 23-jährige verheiratete Mutter zweier eigener Kinder, war allein für Schwangerschaft und Niederkunft zuständig. Die Eheleute sind zwar irgendwie verantwortlich dafür, dass der Junge das Licht der Welt erblickt hat, und sie haben ihren Wunsch lange verfolgt: Nach vergeblichen Versuchen einer künstlichen Befruchtung hatten sie 2006 ein Adoptionsverfahren in Gang gesetzt, bevor sie sich - weil alles so lange dauerte - für die Leihmutterschaft entschieden. Andererseits ist die Sache mit den bestellten Kindern eben auch ein großes Geschäft: Die russische Kinderwunsch-Firma, die im Internet auch auf Deutsch und Italienisch wirbt, strich 49 000 Euro ein.

In einem ersten Durchgang hatte der Gerichtshof Anfang des Jahres die italienischen Behörden wegen Verletzung des Rechts auf "Familienleben" zu 20 000 Euro Schadenersatz verurteilt. Doch die Entscheidung war umstritten, zwei Richter stimmten dagegen. Das abschließende Urteil, das die Große Kammer in einigen Monaten fällen wird, ist also nicht vorgezeichnet; die Straßburger Richter hatten in der Anhörung großen Informationsbedarf. Auf das Leben des kleinen Teodoro wird all dies vermutlich keine Auswirkungen mehr haben. Die Kläger wollen die Verletzung ihrer Rechte festgestellt wissen. Eine Rückkehr des Jungen - also seine Herausnahme aus der neuen Familie - fordern auch sie nicht.

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