Leichenfrevel:Eine unheimlich verstörende Straftat

Die Geschichte des Leichenfrevels und der Schutz der Totenruhe - von Alt-Mesopotamien bis zum Horrorfilm.

Heribert Prantl

Der Tod ist eine ernste Sache. Aber das Strafgesetzbuch formuliert an der Stelle, an der es sich mit dem Schutz des toten Körpers beschäftigt, so, als nähme es dieses Thema eher von der skurrilen Seite: Es ist im Gesetz von einem "beschimpfenden Unfug" die Rede, der zu bestrafen sei.

Für die Zerstückelung von Leichen durch vandalistisches Rowdytum oder für den sexuellen Verkehr mit Leichen, genannt Nekrophilie, erscheint diese Formulierung einigermaßen unpassend.

Und die ökonomische Bewirtschaftung von Leichen durch Transplantate-Händler lässt sich mit dieser Formulierung "beschimpfender Unfug" nur schwer erfassen. Der Strafrechtler Bernhard Kretschmer hat daher in seiner kenntnisreichen, vom Bielefelder Rechtshistoriker Wolfgang Schild betreuten Dissertation (2001) über den "Grab- und Leichenfrevel" vorgeschlagen, dieses Unfugtreiben durch "Misshandeln" zu ersetzen - "vordergründig zum Wohle des Toten, tatsächlich zur Beruhigung unseres Ichs".

Der Missbrauch von Leichen gehört nämlich zu den Delikten, die den Menschen besonders verstören. Bestraft wird die "Störung der Totenruhe" (so die gesetzliche Überschrift) mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Als geschütztes Rechtsgut gilt das Pietätsgefühl der Angehörigen und das fortwirkende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen über den Tod hinaus.

Der einschlägige Paragraf 168 Strafgesetzbuch ist die weltliche Fassung des alten Mottos Memento mori (Gedenke des Todes), das in vielen mittelalterlichen Bildern so dargestellt worden ist. Da werden drei Edelleute von drei Toten, die vor ihren Gräbern stehen, mit folgenden Worten begrüßt: "Was ihr seid, das waren wir, was wir sind, das werdet ihr sein".

Aus diesen Bildern spricht hohe Achtung vor dem Tod und den Toten - dem aber die handgreifliche Praxis durchaus widersprach: Die Beraubung des Toten war üblich, das Plündern verstorbener Bischöfe und Kardinäle geradezu Gewohnheitsrecht. Man spricht vom Spolienrecht (von lateinisch spoliare, den erschlagenen Feind entkleiden).

Schimpfliche Handlungen am toten Feind und dessen Schmähung waren von alters her üblich. Noch 1547 schlugen die Ratgeber Karls V., als dieser die Schlosskirche zu Wittenberg besuchte, ihrem Kaiser vor, den Leichnam des im Vorjahr bestatteten Martin Luther zu heben und zu verbrennen. Am Grab des Reformators wies Karl dieses Ansinnen mit den berühmt gewordenen Worten zurück "Mit Toten führe ich keinen Krieg".

Die Geschichte des Grab-und Leichenfrevels beginnt in Urzeiten. In altmesopotamischen und assyrischen Aufzeichnungen findet man Berichte wie diesen: "Die Gräber von ihren Königen habe ich zerstört, die Knochen schleppte ich nach Assur, ich gab den Totengeistern Ruhelosigkeit, ich beraubte sie ihrer Totenpflege."

In den alten Religionen herrschte die Auffassung, dass die Toten nicht nur der Grabpflege, sondern auch einer darüber hinausgehenden Versorgung bedürften. Der Preis für diese Versorgung, die in üppigen Grabbeigaben bestand: Zwei Drittel der Nekropole wurden geplündert. Die Räuber hatten es auf die Grabschätze, nicht auf den Leichnam abgesehen.

Er ist das Objekt der Nekrophilen. Das geltende deutsche Recht kennt keine Spezialvorschrift gegen sexuelle Handlungen am Leichnam - wie sie nicht nur in Horrorfilmen vorkommen. Im italienischen Strafgesetzbuch von 1930 wird die Unzucht mit dem Leichnam ausdrücklich unter Strafe gestellt. Im amerikanischen Recht gehen die Vorschriften der Bundesstaaten zuweilen merkwürdig detailversessen auf die Nekrophilie ein.

Im deutschen Recht werden solche Perversionen unter die Rubrik beschimpfender Unfug/Störung der Totenruhe oder unter Sachbeschädigung subsumiert. Unter diesem Titel müssen aber auch die Rechtsprobleme der Transplantationsmedizin erörtert werden oder die Frage, wie mit Mumien oder dem Ötzi schicklich umzugehen ist.

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