Lehrstellennot:Regierung und Wirtschaft unterzeichnen Ausbildungspakt

Mit dem Ausbildungspakt will Gerhard Schröder "der Arbeitslosigkeit den Nachwuchs entziehen". Bis 2007 verpflichtet sich die Wirtschaft, jährlich 30.000 Lehrstellen und 25.000 Praktikumsstellen zu schaffen. Viel zu wenig, sagen die Gewerkschaften.

Von Nina Bovensiepen und Nico Fried

Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft haben sich nach der Einigung auf einen Ausbildungspakt zuversichtlich gezeigt, das Problem fehlender Lehrstellen in den Griff zu bekommen. In dem Abkommen setzen sich die Unternehmen das Ziel, in den kommenden drei Jahren jeweils 30.000 neue Lehrstellen zu schaffen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte: "Wir wollen der Arbeitslosigkeit gleichsam den Nachwuchs entziehen", allen jungen Menschen solle die Chance auf eine Ausbildung gegeben werden. Die Gewerkschaften kritisierten den Verzicht auf eine gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe.

Das Ende wochenlanger Streitereien

Nach wochenlangem Streit über die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe unterzeichneten Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und Vertreter der vier Spitzenverbände der Wirtschaft im Beisein Schröders am Mittwoch einen freiwilligen Ausbildungspakt. Schröder sprach von einer "nationalen Kraftanstrengung", Clement erklärte, das Bündnis sei ein wichtiger Ansatz, um das Lehrstellenproblem zu lösen.

"Wir gehen davon aus, dass wir drei Jahre brauchen, um alles in Ordnung zu bringen", sagte der Minister. Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigten sich erleichtert über die Einigung mit der Regierung. SPD-Parteichef Franz Müntefering, der eine gesetzliche Ausbildungsumlage einführen wollte, sicherte den Verbänden zu, das Vorhaben ruhen zu lassen. Es sei gemeinsames Verständnis, dass das Gesetz während der Umsetzung des Paktes nicht in Kraft trete, schrieb Müntefering an den Präsidenten des DIHK, Ludwig Georg Braun.

Feilschen um Formulierungen

In dem Abkommen verpflichten sich Wirtschaft und Bundesregierung, "allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein Angebot auf Ausbildung zu unterbreiten". Die Arbeitgeber setzen sich danach das Ziel, während der dreijährigen Laufzeit des Paktes durchschnittlich 30.000 neue Ausbildungsplätze pro Jahr "einzuwerben".

Eine Garantie, mehr Lehrstellen zu schaffen, ist damit nicht verbunden. Entsprechenden Forderungen hatten sich die Verbände in den Verhandlungen widersetzt. In dem Pakt heißt es nur, dass sich die Gesamtzahl der Lehrstellen "möglichst erhöhen" solle. Die Formulierung "neue" statt "zusätzliche" Ausbildungsplätze kam auf Druck der Wirtschaft zu Stande.

Fallen etwa durch Insolvenzen oder Verlagerungen ins Ausland Stellen weg, werden diese nicht zusätzlich ausgeglichen. Zudem sieht der Pakt vor, dass die Wirtschaft jährlich 25.000 "Einstiegsqualifikationen" (Praktika) anbietet. Die Betriebe sollen dabei die Sach- und Personalkosten übernehmen, die Bundesagentur für Arbeit (BA) zahlt Zuschüsse zum Unterhalt der Jugendlichen. Auch die Bundesregierung verpflichtet sich in dem Bündnis zu mehr Ausbildung.

Sie werde die Zahl der Lehrstellen in der Bundesverwaltung in diesem Jahr um 20 Prozent erhöhen. Zudem soll die Vermittlung der Jugendlichen straffer organisiert werden. Die BA wird unvermittelte Bewerber künftig frühzeitig ansprechen, um ihnen Angebote zu unterbreiten. Wenn Betroffene die Termine nicht wahrnehmen, gelten sie nicht mehr als unversorgt. Auch auf diese Regelung hatten die Verbände Wert gelegt.

Zu unverbindlich

Der saarländische SPD-Chef Heiko Maas, der zur SPD-Linken gezählt wird, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Ich hätte mir gewünscht, dass der Pakt noch verbindlicher gestaltet worden wäre. Ich fürchte, dass wir die Diskussion um die Umlage wieder bekommen, wenn die Wirtschaft ihre Zusagen nicht einhält". Die Zusage Münteferings, das Gesetz auf Eis zu legen, bezeichnete Maas als gangbaren Weg.

Er denke allerdings, dass es "wegen der schlechten Erfahrungen der Vergangenheit besser gewesen wäre, ein Mindestmaß an Druck auf die Wirtschaft aufrecht zu erhalten". Während die Opposition die Einigung auf den Pakt begrüßt, kam von den Gewerkschaften scharfe Kritik.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, sagte: "Es ist falsch, durch diesen Ausbildungspakt den Druck von den Arbeitgebern zu nehmen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden". Mit dem Verzicht auf das Gesetz zur Ausbildungsumlage habe die Regierung "ein wirkungsvolles Instrument zur Behebung einer nationalen Katastrophe" gekippt.

30.000 Lehrstellen seien zudem nicht genug, sagte Sommer der Berliner Zeitung, "100.000 Jugendliche suchen einen Ausbildungsplatz oder drehen eine Warteschleife".

(SZ vom 17.6.2004)

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