Lehrstellenmarkt:"Keine Zuckerstückchen für Unternehmen"

Ingrid Sehrbrock, 59, ist seit einem Jahr Vize-Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Dem Ausbildungspakt zwischen Regierung und Wirtschaft traut sie weiterhin nicht. Interview: Detlef Esslinger

SZ: Die Lücke auf dem Lehrstellenmarkt ist derzeit kleiner als vor einem Jahr. Bessert sich die Lage endlich?

Lehrstellenmarkt: Ingrid Sehrbrock, Vize-Chefin des DGB.

Ingrid Sehrbrock, Vize-Chefin des DGB.

(Foto: Foto: dpa)

Ingrid Sehrbrock: Was im Moment passiert, reicht auf keinen Fall aus, um die Lücke zu schließen. Und schon gar nicht, um die Altbewerber unterzubringen, die sich seit Jahren vergeblich bewerben.

SZ: Wir sind aber auch erst im Juni.

Sehrbrock: Bis Ende Mai wurden lediglich 100 000 Jugendliche in Ausbildung vermittelt. Allein die Zahl der Altbewerber mit prinzipiell guten Chancen ist noch einmal genauso hoch, ganz abgesehen von denen mit schlechten Chancen - insgesamt haben wir 385 000 Altbewerber.

SZ: Zur Realität gehört leider auch, dass jeder vierte Lehrling seine Ausbildung abbricht.

Sehrbrock: Deshalb schlagen wir gemeinsam mit den Arbeitgebern vor, dass die Betriebe einen Anspruch auf sogenannte ausbildungsbegleitende Hilfen bekommen. Vorbild ist die Schweiz, dort überprüfen die Berufsschulen drei Monate nach dem Beginn der Lehre, ob ein Jugendlicher Hilfe braucht, und wenn ja, welche. Deutsch, Mathematik, Fachkunde, sozialpädagogische Begleitung. Solche Hilfen gibt es zwar auch bei der Bundesagentur für Arbeit. Aber ein Betrieb muss sie eigens abrufen und einen Antrag stellen. Wir wollen, dass sie Standard werden.

SZ: Die Regierung denkt über einen Rabatt auf die Arbeitslosenversicherung für Firmen nach, die über ihrem Bedarf ausbilden. Was halten Sie davon?

Sehrbrock: Es besteht überhaupt kein Anlass, Zuckerstückchen an Unternehmen zu verteilen, schon gar nicht in wirtschaftlich guten Zeiten. Nicht zuletzt die Debatte um den drohenden Fachkräftemangel sollte der Wirtschaft endlich die Augen öffnen, dass es auch in ihrem eigenem Interesse ist, auszubilden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: