Lehren aus Ruanda:Verantwortungsvoll nach vorn blicken

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Gedenkfeier in Ruanda: Vor 20 Jahren schaute die Welt weg, bis es zu spät war. Das sollte sich nicht wiederholen. (Foto: AFP)

Afrikaner, die Afrikaner töten - nicht unsere Angelegenheit. Aus dieser Überzeugung heraus ließ die internationale Gemeinschaft das Massaker in Ruanda geschehen. Zum 20. Jahrestag schauen nun alle bedauernd zurück, statt auf das Schicksal der Menschen in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in Syrien.

Ein Kommentar von Tobias Zick, Kigali

Erinnerungsstätten an den Völkermord von 1994 gibt es in Ruanda viele, doch eine davon ist noch etwas bedrückender als all die anderen. Im Schulgebäude der Kleinstadt Murambi sind die Reste der Toten erhalten, nicht nur, wie anderswo, die zertrümmerten Schädelknochen. In mehreren Räumen stapeln sich Hunderte kalkweiße, mumifizierte Leichen.

Kinder mit gespaltenen Schädeln, Köpfe ohne Gesichter, Beine ohne Füße, schreckensverzerrte Münder, Hände, die in einer letzten Abwehrhaltung erstarrt sind. Als europäischer Besucher dieser Gedenkstätte kann man sich schwer dem Gefühl verweigern, dass in dem blinden Starren der Toten auch ein Vorwurf schwelt: Warum habt ihr nichts getan?

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Nicht dass die internationale Gemeinschaft 1994 überhaupt nichts getan hätte. Doch die Staaten, die etwas taten, taten das Falsche. Frankreich hatte unter Präsident François Mitterrand das befreundete Hutu-Regime in Ruanda mit Waffen und Militärtraining aufgerüstet - inwieweit die Franzosen vorab von den Genozidplänen wussten und wie groß ihre eventuelle Mitschuld ist, das ist derzeit Gegenstand eines neu aufflammenden Streits zwischen den beiden Nationen.

Die Warnungen des UN-Blauhelm-Kommandeurs wurden ignoriert

Kein Zweifel besteht hingegen daran, dass die Vereinten Nationen mit ihrem kläglichen Herumgeeiere dabei versagt haben, die Massaker an mehr als 800 000 Menschen zu stoppen. Der damalige UN-Blauhelm-Kommandeur Roméo Dallaire hatte schon früh vor dem sich anbahnenden Massenmord gewarnt - seine Warnungen wurden ignoriert.

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Als das Töten in vollem Gange war, meldete er nach New York, mit 4000 Mann könnte er die Menschen vor den Mordmilizen schützen. Statt mehr Truppen zu bekommen, musste er auf Geheiß von oben seine Soldaten abziehen. Den Diplomaten im Weltsicherheitsrat steckte unter anderem das Trauma der Amerikaner in Somalia in den Knochen, wo ein halbes Jahr zuvor Milizen zwei US-Kampfhubschrauber abgeschossen und mehrere überlebende GIs am Boden massakriert hatten. Damit hatte sich die Linie im Westen verfestigt: Afrikaner, die Afrikaner töten - nicht unsere Angelegenheit.

Die Welt hat wenigstens ein paar Lektionen aus Ruanda gelernt - das ist die Botschaft, die nun zum 20. Jahrestag des Genozids von allen Seiten zu hören ist. Einen kleinen Fortschritt kann man derzeit in Afrika sehen: Die Afrikanische Union (AU), die sich seit dem Tod ihres gelegentlich mitreißenden, aber doch wunderlichen Gründervaters Muammar al-Gaddafi immer seriöser organisiert, macht sichtbare Fortschritte beim Aufbau ihrer seit langer Zeit angekündigten gemeinsamen Sicherheitsarchitektur.

Die afrikanischen Friedenstruppen verdienen die Unterstützung des Westens

In der Zentralafrikanischen Republik, wo heute muslimische und christliche Milizen Tausende Zivilisten der jeweils anderen Seite massakrieren und aus der Heimat vertreiben, sind unter anderem Soldaten aus Ruanda als Friedenstruppen im Rahmen einer AU-Mission stationiert, um das Allerschlimmste zu verhindern. Bei vielen dieser Soldaten löst das, was sie dort sehen, traumatische Erinnerungen an den Genozid in ihrer eigenen Heimat aus.

Die afrikanischen Friedenstruppen verdienen bei ihrer Arbeit - das sollte eigentlich selbstverständlich sein - die Unterstützung des Westens. Nicht aus schlechtem Gewissen, sondern aus jener zwischenmenschlichen Solidarität, die das viel strapazierte Wort "Weltgemeinschaft" gebietet. Derzeit laviert Europa wieder einmal herum: Nur mit Ach und Krach, mit wochenlanger Verspätung hat die Europäische Union ihre 800 Mann starke Truppe für Zentralafrika zusammenbekommen, die künftig einen winzigen Teil des Landes schützen soll - den Flughafen und zwei Stadtteile der Hauptstadt Bangui.

Mehrere europäische Mitgliedsländer hatten zwischenzeitlich ihre vorläufigen Truppenzusagen mit Verweis auf die Krise in der Ukraine zurückgezogen. Im Zweifel ist Europa das Geschehen vor der eigenen Haustür wichtiger. Das ist verständlich und nur menschlich. Aber auch beim Versagen der Weltgemeinschaft 1994 in Ruanda waren viele Einzelentscheidungen der Verantwortlichen menschlich verständlich - und in der Konsequenz dennoch falsch und verheerend.

Die Lehren aus Ruanda - sie tauchen in diesen Tagen verlässlich in allerlei Trauerreden auf. Aber zugleich zeigt sich, dass die internationale Gemeinschaft, wenn es darauf ankommt, noch immer zum Gedächtnisschwund neigt. Es wäre wünschenswert, dass nun die Gedenkfeiern für die 800 000 toten Ruander nicht nur dazu anregen, bedauernd zurückzublicken, auf das Versagen vor 20 Jahren, sondern auch verantwortungsvoll nach vorn: auf das Schicksal der Menschen in Zentralafrika, in Südsudan und Syrien.

© SZ vom 08.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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