Lee Kuan Yew:Der Mann, der Asien eine Stimme gab

  • Singapurs Gründungsvater Lee Kuan Yew ist im Alter von 91 gestorben. Er gilt als einer der wichtigsten Vordenker in Asien.
  • Unter Lees Führung wurde der Stadtstaat im rasanten Tempo aus der Dritten in die Erste Welt katapultiert.
  • Kritiker im Westen rieben sich an Lees Vorstellungen von Freiheit und Demokratie. Der Staat hat die Pressefreiheit beschnitten. Prügel- und Todesstrafe gehören bis heute zum Strafkatalog in Singapur.

Von Arne Perras, Singapur

Wer Asiens Metamorphosen studieren will, kommt an diesem Mann der Tat nicht vorbei: Lee Kuan Yew verblüffte mit seinem Lebenswerk die ganze Welt. War es möglich, dass sich eine versumpfte tropische Hafenstadt in kürzester Zeit in eine der reichsten Metropolen der Welt verwandelte? Singapurs Premierminister machte vor, wie das geht. Er regierte den Stadtstaat an der Spitze der Malaiischen Halbinsel von 1959 bis 1990. Lee war einer, der klotzte und nicht kleckerte.

Nun ist der Gründungsvater von Singapur im Alter von 91 Jahren gestorben.

Asien hat damit einen der wichtigsten Vordenker der Nachkriegsgeschichte verloren, auch wenn Lee ein Mann der Praxis war. "Ich arbeite an keiner Theorie", sagte er einmal im Gespräch mit dem amerikanischen Professor Tom Plate, der ihn wiederholt zu langen Gesprächen traf. "Ich erledige Dinge."

Lee trieb seine Pläne pragmatisch voran

Lee sah Aufgaben und suchte nach Lösungen, er war so etwas wie ein politischer Ingenieur: "Wenn ich merkte, dass ein bestimmter Weg funktionierte, dann habe ich versucht, das Prinzip hinter der Lösung zu finden." Natürlich konnte er das alles nicht alleine stemmen, er brauchte dazu diese kleine, äußerst fleißige und manchmal bis an die Schmerzgrenze disziplinierte Nation, die er lenkte und wesentlich formte. Der Aufstieg Singapurs, er trägt die unverwechselbare Handschrift ihres Gründungsvaters, Lee Kuan Yew.

Dass der Hafen an der Spitze der Malaiischen Halbinsel nicht in Vergessenheit geriet, dass er im Schatten der Riesen Indonesien, China und Indien niemals aus dem globalen Blick verschwand - das verdankte er zwar auch seiner strategischen Lage an der Straße von Malakka, einem der wichtigsten Seewege der Welt. Doch vor allem war es der Ehrgeiz Lees, der immer stärker auffiel und Wirkung zeigte. Hier war ein Mann, der seine Pläne pragmatisch vorantrieb und dabei nie das große Ziel aus den Augen verlor: Wohlstand für das multiethnische Gemeinwesen Singapur.

Dieser Staat hat sich unter Lees Führung in einem solchen Tempo aus der Dritten in die Erste Welt katapultiert, dass vielen Nachbarn schon beim Zusehen schwindlig werden musste. Auf kleinstem Raum und ohne natürliche Ressourcen ist es ihm gelungen, eine hochmoderne Metropole hochzuziehen. Heute verfügt der Stadtstaat über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt.

Kritiker im Westen rieben sich an Lees Vorstellungen

Mit westlichen Idealen war das, was Lee schuf, nicht immer in Einklang zu bringen. Er sagte einmal, sein Aufwachsen in einer Familie mit drei Generationen habe ihn zu einem "unbewussten Konfuzianisten" gemacht. "Der Konfuzianist glaubt, dass die Gemeinschaft Priorität hat und wenn das Individuum darüber verliert, kann man das nicht ändern." Die Amerikaner hätten umgekehrt die Rechte des Individuums über das der Gemeinschaft gesetzt. Lee kam zu dem Schluss: "So kann man manche Probleme einfach nicht lösen."

Kritiker im Westen rieben sich an Lees Vorstellungen von Freiheit und Demokratie. Doch er hatte tumultreiche Jahre erlebt, als Malaysia und Singapur in die Unabhängigkeit strebten und sich schließlich nach viel Krach in zwei Staaten trennten. Die Sorge vor ausufernder Gewalt auf den Straßen hat Lees Generation geprägt. Später war es Kritikern nur noch schwer möglich aufzubegehren, ohne umgehend die Konsequenzen solcher Aufmüpfigkeit zu spüren. Die Pressefreiheit hat der Staat beschnitten. Wurden Medien einmal allzu frech, mussten sie sich Schadensersatzprozessen stellen, die sie meist verloren. Prügel- und Todesstrafe gehören bis heute zum Strafkatalog im Stadtstaat Singapur. Und sie finden, soweit man dies in einer gelenkten Gesellschaft erkunden kann, eine recht breite Akzeptanz.

Lee kam am 16. September 1923 zur Welt. Schon als Schüler glänzte er mit den besten Noten. Später studierte er im britischen Cambridge Recht und kehrte 1949 als Anwalt in seine Heimat zurück. Er zählte zu jenen Führern, die Asien eine selbstbewusste Stimme gaben, er ließ sich nicht einfach vom Westen vereinnahmen, obgleich sie ihn dort als einen ihrer verlässlichsten Partner schätzten.

Beliebt war er unter asiatischen Nachbarn nicht immer. Wer aus den ärmsten Gegenden der Welt nach Singapur reiste und sah, was Lee da geschaffen hatte, geriet regelmäßig ins Grübeln. Afrikas Eliten fragten sich: Warum schaffen wir nicht, was Singapur gelungen ist? Analysten, die sich mit Armut und Elend beschäftigen, kommen oft zu dem Schluss: Singapurs Weg ist doch nur sehr begrenzt übertragbar. Denn der Staat ist klein und überschaubar. Lee hat es schließlich auch selbst einmal gesagt. Als man ihn fragte, ob er Ähnliches auch in Indien geschafft hätte, sagt er unumwunden: "Nein."

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