Lebensmittel:Zu gut für die Tonne

Ernährungsminister Schmidt will das Mindesthaltbarkeitsdatum abschaffen. Es verleite zu viele Menschen, Nahrungsmittel wegzuwerfen, die noch genießbar wären.

Von Markus Balser

Der abgelaufene Quark, die vergessene Pasta ganz hinten im Kühlschrank: In hiesigen Küchen landen Lebensmittel im großen Stil im Müll. Der Umweltverband WWF hat in einer aktuellen Studie ausgerechnet, dass die Deutschen jährlich 18 Millionen Tonnen Nahrung wegwerfen - ein Drittel des gesamten Verbrauchs. Das Fleisch von 45 Millionen Hühnchen, vier Millionen Schweinen und einer Viertelmillion Rindern kommt laut Heinrich-Böll-Stiftung gar nicht erst auf den Teller. Es werde als "vermeidbarer Abfall" in Privathaushalten vergeudet.

Seit Jahren schon fordert die Politik von den Deutschen, mehr gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu tun. Eine App namens "Zu gut für die Tonne", in der bekannte Köche Tipps zum Restekochen geben, ist die am öftesten heruntergeladene der Regierung. Viel geändert hat all das aber nicht. Die Regierung musste sich deshalb von dem EU-Ziel verabschieden, die Menge der entsorgten brauchbaren Lebensmittel bis 2020 zu halbieren; neues Ziel: 2030. Und inzwischen setzt sich die Einsicht durch, dass die Politik eingreifen muss. Die Bundesregierung knöpft sich nun einen der Hauptverursacher des großen Wegwerfens vor: das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD).

Die seit Jahrzehnten nach EU-Recht vorgeschriebene Herstellerangabe soll selbst ein baldiges Ablaufdatum bekommen. Kritiker bemängeln, dass Verbraucher das Datum oft falsch verstehen und auch Supermärkte ihre Ware viel zu früh aussortieren. Denn das MHD garantiert nur, dass Farbe, Geruch und Geschmack des ungeöffneten Lebensmittels bei richtiger Lagerung bis zu diesem Tag erhalten bleiben. Genießbar bleibt es jedoch auch nach Ablauf. Reis, Nudeln oder Mehl etwa sind oft viele Monate länger haltbar. Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) forderte am Freitag deshalb die Abschaffung der Angabe. "Wir werfen massenweise gute Lebensmittel weg, weil die Hersteller zu große Sicherheitspuffer eingebaut haben", sagte er in einem Interview. Er gehe davon aus, dass in wenigen Monaten der Entwurf einer entsprechenden EU-Richtlinie vorliege. Da das MHD im Ermessen des Herstellers liegt, haben Verbraucherschützer seit längerer Zeit den Verdacht, dass manche Produzenten lieber knapp bemessene Angaben auf die Etiketten setzen - und so auch noch vom Wegwerfen profitieren. Dabei sind die Folgen gravierend, aus ethischer, ökologischer und ökonomischer Sicht. Um die weggeworfenen Lebensmittel zu erzeugen, sind 2,6 Millionen Hektar Nutzfläche nötig. Dabei werden 48 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt. Bei Produkten wie Salz oder Zucker, die dauerhaft genießbar sind, muss schon heute kein Haltbarkeitsdatum mehr auf der Verpackung stehen, nur noch das Herstellungsdatum. Ganz verschwinden sollen die Angaben zum drohenden Verfall jedoch nicht. "Auf die Verpackungen von Milch oder Schinken soll ein echtes Verfallsdatum gedruckt werden, nach dem diese Produkte tatsächlich nicht mehr genießbar wären", fordert Schmidt, der auch auf andere Abhilfe hofft. Die Zukunft gehöre ohnehin "der intelligenten Verpackung", die den Zustand der Ware selbst erkennt.

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