Lebensmittel-Skandal:Die Spuren der Eier

Erst waren es nur ein paar Hunderttausend verseuchte Eier, jetzt wird von zehn Millionen gesprochen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Katrin Langhans, Silvia Liebrich, Berit Uhlmann und Jan Heidtmann

Wie viele verseuchte Eier gibt es?

Mindestens zwölf Millionen kontaminierte Eier sind im Umlauf, teilte das niedersächsische Landwirtschaftsministerium am Freitag mit. Die Eier wurden über eine Packstelle in Vechta vertrieben und zurückgerufen. Am Vortag war noch von drei Millionen betroffenen Eiern die Rede gewesen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) teilte am Donnerstagabend in Berlin mit, mittlerweile seien zwölf der 16 Bundesländer betroffen, besonders Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wohin viele Eier aus den Niederlanden geliefert werden. Mindestens 268 000 möglicherweise mit dem Insektizid Fipronil verseuchte Eier aus den Niederlanden sind an den Handel in Bayern geliefert worden.

Sind auch andere Lebensmittel betroffen?

Fipronil wird beim Kochen, Backen oder Braten nicht abgebaut. Es kann also auch in Lebensmittel gelangen, in denen Eier verarbeitet wurden. Die Untersuchungen laufen. Bisher wurde Fipronil in verschiedenen Salaten der Mayo Feinkost GmbH gefunden. Die Firma hat die Rücknahme der betroffenen Produktchargen, etwa von "Eiersalat klassisch" und "Hofgut Thunfischsalat", bereits eingeleitet. Eine Liste aller betroffenen Salate ist auf www.

lebensmittelwarnung.de gelistet. Wie gefährlich ist Fipronil? Fipronil ist ein Gift, das Insekten schnell töten kann. Es wird eingesetzt, um Pflanzen gegen Schädlinge zu schützen oder Haustiere von Parasiten wie Flöhen, Läusen oder Milben zu befreien. Als Pflanzenschutzmittel darf es in Deutschland lediglich eingeschränkt angewendet werden. In der Veterinärmedizin ist es nur bei solchen Tieren zulässig, die keine Lebensmittel liefern, also meist Haustieren. In Versuchen an Nagetieren und Hunden hatte die Chemikalie toxische Auswirkungen auf das Nervensystem. Welche Auswirkungen Fipronil auf Menschen hat, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Bei Personen, die das Insektizid versehentlich zu sich nahmen, wurden Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Kopfschmerzen, Schwindel und Krämpfe dokumentiert. Die Symptome ebbten jedoch in aller Regel von allein wieder ab.

Eine Berechnung ausgehend von den Tierversuchen ergab, dass der Mensch pro Kilogramm Körpergewicht 0,009 Milligramm Fipronil aufnehmen kann, ohne dass ihm erkennbare akute Gesundheitsgefahren drohen. Bei Erwachsenen geht das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) davon aus, dass der Grenzwert nicht so leicht überschritten wird. Ein 65 Kilogramm schwerer Mensch müsste schon mehr als sieben Eier am Tag verzehren, um über den kritischen Wert zu gelangen. Ein Kind mit einem Gewicht von 16 Kilogramm erreicht den Grenzwert mit 1,7 maximal belasteten Eiern. "Das bedeutet nicht zwangsläufig eine konkrete Gesundheitsgefährdung", schreibt das Institut. Es zeige aber, dass ein gesundheitliches Risiko möglich sei.

Wie kam das Gift in die Eier?

Offenbar wurde das Insektizid in ein eigentlich unbedenkliches Reinigungsmittel für Hühnerställe gemischt. Wie genau das vor sich ging und ob es vorsätzlich geschah, dazu ermittelt in den Niederlanden die Staatsanwaltschaft (siehe nebenstehenden Beitrag).

Welche deutschen Betriebe sind davon betroffen?

In Niedersachsen wurde Fipronil in fünf Unternehmen nachgewiesen, in denen wohl die Reinigungsfirma Chickfriend tätig war - sie haben den Verkauf der Eier gestoppt. Der erste Betrieb hat sich selbst beim niedersächsischen Ministerium gemeldet. Die Namen von vier weiteren wurden dem Ministerium von Partnerbehörden genannt. Drei dieser Betriebe produzieren Eier. Bei einem weiteren fand man Fipronil im Gefieder von Junghennen.

Aldi stellt den Verkauf von Eiern ein, Rewe und Penny haben Eier aus den Niederlanden aus dem Sortiment genommen. Ist das notwendige Vorsorge oder eher eine PR-Maßnahme?

Fipronil ist zur Behandlung von Tieren, die Lebensmittel produzieren, verboten. Da in den zurückgenommenen Eiern der EU-weit geltende Höchstwert für Rückstände überschritten wurde, dürfen sie nicht mehr verkauft werden. Dass Rewe, Penny und Lidl die Öffentlichkeit informieren, dass alle Eier - egal, ob es eine Belastung gab oder nicht - unverzüglich aus dem Sortiment genommen wurden, ist vor allem gute PR fürs Unternehmen. Diese Maßnahmen könnten jedoch zu einem Eier-Engpass führen.

Faules Ei

Den Hinweis auf eine Fipronil-Belastung gibt die aufgestempelte Nummer auf dem Ei. Verbraucher können anhand dieser Nummern prüfen, ob Eier in ihrem Kühlschrank verunreinigt sind. Nach Angaben des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit (BVL) sind derzeit Eier mit diesen Nummern betroffen: 1-NL-4128604; 1-NL-4286001; 0-NL-4392501; 0-NL-4385501; 2-NL- 4015502; 0-NL-431001; 1-NL-4167902; 1-NL-438570; 1-NL-4339301; 1-NL- 433 9912; 2-NL-4385702; 1-NL-433 1901; 2-NL-4332601; 2-NL-4332602; 1-NL- 4359801. NL steht dabei für die Herkunft aus den Niederlanden, bei deutschen Eiern wäre es DE. Eine Liste mit fortlaufend aktualisierten Nummern gibt es bei sueddeutsche.de. Die zuständigen Ministerien der betroffenen Bundesländer raten, betroffene Eier in der Restmülltonne zu entsorgen. Wer möchte, kann die Eier jedoch auch zum Händler zurückbringen und dort sein Geld zurückfordern. Das BVL informiert auf der Seite www.lebensmittelwarnung.de über aktuelle Warnungen oder Rückrufe. SZ

Wie hat die Politik reagiert?

Die belgischen Behörden informierten am 20. Juli alle EU-Mitgliedsstaaten darüber, dass bei einem belgischen Produzenten mit Fipronil belastete Eier gefunden wurden. Welche Länder von dem Befund betroffen waren, war zunächst nicht bekannt. Am 28. Juli warnte die niederländische Partnerbehörde über das EU-Schnellwarnsystem RASFF, dass belastete Eier unter anderem auch nach Deutschland gelangt sind. Die betroffenen Eier aus den Niederlanden waren zunächst über Packstationen nach Nordrhein-Westfalen geliefert worden. Zwei Tage nach der EU-weiten Meldung informierte in NRW das Landesministerium die Verbraucher über die kontaminierten Eier. Einen Tag später folgen Meldungen aus Niedersachsen. Lebensmittelrücknahmen oder Warnungen vor schadhaften Lebensmitteln sind in Deutschland Ländersache. Da aber mindestens zwölf Bundesländer betroffen sind, hat sich nun auch das Bundeslandwirtschaftsministerium eingeschaltet. Das Bundesministerium kommuniziert eher nüchtern über die Befunde und spricht davon, dass "ein gesundheitliches Risiko nicht völlig auszuschließen" ist, während das niedersächsische Ministerium im Netz im schlimmsten Fall vom "Risiko einer Schädigung von Organen" spricht. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) teilte am Donnerstag in Berlin mit, die Lage sei "unter Kontrolle", es gebe aber "noch keine Entwarnung". Warenströme würden untersucht.

Wie dramatisch ist der gegenwärtige Skandal verglichen mit anderen Lebensmittel-Skandalen?

Auch wenn es manchmal einen anderen Anschein hat: Tragische Folgen haben verunreinigte oder verdorbene Lebensmittel im Gegensatz zu früheren Zeiten nur sehr selten. Ein besonders dramatischer Fall aus jüngerer Zeit ist der Ausbruch der Ehec-Epidemie im Sommer 2011, damals starben mehr als 50 Menschen durch einen Darmkeim, der sich vermutlich durch kontaminierte Sprossen verbreitet hat. Die genauen Ursachen sind bis heute nicht geklärt. Todesfälle wurden auch im Zusammenhang mit den sogenannten Bayern-Ei-Skandal bekannt, mindestens zwei Menschen sind an einer Salmonelleninfektion gestorben.

Kann ein solcher Skandal die Strukturen der Eierproduktion verändern?

Missstände und Skandale können durchaus strengere Gesetze und Auflagen zur Folge haben. Ein solches Beispiel ist die BSE-Krise Ende des vergangenen Jahrhunderts. Die sogenannte Rinderwahn-Krankheit führte dazu, dass Tiermehl nicht mehr an Rinder und Schafe verfüttert werden durfte. Außerdem wurde eine Meldepflicht für eventuell infizierte Tiere eingeführt. Den Missbrauch etwa von Antibiotika in Hühner- und Schweinställen versucht Deutschland mit einem Melderegister einzudämmen. Halter müssen angeben, wann und in welchen Mengen sie solche Medikamente einsetzen. Solche Fälle sind aber eher die Ausnahme. Die meisten Skandale bleiben folgenlos. Verbraucher haben in der Regel ein kurzes Gedächtnis, das zeigt die Statistik: Die meisten Skandale sind nach wenigen Wochen vergessen. Verkaufszahlen brechen für ein paar Wochen ein und erreichen dann wieder rasch ihr früheres Niveau.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: