Lauschangriff:Der Staat im Schlafzimmer

Die Karlsruher Richter müssen entscheiden, ob die Grundgesetzänderungen zum Großen Lauschangriff verfassungswidrig waren. Kritiker befürchten das "Ende des Privaten".

Helmut Kerscher

Dieser Dienstag verspricht einen großen Angriff auf die Konzentrationsfähigkeit von Verfassungsrichtern und Prozessbeteiligten. Prominente Kläger, Politiker und Juristen sowie eine Phalanx von Experten werden vor dem Ersten Senat von zehn Uhr morgens bis in den Abend hinein über die Verfassungsmäßigkeit des Großen Lauschangriffs streiten, also über das Abhören von Wohnungen mit Wanzen zum Zweck der Strafverfolgung.

Angesichts des Themas und der Geladenen ist ein Abweichen von der gewohnten Struktur mündlicher Verhandlungen in Karlsruhe zu erwarten, die zumeist mit plakativen Reden vor vollem Haus beginnen und mit komplizierten verfassungsrechtlichen Ausführungen von Professoren vor einer fast leeren Pressetribüne enden.

Spannung garantiert

Die Temperamente der drei bekanntesten Beschwerdeführer (Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum, alle FDP), die Offensivkraft der Datenschützer und die Präzision der Kriminologen Christian Pfeiffer (Hannover), Hans-Jürgen Kerner (Tübingen) und Jörg Kinzig (Freiburg) werden kaum Langeweile aufkommen lassen.

In der Defensive müssen sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), Generalbundesanwalt Kay Nehm und der Präsident des Bundeskriminalamts, Ulrich Kersten, bewähren.

Hinzu kommen Beiträge aus der Praxis von einem Hamburger Strafrichter und einem Frankfurter Staatsanwalt sowie von der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Richterbund und der Gewerkschaft Verdi.

Ende der Privatheit

Die brisante Kernfrage des seit 1998 anhängigen Verfahrens lautet: Haben die Politiker mit der Einführung der "akustischen Wohnraumüberwachung" den überaus seltenen Fehler einer verfassungswidrigen Änderung der Verfassung begangen? Verstoßen die vier damals in den Artikel 13 des Grundgesetzes aufgenommenen Absätze gegen den ersten Satz desselben Artikels, in dem es heißt "Die Wohnung ist unverletzlich"?

Und sind die Einfügungen zudem vereinbar mit den verfassungsrechtlichen Garantien der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte sowie dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und dem Anspruch auf rechtliches Gehör?

Für die Kläger - außer den liberalen Politikern sind es zwei Privatpersonen - berührt die Verfassungsänderung einen "unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung", der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen sei.

Sie diagnostizieren etwas, was kürzlich auch Jürgen Kühling, ein früheres Mitglied des Ersten Senats, beklagte: "Das Ende der Privatheit". Es drohe mit dem möglichen Lauschangriff auf Wohnungen "ein Zivilisationsverlust, der unsere Demokratie verändern wird", schrieb Kühling.

Was bleibt noch übrig vom Artikel 13?

Ähnlich alarmiert zeigten sich jetzt sieben Länder-Datenschutzbeauftragte. Nach den schon früher ermöglichten Zugriffen auf die Telekommunikation, den Briefverkehr und öffentlich geführte Gespräche gebe es nun "schlechterdings keine weitere Rückzusmöglichkeit für den Betroffenen" mehr.

Das Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern zum Staat werde sich ändern, wenn diese "selbst im Wohn- oder Schlafzimmer nicht sicher sein können, dass staatliche Behörden nicht jedes Wort mithören".

Ähnlich wie Kühling sehen die Datenschützer das sich dramatisch verknappende persönliche und gesellschaftliche Gut der Privatheit verletzt. "Was", so fragen sie, "kann vom Wesensgehalt des Artikels 13 des Grundgesetzes noch übrig bleiben, wenn sämtliche Lebensäußerungen in der 'unverletzlichen' Wohnung staatlich belauscht werden können, weil sich 'vermutlich' ein Beschuldigter in ihr aufhält?"

Eingriffsschwelle zu niedrig

Datenschützer und Kläger halten nicht nur die Verfassungsänderung für verfassungswidrig, sondern auch die Änderung der Strafprozessordnung. Der dort genannte Katalog von Straftaten, bei deren Verdacht ein Lauschangriff auf Wohnungen richterlich angeordnet werden könne, sei viel zu lang.

Die Eingriffsschwelle sei viel zu niedrig, weil ein Lauschangriff nicht nur bei dringendem Tatverdacht und drohender Aussichtslosigkeit anderer Ermittlungsmethoden zugelassen werde.

Zudem richte sich der Lauschangriff häufig auch gegen gänzlich Unverdächtige, eine wirksame Kontrolle sei nicht garantiert. Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte seien so wenig berücksichtigt, dass der Gesetzgeber beispielsweise einen Eingriff in die besonders schützenswerte Privatsphäre der engsten Angehörigen zulasse.

Unbegrenzte Verlängerung

Die besorgten Kritiker monieren außerdem, dass die einmal angeordnete Überwachung praktisch unbegrenzt verlängert werden könne. Ihr gemeinsames Fazit: Die Regelungen zum Großen Lauschangriff sind verfassungswidrig. Das Gericht wird voraussichtlich im Herbst verkünden, ob es diesen Befund teilt.

Es ist übrigens dasselbe Gericht, das im März diesen Jahres die Zugriffe auf Journalisten-Handys billigte - wegen der "unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung".

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