Laschet zu NRW-Wahl:"Die Zuwanderer werden mit entscheiden"

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Die Wahl in NRW wird ein enges Rennen, glaubt CDU-Integrationsminister Armin Laschet. Vor allem den Migranten wird eine gewichtige Rolle zukommen.

G. Babayigit

Armin Laschet (49) wurde unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im Jahr 2005 erster Integrationsminister der Bundesrepublik und hat sich seither als Experte in Integrationsfragen profiliert.

Integrationsminister Armin Laschet (CDU) erntet ab und an selbst beim politischen Gegner Lob für seine Politik. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Vergangene Woche ist in Aygül Özkan erstmals eine muslimische Politikerin mit Migrationshintergrund Landesministerin geworden. Geht von dieser Personalie in Niedersachsen auch eine Signalwirkung für die Migranten in Nordrhein-Westfalen aus?

Armin Laschet: Ich glaube ja. Man hat der CDU lange nachgesagt, sie meine das nicht ernst mit der Integration. Mir wurde immer freundlich auf die Schulter geklopft als sei ich allein in der CDU. Dann kam Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Integrationsgipfel, dann kam der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble mit der Islamkonferenz. Die Menschen registrierten, es hat innerhalb der Union einen Wandel gegeben. Das ist nun der endgültige Beleg, dass wir es ernst meinen. Es kann also gut sein, dass viele Migranten bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zum ersten Mal in ihrem Leben CDU wählen.

sueddeutsche.de: Viele Migranten dürfen am 9. Mai gar nicht wählen. Selbst eine Reform des kommunalen Wahlrechts - etwas, das Migrantenverbände schon lange fordern - lehnt Ihre Partei ab.

Laschet: Die Diskussion um das kommunale Wahlrecht ist eine Scheindebatte. Man sieht das an jenen EU-Bürgern, die auf kommunaler Ebene wählen dürften, von diesem Recht aber fast überhaupt nicht Gebrauch machen. Die meisten Migranten interessieren sich vor allen Dingen für die Bundespolitik, Themen wie Aufenthaltsgesetzgebung, Hartz-Gesetzgebung. Themen also, die nicht kommunal entschieden werden.

sueddeutsche.de: Also den Migranten das kommunale Wahlrecht verwehren? Es wäre doch ein Symbol des Aufeinanderzugehens, wenn man dieser Forderung nachkommt.

Laschet: Man könnte es einführen, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht so einfach wäre. Aber das würde an den Integrationsproblemen nichts ändern. Ich hänge das nicht so hoch mit den Kommunalwahlen. Die zentrale Frage bleibt: Wie kann man Partizipationsrechte der Migranten stärken? Aus meiner Sicht eben nicht durch das kommunale Wahlrecht. Ich bin gegen Symbolakte solcher Art. Wir setzen auf mehr Einbürgerung, was aktives und passives Wahlrecht bis hoch zur Bundesebene mit sich bringen würde. Dazu müssen wir die Einbürgerung einfacher machen. Sie muss unbürokratischer und günstiger werden. Und die Migranten müssen auch ermutigt werden, sich einzubürgern.

sueddeutsche.de: Wie sollen sie ermutigt werden?

Laschet: Die Ämter müssen auf die Menschen zugehen und ihnen die Möglichkeit präsentieren. Das hat man nicht gemacht. Die Ämter haben bislang eher das Gegenteil getan.

sueddeutsche.de: Viel Lob erhielten Sie, als Sie landesweite Deutsch-Tests für Vierjährige einführten. Doch die Gruppe der Migranten umfasst mehrere Generationen. Die Älteren stehen der Integrationspolitik skeptisch bis ablehnend gegenüber. Wie lässt sich diese Skepsis beseitigen?

Laschet: Sie brauchen für jede Generation andere Antworten. Zum einen haben Sie die erste Migranten-Generation, die jetzt in den Ruhestand geht oder schon ist. Viele aus dieser ersten Generation bleiben in Deutschland. Da brauchen wir zweierlei: eine Anerkennungskultur und eine Wahrnehmungskultur. Man muss aber mit 70 Jahren nicht mehr Deutschkurse belegen. Die Generation hat ihre Lebensleistung durch harte Arbeit erbracht, hier geht es zum Beispiel darum, die Altenpflege kultursensibel umzugestalten. Darauf ist so gut wie niemand vorbereitet. Dann haben wir jene Generation ab 30, die im Berufsleben steht. Da gibt es die geringsten Probleme. Und dann haben Sie die 20-Jährigen, die ohne Abschluss die Schule beenden und perspektivlos sind. Diese Generation wird man nachqualifizieren, wird man mit Initiativen an die Berufswelt heranführen müssen. Das ist das Mühsamste. Jenen, die jetzt in der Schule sind, kommen bereits erste integrationspolitische Maßnahmen wie die erhöhte Zahl an Ganztagsangeboten zugute. Und die ganz Kleinen profitieren von dem ganzen Paket.

sueddeutsche.de: Trotzdem müssen Sie mit der Kritik leben, in der Schulpolitik nichts zu unternehmen. Das dreigliedrige Schulsystem ist vielen ein Dorn im Auge, auch viele Experten fordern die Gesamtschule. Wieso traut sich die CDU hier nicht an eine Reform?

Laschet: Die wichtigere Frage ist: Welches System ist das beste, um Aufstieg für jeden unabhängig von der Herkunft möglich zu machen? Da ist die Antwort 'Das ist nur die Einheitsschule' nicht die richtige. Individuelle Förderung kann in jedem System stattfinden. Ich kann in einem großen System nicht so optimal fördern, wie ich das etwa in einer guten Hauptschule kann. In einer Einheitsschule wären es doch wieder die Migrantenkinder, die das Nachsehen hätten. Viele Migranten wollen überdies nicht das Gymnasium abschaffen, sondern wollen dorthin. Das muss auch das Ziel sein: durch mehr individuelle Förderung mehr Kinder von Migranten aufs Gymnasium bringen.

sueddeutsche.de: Vor 15 Jahren war es beinahe unmöglich, in Ihrer Partei Integrationspolitik zu betreiben. Wie hat sich die Union in diesem Punkt verändert - und wo muss sie noch hin?

Laschet: In der gesamten Gesellschaft gibt es mittlerweile dieses Umdenken. In der CDU hat der Prozess im Vergleich zu den Grünen etwa später begonnen, dafür aber umso intensiver. Es ist vielleicht auch gerade Aufgabe der lange zögernden CDU, die Frage der Integration in die Gesellschaft hinein zu versöhnen. Das ist nämlich längst noch nicht bei allen Leuten angekommen. Man kann das vergleichen mit zwei anderen wichtigen Einschnitten in der Bundespolitik. Die Notwendigkeit eines Bundeswehreinsatzes im Ausland musste vielleicht ein grüner Außenminister durchsetzen, der mal pazifistisch begonnen hatte. Und die Hartz-Gesetzgebung musste vielleicht unter SPD-Kanzler Schröder kommen. Die Integration ist die Aufgabe der CDU: die deutsche Gesellschaft mit der Einwanderungsrealität zu versöhnen und deutlich zu machen, dass wir ein Einwanderungsland sind.

sueddeutsche.de: Aber die Vorurteile der Migranten gegenüber der Union sind groß - und wurden vor dem Hintergrund der wütenden Reaktionen auf Frau Özkans Forderung nach einem Kruzifix-Verbot an Schulen nicht gerade abgebaut.

Laschet: Die Reaktionen aus der Union - insbesondere aus Reihen der CSU - waren völlig überzogen. Ich teile die Einschätzung von Frau Özkan nicht. Aber dass die Kritiker sich bei ihr so darauf fixiert haben, dass sie Muslimin ist, war ein großer Fehler. Das ist eine rein politische Frage und hat nichts mit Frau Özkan als Muslimin zu tun. Die Debatte hat schon beim Karlsruher Urteil vor zwanzig Jahren Aufregung ausgelöst. Im ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts saßen aber meines Wissens keine Muslime, deshalb hat es auch nichts damit zu tun.

sueddeutsche.de: Vor zwei Jahren sagten Sie während des Wahlkampfs von Roland Koch, man könne mit Integrationsthemen keine Wahlen gewinnen. Ist das heute auch noch so?

Laschet: Damals meinte ich, dass man keine Wahlen mehr gewinnen könne, wenn man Stimmung gegen Zuwanderer macht. Die Gesellschaft ist heute viel weiter, als manche Parteistrategen vielleicht glauben. Insofern macht keiner mehr Wahlkampf zu Lasten von Zuwanderern.

sueddeutsche.de: Und wenn man zugunsten von Zuwanderern Wahlkampf macht?

Laschet: Es ist sehr knapp. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird es um wenige tausend Stimmen gehen, und die Zuwanderer werden diese Wahl mit entscheiden. Als Hauptthema kann Integration aber nicht dienen. Beim Durchschnittswähler ist eine gewisse Skepsis vor dem Islam schon noch weiter verbreitet, übrigens nicht nur bei CDU-, sondern auch bei SPD-Wählern. Deshalb finde ich, sollte man das Thema aus Wahlen heraushalten und parteiübergreifende Lösungen finden.

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