Landwirtschaft:Krise im Kuhstall

Der Bauernverband warnt angesichts niedriger Lebensmittelpreise vor einem beschleunigten Höfesterben in Deutschland. Es gebe aber ungenutzte Chancen: im Bereich der ökologischen Betriebe.

Von Markus Balser, Berlin

Wie tief die Wut der Landwirte sitzt? Romuald Schaber, Verbandschef der deutschen Milchbauern, weiß, was in den Betrieben los ist. Die niedrigen Milchpreise, die viele Höfe in den Ruin treiben, seien nicht nur ein Desaster für die Landwirte, sondern auch ein gesellschaftlicher Skandal, wettert der Bauernvertreter. Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) rechnete kürzlich vor, seine Kollegen hätten in der aktuellen Krise etwa vier Milliarden Euro verloren. "Der geringste Teil davon kommt in Form von billigen Lebensmitteln bei den Verbrauchern an." Die Milliarden blieben bei den Konzernen hängen.

Bundesweit kämpfen derzeit immer mehr landwirtschaftliche Betriebe ums Überleben - nicht nur Milchbauern. Und immer mehr müssen aufgeben. Anfang der Neunzigerjahre arbeiteten noch knapp 1,2 Millionen Menschen in einem landwirtschaftlichen Betrieb, heute sind es nur noch 650 000. Die Zahl der Höfe ist von gut 540 000 auf 280 000 gesunken. An einen schleichenden Strukturwandel hätten sich die Bauern längst gewöhnt, sagt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Doch im vergangenen Jahr hat sich das Höfesterben deutlich beschleunigt. Gab es in der Vergangenheit pro Jahr 1,6 Prozent weniger Betriebe, sank die Zahl von Milchvieh- und Schweinehaltern zuletzt um fünf Prozent. "Das ist kein Wandel mehr. Das ist ein Strukturbruch", warnt Rukwied.

Melkroboter

Ein Melkroboter sucht mit Laserstrahlen ein Kuheuter ab, ehe der Absaugrüssel ansetzt: Milchbauern haben seit geraumer Zeit stark mit niedrigen Preisen zu kämpfen. Sie sind aber nicht die Einzigen.

(Foto: dpa)

Einmal im Jahr fragt der Verband bei seinen Mitgliedern die wirtschaftliche Lage für seinen Situationsbericht ab. Die Statistik, die Rukwied am Dienstag in Berlin vorstellte, macht klar, wie dramatisch die Lage für viele Bauern ist. Denn ihre Gewinne sind angesichts niedriger Weltmarktpreise für Milch und andere Produkte im vergangenen Jahr nochmals deutlich abgesackt. Im Wirtschaftsjahr 2015/16 fiel das Unternehmensergebnis in Deutschland im Durchschnitt um acht Prozent auf 39 700 Euro. Das reine Einkommen eines Landwirts ist das allerdings noch nicht. Denn davon sind noch Investitionen in den eigenen Betrieb zu finanzieren. Vor allem Milchbauern, Schweinehalter und Ackerbauern hätten stark unter den niedrigen Erzeugerpreisen gelitten. Schon im Vorjahr hatte es einen dramatischen Einbruch gegeben. Der Rückgang lag 2014/15 bei 34 Prozent. Grundlage des Situationsberichts sind Informationen von bundesweit fast 13 000 Betrieben.

Laut Bauernverband traf der Einbruch mehrere Bereiche der Landwirtschaft besonders stark. So sank das durchschnittliche Einkommen eines Ackerbauern-Betriebs um 13 Prozent auf 55 700 Euro. Auch Schweine- und Geflügelhalter büßten mehr als 13 Prozent auf 40 000 Euro ein. Bei den Milchbauern gingen die Unternehmens-Ergebnisse um fünf Prozent auf 34 900 Euro zurück.

Eine Wende ist laut Bauernverband in Deutschland noch immer nicht in Sicht. Die Erzeugerpreise - der Preis, den Abnehmer den Landwirten für ihre Produkte bezahlen - sind zuletzt in vielen Bereichen weiter gesunken. Für Milch bekamen die Bauern 17 Prozent weniger als im Vorjahr, für Ferkel neun Prozent und für Schweine sechs Prozent. Überleben könnten viele Bauern nur dank der Prämien aus Brüssel. Im Durchschnitt flossen zuletzt 24 300 Euro pro Betrieb.

Höfesterben

SZ-Grafik; Quelle: Deutscher Bauernverband

Der Bericht macht auch klar, wo die Chancen der Landwirtschaft liegen, die viele Betriebe jedoch noch nicht nutzen. Die rund 25 000 Ökobetriebe in Deutschland konnten im Schnitt ein Fünftel mehr Geld verdienen als im Vorjahr. Sie steigerten den durchschnittlichen Gewinn auf 87 200 Euro.

Für die nächsten Monate erwartet der Bauernverband nur eine leichte Erholung. Immerhin haben sich die zuletzt stark gesunkenen Preise für Milch wieder etwas erholt. Verbraucher müssen inzwischen in den Supermärkten 15 bis 19 Cent je Liter mehr zahlen als noch vor einigen Wochen. Die Preise in den Supermärkten waren unter 50 Cent gesunken. Viele Einzelhandelsketten hatten zum 1. November die Preise erhöht. Bund und Europäische Kommission hatten wegen der niedrigen Preise Millionenhilfen für die Branche starten müssen.

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