Landtagswahlen:Für CDU und SPD ist es mit der Stabilität endgültig vorbei

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Auch die große Koalition zwischen SPD (Gabriel) und Union (Merkel) ist eine Folge des Wandels in der Parteienlandschaft.

(Foto: Getty Images)

Die Landtagswahlen werden Entwicklungen bestätigen, die es schon länger gibt. Die politischen Lager der alten Bundesrepublik und vertraute Wählerbindungen haben sich aufgelöst.

Kommentar von Kurt Kister

Schicksalswahl, Entscheidungstag, Sonntag der Abrechnung, Merkels Endspiel. Die Vielzahl der ebenso dramatischen wie dramatisierenden Begriffe, die für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz kursieren, legen nahe, dass der Wahlsonntag Deutschland grundlegend verändern könnte. Er wird es nicht tun. Aber er wird Entwicklungen bestätigen, die es schon länger gibt und die auch die Bundestagswahl 2017 beeinflussen werden.

Zunächst einmal betrifft dies die Zukunft der sogenannten Volksparteien CDU und SPD. Für beide ist die Zeit der Stabilität endgültig vorüber. "Stabilität" hieß jahrzehntelang, dass eine von beiden mit einem kleineren Koalitionspartner - lange Zeit die FDP, später auch die Grünen - im Bund und in den Ländern Regierungen bilden konnte. In einem Prozess, der Ende der Siebziger mit der Gründung der Grünen begann, sich Anfang der Neunziger mit der PDS, später der Linkspartei fortsetzte und nun mit dem Aufstieg der AfD weitergeht, verloren CDU und SPD immer mehr an Zustimmung. Die Vorstellung, es dürfe rechts von der Union oder links von der SPD keine anderen Parteien geben, entstammt dem Deutungshaushalt der alten Bundesrepublik. Kein Wunder, dass gerade die CSU, das langlebigste Relikt aus westdeutschen Zeiten, an dieser Vorstellung geradezu manisch festhält.

Die politische Dichotomie der Bundesrepublik - konservatives Lager, linkes Lager und dazwischen die Zahnärzte und Rechtsanwälte der FDP - ist erodiert. In vielen europäischen Nachbarländern haben vergleichbare Umbrüche zu Umstürzen der Parteienlandschaften geführt.

SPD ist eine strukturelle Minderheitspartei geworden

Hierzulande verläuft dieser Prozess weniger dramatisch. Dennoch ist die SPD bereits eine strukturelle Minderheitspartei geworden; in etlichen Bundesländern verliert sie sogar den Status als zweite politische Kraft. Das ist nicht nur mehr im Osten so, wo die Linkspartei aus regionalgeschichtlichen Gründen stark ist, sondern auch in Teilen des Westens. Gerade in den großen Ländern im Süden marschiert die SPD auf der Verliererstraße, egal ob sie sich eher links gibt wie in Bayern oder eher mittig wie in Baden-Württemberg.

Die CDU ist vom strukturellen Bedeutungsverlust noch etwas weniger betroffen als die SPD. Trotzdem wird sie am Sonntag in erster Linie unter vielen Protest- und Nichtwählern zu leiden haben, die wegen eines einzigen Themas, der Flüchtlingspolitik, der Merkel-Partei den berühmten Denkzettel verpassen wollen. Dies hängt nicht nur mit der Politik gewordenen Person der Bundeskanzlerin zusammen, sondern auch damit, dass keine andere zur Wahl stehende, halbwegs aussichtsreiche Partei eine grundsätzlich andere Flüchtlingspolitik vertritt, als dies Merkel tut. Viele, die für die AfD votieren werden, werden dies in erster Linie tun, weil sie gegen Merkel stimmen wollen.

Wer am Sonntag AfD wählt, stimmt nicht nur gegen Merkel

Aus der inhaltlichen Angleichung der einst großen Parteien sowie des munteren, mehrmaligen Lagerwechsels vieler nicht mehr festgelegter Wähler folgt auch, dass bereits jetzt Fünf-Parteien-Parlamente so etwas wie der Normalfall in Deutschland geworden sind. Sollte die FDP ihr Wachkoma verlassen können und die AfD sich in den kommenden Monaten halbwegs unter den Plus-minus-zehn-Prozent-Parteien etablieren, wird dies in Landtage und Bundestag Verhältnisse bringen, wie man sie früher aus Italien zu kennen glaubte und gerne verlachte.

In Bayern - ein politischer Sonderfall - wird nicht die schwache SPD die Alleinherrschaft der CSU beenden, sondern die CSU könnte bei der Landtagswahl 2018 wegen der ziemlich unterschiedlichen Kleinkonkurrenten AfD, Grüne, FDP und Freie Wähler ihre absolute Mehrheit verlieren. Genau deswegen zetert Seehofer so nachhaltig gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Zwar steht die CSU an diesem Sonntag nicht zur Wahl. Das ist gut für sie, weil sie zurzeit als politische Bigamistin - gegen Merkels Politik, aber in Merkels Regierung - wenig glaubwürdig wirkt.

Wie sehr sich traditionelle Wähler-Bindungen aufgelöst haben, zeigt die Popularität der Kretschmann-Grünen in Baden-Württemberg. Dass die Partei dort in den Umfragen auf dem ersten Platz liegt, hat sicher auch mit der strukturellen Schwäche der SPD sowie mit der landesspezifischen Bresthaftigkeit der CDU zu tun. Kretschmann aber wird - wie übrigens Merkel vor der Flüchtlingskrise - als eine Vertrauensperson wahrgenommen, deren parteipolitischer Standort nachrangig ist. Für Kretschmann gilt nicht das alte Diktum der Konservativen, nach dem Helmut Schmidt der richtige Mann in der falschen Partei gewesen sei. Bei Ausnahmepolitikern wie Kretschmann ist es nahezu egal, in welcher Partei sie sind, weil ihre Partei über sie und nicht sie über ihre Partei gewählt werden.

Die AfD ist radikaler als früher

Und die AfD? Die mehrmals gehäutete Partei ist radikaler als früher, und sie lebt bei diesen Landtagswahlen fast ausschließlich vom Protest gegen Merkel. Sie ist, egal welche Mimikry ihre moderateren Funktionäre betreiben, eine Partei des rechten bis sehr rechten Spektrums. Dieses Spektrum reicht bei den in deutschen Parlamenten nennenswert vertretenen Parteien vom linken Rand, den der westdeutsche Flügel der Linkspartei vertritt, bis zum rechten Rand, den ostdeutsche Landesverbände der AfD bilden. Diese Feststellung ist keine Ausgrenzung, sondern sie positioniert die AfD in der Parteienlandschaft dort, wo sie steht.

Wer also am Sonntag AfD wählt, der wählt rechts. Er stimmt keineswegs nur gegen Merkels Flüchtlingspolitik, sondern er wählt eine Partei, in der mutmaßliche Teilzeit-Rassisten wie der Thüringer Landeschef Höcke oder sich selbst dementierende Schusswaffen-Nachdenkerinnen wie Beatrix von Storch im Sinne des Wortes den Ton angeben. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch harte Pegidisten und andere Rechtsextreme die AfD als ihre Alternative für Deutschland verstehen. Nein, selbst die AfD kann sich nicht vor solchen Freunden schützen, wenn sie es überhaupt will. Aber jeder, der sie wählt, muss wissen, in welche Gesellschaft er sich begibt. Die Zauberformel: "Ich bin ja selbst kein Rechter, aber . . ." schafft jedenfalls keine politische Absolution.

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