Landtagswahl in Sachsen-Anhalt:Depression im Herzen Deutschlands

Diese Wahl war keine gute. Nur jeder Zweite ging hin, die Parteien erreichen immer weniger Menschen. Eine wichtige Lehre aus Sachsen-Anhalt ist: Für einen Wahlsieg in Deutschland reicht es, sehr wenige Stimmen aus der Gesamtbevölkerung zu bekommen.

Heribert Prantl

Sachsen-Anhalt ist ein schönes und kleines, ein irritierendes und bisher wenig prosperierendes Bundesland. Sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei zwei Prozent, sein Anteil an erregten politischen Debatten in Deutschland liegt viel höher. Das könnte sich nach dieser Landtagswahl etwas entspannen.

Gleichwohl hat diese Wahl Ingredienzien, die repräsentativ sein könnten für eine partiell verrückte deutsche Demokratie: Da ist vor allem eine noch immer schmerzlich niedrige Wahlbeteiligung, die diesmal nur deshalb nicht so schmerzt, weil sie bei der letzten Landtagswahl desaströs war. Da ist eine zu geringe Bindungskraft der demokratischen Parteien. Da ist ein gewisser Erfolg der Rechtsextremisten, die sich in die Mittelschicht hineingeschlichen haben - was leider nur dann als beunruhigend gilt, wenn das den Einzug in den Landtag zur Folge hat; auf kommunaler und regionaler Ebene ist die NPD schon lang erschreckend präsent.

Die braune Brücke zwischen Dresden und Schwerin (wo die Rechtsextremisten in den Landtagen sitzen) existiert bereits, auch wenn die Brücke nun glücklicherweise keinen neuen Mittelpfeiler im Magdeburger Landtag erhält. Verglichen mit den Problemen, die sich aus der öffentlichen Präsenz der Rechtsextremisten ergeben, sind die bevorstehenden Verhandlungen über eine neue schwarz-rote Koalition zwar interessant, aber nicht spektakulär. Für seine bisherigen Verhältnisse hat das Land beherrscht, fast gelassen gewählt. Die Grünen, die 13 Jahre lang nicht mehr im Landtag vertreten waren, haben es wieder geschafft; der Atomschock hat der Anti-Atompartei geholfen; das wird wohl auch am kommenden Sonntag so sein, bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Wenn allerdings, wie in Sachsen-Anhalt, die FDP auch dort aus den Landtagen gewählt werden sollte, wäre ein Beben in der Bundesregierung die Folge.

Die politische Gereiztheit und Erregung, die die jüngere Geschichte von Sachsen-Anhalt prägten, hat sich gelegt. Vielleicht ist das der größte Erfolg der bisher regierenden großen Koalition aus CDU und SPD. Sachsen-Anhalt war von seiner Wiedergeburt, also von 1990 an, ein Land der politischen Turbulenzen. In Sachsen-Anhalt wurde schon 1991 der erste Ministerpräsident in den neuen Bundesländern gestürzt, 1993 traten sein Nachfolger und zehn Minister wegen einer Gehälteraffäre zurück. Hier gab es, wild diskutiert in ganz Deutschland, die erste von der PDS geduldete Minderheitsregierung. Deren Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) war dann immerhin acht Jahre lang im Amt. Noch ein wenig länger regierte nun dessen CDU-Nachfolger Wolfgang Böhmer, liebenswert brummig und raunzig landesväterlich. Nach leidlich ordentlichen Regierungsjahren ist die Situation im Land nicht mehr zum Davonlaufen; aber viele Bürger empfinden es noch immer so. Sie wandern ab oder klinken sich aus. Dem neuen Ministerpräsidenten ist zu wünschen, dass er das dauerhaft ändern kann.

Die halbe Demokratie

Der Wähler in Sachsen-Anhalt ist besonders sprunghaft. Die Wahlkurven in diesem Land im Herzen Deutschlands sehen seit zwanzig Jahren aus wie ein exaltiertes EKG: Die Werte für die Parteien zeigten bisher Ausschläge wie in kaum einem anderen Bundesland. Das hat sich diesmal beruhigt. Es wäre beruhigend, wenn dies ein Indiz für die Stabilisierung des Landes wäre. Sachsen-Anhalt war bisher Vorreiter des langfristigsten politischen Trends in Deutschland: des Trends zum Nichtwählen. Man wünschte sich, die erhöhte Wahlbeteiligung würde nun eine Trendwende ankündigen; aber dafür gibt eine Wahlbeteiligung von gut fünfzig Prozent noch keinen Anlass.

Der deutschlandweite Trend zur Wahlenthaltung ist älter als der Streit über die Atomkraft. Er überdauert Rot-Grün und Gelb-Schwarz, große Koalitionen und Minderheitsregierungen. Vielleicht lässt er sich, das wird der nächste Sonntag in Baden-Württemberg zeigen, von zugespitzten Auseinandersetzungen nachhaltig irritieren - über Stuttgart 21 und über einen Atomausstieg nach der nuklearen Katastrophe in Japan. Seit Jahrzehnten ist es nämlich so: Wahlsieger in Deutschland siegen mit immer weniger Stimmen. Die Prozentergebnisse täuschen darüber hinweg, dass sie sich aus schmaler Basis errechnen. Diese Prozentzahlen, auf die am Wahlabend alle schauen, sind eine Potemkin'sche Fassade; dahinter schlummert die halbe Demokratie. Das muss ein Gemeinwesen mehr umtreiben als die Frage, ob der neue Ministerpräsident in Magdeburg Reiner Haseloff (CDU) oder Jens Bullerjahn (SPD) heißt.

Die bisher dort regierende Koalition aus CDU und SPD hat den Respekt des Wählers verdient; sie hat fünf Jahre lang ordentliche Arbeit geleistet. Aber Sachsen-Anhalt ist ein gebranntes Land, in dem viele Bürger das Gefühl haben, dass die Politik im Allgemeinen mit ihnen wenig zu tun und dass die Landespolitik im Besonderen kaum etwas zu sagen habe. Die gefühlte Politik ist schlechter als die reale; das führt zur Wahlenthaltung. Es wäre besser, die Bürger würden zur Wahl gehen und ihren Wahlzettel durchstreichen. Eine Demokratie, in der nur zwei Drittel oder gar nur die Hälfte der Bürger wählen, ist eine defizitäre Demokratie. Mit einer halben Demokratie kann sich ein Demokrat nicht zufriedengeben, auch in Sachsen-Anhalt nicht.

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