Landtagswahl in NRW:Stunde null für die SPD

Die Niederlage der Sozialdemokraten in NRW ist total. Das kann den Blick klären - und zeigen, zu was Martin Schulz in der Lage ist.

Analyse von Stefan Braun, Berlin

Man muss es so sagen: Tiefer geht es kaum für die Sozialdemokraten. Die herbe Niederlage an Rhein und Ruhr trifft die Partei ins Herz und wird sie vermutlich noch lange plagen. Gemeint sind gar nicht mal nur die Prozentzahlen - die schlechtesten in Nordrhein-Westfalen seit dem Zweiten Weltkrieg. Womöglich noch gravierender ist das Gefühl, dass diese Niederlage so schnell und unvorbereitet über die SPD hereinbrach.

So brutal ist ein kurzer süßer Frühling noch nie von einem eiskalten Herbst abgelöst worden. Gerade mal vier Wochen ist es her, da lag die SPD in Umfragen noch deutlich vor den Christdemokraten. Jetzt landet sie hinter ihnen - und ihre eigentlich ziemlich beliebte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat verloren. Diese Niederlage ist total. Und sie trifft die Sozialdemokratie in ganz Deutschland.

Es mag manchen Genossen gegeben haben, der an Rhein und Ruhr heimlich auf eine Rückkehr des Schulz-Effekts gehofft hatte. Jetzt ist klar: Das Wort muss bei der SPD raus aus dem Wortschatz. Es steht nicht mehr für Aufschwung, sondern für eine Verkettung von Niederlagen. Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen - bislang ist das ein ziemlich schwarzes Jahr für die Sozialdemokraten.

Wer mit dem Rücken zur Wand steht, sieht plötzlich klar

Nun wäre es falsch, die Niederlagen allein oder auch nur in erster Linie Schulz zuzurechnen. Vor allem in Schleswig-Holstein hat Torsten Albig gewaltige Fehler begangen. Aber das ändert nichts an der Lage: Die Hochstimmung vom Jahresanfang ist futsch; und was jetzt kommt, völlig offen. Nicht wenige in der SPD fürchten nun, dass auch die Wahl im September schon perdu ist. Niemand kann ausschließen, dass es so kommen wird.

Aber es gibt auch einen anderen Blick, den nur kennt, wer schon mal mit dem Rücken zur Wand stand: In diesem Moment klärt sich der Blick, dann wird klar, was man wirklich möchte. Wofür will die SPD kämpfen? Wer will Martin Schulz sein? Was heißt es, heute für soziale Gerechtigkeit einzutreten?

Schulz hat mal über die zerrissene Mittelschicht gesprochen. Über die Menschen zwischen 40 und 50, die zwischen der Betreuung der Eltern und der Erziehung der Kinder ziemlich erschöpft sind. Das sind viele, und für viele ist das eine gewaltige Baustelle. Ein weiteres potenzielles Thema der SPD sind die Folgen der Digitalisierung - und zwar nicht nur Startups, Datenschutz oder Kriminelle. Sondern Handwerker, ältere Arbeitnehmer und Hunderttausende Senioren, für die Digitalisierung bis heute keine Verheißung ist, sondern eine immer größere Bedrohung. Es gibt keine Themen? Das ist ein Irrtum.

Die Kanzlerin dürfte ihr Glück kaum fassen

Für die Kanzlerin liegen die Dinge im Augenblick, nun ja, ganz anders. Sie dürfte ihr Glück kaum fassen - und darf doch kaum darüber sprechen. Dass ihre CDU einen solchen Frühling erlebt, hat viel mit dem Gegner und deutlich weniger mit der eigenen Partei zu tun. Die Wähler mögen es derzeit für nicht so wichtig halten, dass CDU und CSU bis heute beim größten Thema der Legislaturperiode - dem Umgang mit Flüchtlingen - zerstritten sind. Aber wer glaubt, die Union profitiere von einem ganz fantastischen eigenen Auftritt, der täuscht sich.

Vor allem die Debatte über Rot-Rot im Saarland produzierte Abwehrreflexe, mit denen 27 Jahre nach der Einheit kaum noch jemand rechnete. Hier konnte die CDU mobilisieren, während sich die SPD in eine Debatte verstrickte, ob sie lieber mit der Linken oder mit den Liberalen regieren würde. Deutlicher konnte sie nicht zeigen, dass sie nicht weiß, wo sie hinmöchte.

Dieses Problem trifft auch die Grünen nach dieser Wahl mit voller Wucht. Sie sind zwar der ganz großen Katastrophe entkommen, weil nicht aus dem Landtag geflogen. Dennoch stecken sie tief in der Krise. Niemand von den Grünen kann erklären, was sie wirklich wollen, was ihnen am allermeisten unter den Nägeln brennt.

Daran konnte auch das gute Ergebnis in Schleswig-Holstein wenig ändern. Womöglich ist sogar das Gegenteil richtig: Der lebendige, optimistische Wahlkampf im Norden könnte den Eindruck verschärft haben, dass genau das andernorts nicht der Fall ist. Aus diesem Grund stehen den Grünen schwierige, im besten Fall klärende Wochen bevor, in denen sie kenntlich machen müssen, was sie in einer Regierung erreichen möchten. Schließlich werden sie nicht fürs Funktionieren gewählt, sondern für Ideen und Forderungen.

Es gibt auch Erfolge, die einen aus dem Konzept bringen

Die unbekümmertsten Wahlsieger an diesem Sonntag sind die Liberalen. Nach dem Jahr der großen Trauer 2013 haben sie es tatsächlich geschafft, sich Zutrauen und Unterstützung zurückzuerobern. So stabil wirkt die Zustimmung zu ihnen derzeit, dass sie fast sicher davon ausgehen können, dass sie im September auch in den Bundestag zurückkehren. Dabei droht ihnen derzeit nur eine Gefahr: dass der eigene Vorsitzende im großen Schwung überheblich werden könnte.

Die Rigidität, mit der Christian Lindner wenige Tage nach der Wahl des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron jegliche Hilfen ablehnte, die Deutschland etwas kosten könnten, zeugt nicht von politischer Weitsicht und Größe. Sondern von Kleingeisterei und einem Mangel an historischem Verständnis. Dabei sind Weitsicht und Größe genau das, was Lindner gerne ausstrahlen würde.

Es könnte für ihn sogar ein bisschen unangenehm werden, wenn es am Ende dieses Abends in Nordrhein-Westfalen für eine schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf reichen sollte. Dann nämlich müsste er in Düsseldorf eine Koalition aushandeln, zu der er - obwohl Spitzenkandidat - gar nicht gehören möchte. Für seine Glaubwürdigkeit ist das gefährlich. Es gibt nicht nur Niederlagen, sondern auch Erfolge, die einen aus dem Konzept bringen können.

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