Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen:Die AfD ringt um ihre Kandidaten für die Landtagswahl

AfD-Landeswahlversammlung NRW

Der Landesvorsitzende als Projektionsfläche: Vielen in der AfD gilt Marcus Pretzell als Hoffnungsträger, anderen als Spieler und Spalter.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Und dabei ringt die Partei auch mit sich selbst. Es geht um vernichtete Stimmzettel und verletzte Eitelkeiten.

Von Bernd Dörries, Euskirchen

"Das ist unser TTIP-Leseraum", sagt ein mittelalter Mann und lacht. Hinter der Tür steht ein Dutzend weiterer mittelalter Männer im Raum, mit Papieren in der Hand. Manche unterhalten sich, manche schütteln nur den Kopf. Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP wurde für die Abgeordneten des Bundestages in Berlin ein Leseraum eingerichtet, in dem sie die geheimen Dokumente anschauen konnten. Telefone durften sie nicht mitnehmen. Und über das Gelesene reden auch nicht.

Bei der Listenaufstellung der AfD für die Landtagswahl hat die Partei ihren eigenen Leseraum. Und anders als die Bundestagsabgeordneten über TTIP, reden die meisten Leute von der AfD am Samstag in Euskirchen sehr gern und über das, was sie in dem Raum gelesen haben. Und was die Partei seit Wochen beschäftigt. Im Leseraum liegen die Chatprotokolle aus, mit denen Gruppen in der Partei versucht haben sollen, die jeweils andere Gruppe möglichst fern zu halten von den Fleischtöpfen, von der Aussicht auf ein Landtagsmandat nach der Wahl im Mai 2017. Es ist ein Kampf, der auch darüber entscheidet, wie es mit der AfD weiter geht im ganzen Land. Welche Seite sich durchsetzt im Kampf um die Macht. Um Inhalte geht es dabei eher nicht. Auf der einen Seite stehen die Leute um Marcus Pretzell, Co-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und seine Lebensgefährtin Frauke Petry. Auf der anderen Seite haben sich jene versammelt, die ihre Gegnerschaft zu Pretzell vereint. Alexander Gauland ist dabei und der andere NRW-Landesvorsitzende Martin Renner.

Sie wollen die Demokratie erneuern und grenzen sich schon in der Partei gegenseitig aus

Renner und Pretzell führen den größten Landesverband zusammen; als sie ins Amt kamen, hielten das viele für eine gute Idee. Auf der einen Seite der AfD-Mitbegründer Renner, der für manche in NRW so etwas wie der Parteiphilosph ist. Ein Mann im schwarzen Mantel und langen weißen Haaren, der sehr viel raucht und etwas melancholisch drein blickt. Auf er anderen Seite Pretzell, ein Mensch mit engen Jeans und Karohemd, der die ganze Zeit in Bewegung ist. Während Renner vor der Tür raucht, tigert Pretzell durch die Halle. Hin und wieder bleibt er stehen, holt sein Handy raus und zeigt Leuten die Reden, die er im Europaparlament gehalten hat. Für den Platz im Europaparlament hatte damals auch Renner kandidiert, Pretzell überholte ihn. Manche in der AfD sehen das als den Beginn des Zerwürfnisses an. Vor einigen Wochen haben sie in der AfD noch einmal versucht, an einer Art runden Tisch alle Streithähne zusammenzubringen, die zu erwartenden Mandate sollten gerecht verteilt werden. Zur zweiten Runde sollen einige der Gegner Pretzells nicht erschienen sein. Der habe daraufhin die Geduld verloren.

"Wir haben zwei Landesvorsitzende, den Philosoph Martin Renner und den Macher Marcus Pretzell", sagt ein Redner auf dem Podium. Pretzell, so der ältere Herr, habe immer "eine Madame G." aus Brüssel an seiner Seite. "Madame G." nennen manche von Pretzells Gegnern seine enge Mitarbeiterin, die sie verdächtigen, den What's App-Chat organisiert zu haben, um bei den vorangegangenen Listenwahlen die Widersacher klein zu halten. Andererseits liegen in Euskirchen auch Dokumente aus, die nahe legen, dass auch die Gegner Pretzells ähnliche Chatgruppen führten und ihren Leuten Anweisungen gaben für die Listenplatzwahl. Juristisch gravierender könnten fünf Stimmzettel sein, die eine Wahlhelferin vernichtet haben will, auf Anweisung von oben.

Pretzell ist mit seinen Leuten deshalb in der vergangenen Woche zum Landeswahlleiter marschiert und berichtete anschließend, dass alle Zweifel an der Aufstellung ausgeräumt sind. Das sei nicht richtig, ließ der Landeswahlleiter irritiert mitteilen, eine Vorprüfung sei nicht möglich, da die Liste gar nicht eingereicht sei. Pretzell sei ein Spieler, sagen seine Gegner. Und sein Spiel geht weiter. Am Wochenende drängte er darauf, die Liste der AfD in Nordrhein-Westfalen zu schließen, mit nur 31 Kandidaten. Andere Parteien vergleichbarer Größe stellen doppelt so viele Kandidaten auf, falls jemand ausfällt, falls das Ergebnis besser ist als gedacht. Umgekehrt bedeutet das, wenn die AfD mehr als etwa 13 Prozent erreicht, hat sie keine Kandidaten, die sie in den Landtag schicken kann.

Der Spieler Pretzell will die Aufstellung der Liste abschließen, bevor sie jemand anfechten kann. Etwa 85 Prozent der 31 Kandidaten gehören zu seinem Lager. Das sieht nach einem klaren Sieg aus. Die andere Seite sammelt aber Unterschriften, um eine neue Wahlversammlung einzuberufen. Dazu sind fünf Prozent der etwa 5000 Mitglieder nötig, die Anhänger von Renner gehen von 250 benötigten Stimmen aus, danach könnte die Listenaufstellung von vorne losgehen. Mit unabsehbaren Folgen für die AfD. Renner will es darauf ankommen lassen: "Wir wollen doch die Erneuerung der Demokratie herbeiführen. Und diejenigen, die schon in der Partei andere Mitglieder ausgrenzen, die werden die Prinzipien der Demokratie dann nicht auf höherer Ebene plötzlich hoch halten." Marcus Pretzell wollte sich am Samstag nicht äußern. Er sagte ein Gespräch erst zu, dann ab, dann sagte er "später". Als dann einige Zeit vergangenen war, stellte er fest: "Jetzt ist noch nicht später", um schließlich zu sagen: "Außerdem habe ich keine Lust mehr."

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