Landesverrat-Affäre:Krieg der Gutachter

Internetaktivisten des Blogs Netzpolitik.org

Plötzlich im Visier der Karlsruher Ankläger: Markus Beckedahl (r.) und André Meister in der Redaktion von Netzpolitik.org, Berlin.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)
  • Nach Bundesamt für Verfassungsschutz und Generalbundesanwaltschaft hat nun auch das Bundesjustizministerium ein Gutachten zum Fall Netzpolitik.org erstellen lassen.
  • Dabei geht es um die Frage, ob die Blogger von Netzpolitik.org Staatsgeheimnisse veröffentlicht haben.
  • Das Gutachten des Justizministeriums könnte dem Verfahren gegen die Blogger eine entscheidende Wendung geben.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Welt der Behörden ist häufig kompliziert. Das zeigt auch der Fall Harald Range. Der Generalbundesanwalt wurde am Dienstag vom Justizminister in den Ruhestand versetzt - könnte man meinen. Doch am Freitagmittag war Range immer noch im Amt. Denn einen Generalbundesanwalt kann man nicht so einfach entlassen. Der Justizminister muss erst eine Stellungnahme der Kanzlerin einholen, so schreibt es die Geschäftsordnung der Regierung vor, Angela Merkel erholt sich aber gerade in den Bergen Südtirols. Dann muss der Bundespräsident den Rauswurf billigen. Damit ist es aber immer noch nicht getan. Das Justizministerium muss eine Entlassungsurkunde ausstellen. Diese muss vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden, der ist aber gerade im Urlaub an der Ostsee. Dann muss diese Urkunde quer durch die Republik nach Karlsruhe und Range überreicht werden, erst in diesem Moment verliert er sein Amt. In den vergangenen Tagen hatten die Kuriere der Regierung also viel zu tun.

In Karlsruhe wartete man diese Woche aber nicht nur auf die Urkunde zur Versetzung Ranges in den Ruhestand, sondern auch auf das von Heiko Maas angekündigte Gutachten des Justizministeriums zum Fall Netzpolitik.org. Am Freitag ist es endlich eingetroffen. Bereits in der Nacht zuvor hatte Berlin eine elektronische Fassung via Krypto-Mail nach Karlsruhe geschickt. Zum Inhalt des Gutachtens wollte sich am Freitag niemand äußern. Es ist als "Verschlusssache - Vertraulich" eingestuft. Jemand, der den Inhalt kennt, sagt aber, es berge "keine Überraschungen". Angesichts der Distanz, auf die Maas zu den Landesverratsermittlungen gegen die Blogger gegangen ist, dürfte die Stellungnahme des Justizministeriums die Blogger also entlasten.

Die Stellungnahme ist bereits das dritte Gutachten zum Fall Netzpolitik.org. Das erste stammt vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das zweite von einem Sachverständigen, den der Generalbundesanwalt beauftragt hat. Und das letzte nun vom Justizministerium.

Die Stellungnahme des Justizministeriums ist als "VS-Vertraulich" eingestuft

In allen drei Gutachten geht es um die Frage, ob es sich bei den von Netzpolitik.org veröffentlichten Dokumenten um Staatsgeheimnisse handelt. Das ist eine der notwendigen Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Landesverrats. Der Blog hatte am 25. Februar einen Artikel mit der Überschrift: "Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an Massendatenspeicherung von Internetinhalten" ins Netz gestellt. Darin wurde unter anderem aus dem als "VS-Geheim" eingestuften BfV-Wirtschaftsplan 2013 zitiert. Am 15. April erschien auf Netzpolitik.org ein Text mit der Überschrift: "Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutzeinheit zum Ausbau der Internet-Überwachung." Darin wird auch aus einem Konzept zur Einrichtung einer Referatsgruppe "Erweiterte Fachunterstützung Internet im BfV" zitiert, das als "VS - Vertraulich" eingestuft ist.

Das erste Gutachten hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz angefertigt, das auch die Anzeigen gegen die Blogger gestellt hatte. Dieses "Rechtsgutachten" ist selbst als "VS - Vertraulich" eingestuft. Es kommt zu dem Ergebnis, dass in beiden Veröffentlichungen von Netzpolitik.org Informationen enthalten waren, bei denen es sich "um Staatsgeheimnisse im Sinne der §§ 93 ff. StGB" handele. In diesen Paragrafen geht es um "Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit". Wegen dieses Gutachtens und der Anzeigen der Verfassungsschützer hatte der Generalbundesanwalt im Mai das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen die Blogger eingeleitet.

Von dem Sachverständigen, den der Generalbundesanwalt beauftragt hat, gibt es bisher lediglich eine "vorläufige Bewertung". Demnach handelt es sich zumindest bei den am 15. April veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis. Der Wunsch von Maas, dieses Gutachten zu stoppen, war der Auslöser für den Streit, der zum Rauswurf Ranges führte.

Wenn die jetzt fertiggestellte Stellungnahme des Bundesjustizministeriums tatsächlich "keine Überraschungen" enthält, kommt sie zu dem Ergebnis, dass es keine Grundlage für eine Verurteilung der beiden Blogger wegen Landesverrats gibt. Das Gutachten wäre dann eine Grundlage für die Einstellung des Verfahrens.

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