Längere Wartezeiten für Kassenpatienten:"Zwei-Klassen-Medizin der schlimmsten Weise"

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Eine Studie bestätigt, was bisher nur vermutet wurde: Kassenpatienten müssen im Durchschnitt drei Mal so lange auf einen Termin beim Facharzt warten wie Privatversicherte.

Wissenschaftler der Universität Köln haben herausgefunden: Kassenpatienten müssen laut ihrer Studie durchschnittlich dreimal so lange auf einen Termin beim Facharzt warten wie Privatversicherte.

Mit der Studie sei erstmals der empirische Beweis gelungen, dass Kassenpatienten bei der Terminvergabe in Arztpraxen benachteiligt würden, sagte der kommissarische Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie, Markus Luengen, am Dienstag der Nachrichtenagentur AP.

Die Wissenschaftler hatten bei insgesamt 189 Facharzt-Praxen im Raum Köln, Bonn Leverkusen telefonisch um Termine für verschiedene Untersuchungen gebeten - wie einen Allergietest, einen Lungenfunktionstest, eine Augenuntersuchung, eine Magenspiegelung, einen Hörtest oder eine Magnetresonanztomographie des Knies. Dabei gaben sie sich mal als Kassen- und mal als Privatpatient aus.

Ärzte können bei Privatpatienten mehr verdienen

Das Ergebnis: Privatpatienten wurden eindeutig bevorzugt - egal um welche Untersuchung es sich handelte. Am gravierendsten waren die Unterschiede bei Allergietests und Magenspiegelungen. Auf einen Termin für einen Allergietest mussten die Privatversicherten nur 8,4 Arbeitstage warten, Kassenpatienten durchschnittlich 26 Tage.

Eine Magenspiegelung wurde bei Privatversicherten nach 11,9 Arbeitstagen vorgenommen. Gesetzlich Krankenversicherte mussten sich 36,7 Tage gedulden. Die Ursache für die Vorzugsbehandlung der Privatversicherten ist für die Kölner Forscher eindeutig. Bei der Behandlung eines Privatpatienten verdienen die Ärzte nach ihren Angaben 20 bis 35 Prozent mehr als bei der Behandlung gesetzlich Versicherter.

Die Untersuchung von 2006 sei zwar eine wissenschaftliche Stichprobe, die nicht auf ganz Deutschland übertragbar sei. "Die aufgezeigte Tendenz ist aber bundesweit da, mit unterschiedlichen Ausprägungen in Städten und ländlichen Gebieten", betonte Lüngen.

KBV: Keine Qualitätsunterschiede in der Behandlung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung bestritt entscheiden, dass Kassenpatienten schlechter behandelt würden. Der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Köhler sagte in Berlin: "Die Kollegen vergeben Termine unter medizinischem Gesichtspunkt, unabhängig davon, ob der Patient privat oder gesetzlich krankenversichert ist. Sie sind nicht dazu verpflichtet, jeden Patienten immer sofort oder so schnell wie möglich dranzunehmen."

Vor allem gebe es aber keine Qualitätsunterschiede in der Behandlung. Die Qualitätssicherung der Leistung sei in der gesetzlichen Krankenversicherung sogar fortgeschrittener als in der privaten Krankenversicherung, sagte Köhler. Allerdings seien Serviceunterschiede möglich. "Es gibt keinen Anspruch darauf, dass jeder sofort drankommt", ergänzte KBV-Sprecher Roland Stahl.

Budgets oft ausgeschöpft

Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, sagte, Privatversicherte und Kassenpatienten würden qualitativ gleich behandelt. "Zu den Wartezeiten für gesetzlich Versicherte kommt es, weil oftmals die vorgegebenen Budgets vor Ende des Quartals ausgeschöpft sind". Viele Ärzte behandelten ihre Patienten im letzten Zeitraum des Quartals kostenlos oder versuchten, nicht akut notwendige Behandlungen auf das nächste Quartal zu verlegen. Dies habe aber mit "vermeintlich privilegierter Medizin für Privatpatienten" nichts zu tun.

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte, es sei Aufgabe der Kassenärtzlichen Vereinigungungen (KVen), eine reibungslose Versorgung sicherzustellen. Mittlerweile gebe es erfolgreiche Beispiele für gesetzliche Krankenkassen, die sich zeitnah um Termine für ihre Versicherten bemühten. Man begrüße,"dass die Kassen aufgrund der Gesundheitsreform hier nun anfangen, sich um ihre Versicherten als Kunden zu kümmern."

Der Sozialverband VdK kritisierte, es sei "unverantwortlich", Kassenpatienten gegenüber Privatpatienten zu benachteiligen. Die Terminvergabe nach der Kassenzugehörigkeit zu steuern, sei "Zwei-Klassen-Medizin der schlimmsten Weise". Es könne nicht sein, "dass die Masse der Beitragszahler, die in das solidarische System der gesetzlichen Krankenkassen einzahlt, hinter der Minderheit der in den Privatkassen versicherten besser Verdienenden zurückstehen muss".

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