Labour:Aufstand in der ersten Reihe

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"Behaltet Corbyn" - Unterstützer des Labour-Vorsitzenden vor dem Parlament in London. (Foto: Niklas Halle'n/AFP)

Parteichef Jeremy Corbyn verliert fast sein gesamtes Führungsteam. Er gibt sich unbeeindruckt.

Von Stefan Kornelius

Niedertracht und Brüllereien, Einschüchterungsversuche und Tränen: Die oppositionelle Labour-Partei hat ihren Führungskonflikt am Montag in aller Brutalität ausgetragen. Eine Neuwahl des Vorsitzenden scheint nahezu unumgänglich zu werden. Die geheime Vertrauensabstimmung der Unterhaus-Fraktion über Oppositionsführer Jeremy Corbyn wird für diesen Dienstagvormittag erwartet. Am Montagabend traf sich die Fraktion der Partei, um über den Misstrauensantrag gegen Corbyn zu diskutieren.

Corbyn hatte zuvor angekündigt, dass er selbst nach einer Abwahl als Oppositionschef wieder als Kandidat für den Parteivorsitz antreten würde. Parteivorsitz und die Führung der Fraktion liegen bei der britischen Oppositionspartei traditionell in einer Hand. Der Parteivorsitzende wird von den Labour-Mitgliedern bestimmt, bei denen Corbyn populär ist.

Schatten-Wirtschaftsministerin Angela Eagle gilt als potenzielle Kandidatin bei einer Urwahl

Der Montag ist ein harter Tag für Corbyn: Nicht weniger als 23 Mitglieder seines 31-köpfigen Schattenkabinetts verliert er. Die Frontbencher, benannt nach ihrem Sitzplatz in den vorderen Parlamentsbänken, suchten reihenweise das Gespräch mit ihrem Vorsitzenden, wurden indes zum Teil von anderen Führungspersonen abgefertigt. Der Vorsitzende bemüht sich nun umgehend um Nachbesetzungen, allerdings mangelt es ihm zum Teil an Experten, die er mit bevorstehenden Debattenthemen betrauen könnte. Besondere Aufmerksamkeit erregt der Rücktritt von Angela Eagle, der Schatten-Wirtschaftsministerin. Sie gilt als potenzielle Gegenkandidatin von Corbyn bei einer Urwahl und hat gute Chancen, weil sie schlagfertig und gewitzt auftritt und aus dem County Merseyside im Nordosten Englands kommt, wo Labour seine Stammwählerschaft hat. Eagle hat in der BBC ihre verzweifelte Stimmung geschildert und ist vor laufender Kamera immer wieder in Tränen ausgebrochen.

Die Auflösungserscheinungen werden begleitet von einem furiosen Streit über Corbyns Anteil am Brexit-Ergebnis und über eine Neuausrichtung der Partei. Vor allem wird dem Parteivorsitzenden vorgeworfen, er habe das Thema Migration bewusst aus dem Brexit-Streit herausgehalten und Labour eine Positionierung verboten. Damit habe die Partei an Profil verloren und ihre Klientel ins Lager der Brexit-Befürworter ziehen lassen. Der Anführer des EU-freundlichen Lagers im Unterhaus spricht gar davon, Corbyn habe die Abstimmung "sabotiert". Ein anderer Abgeordneter weist darauf hin, dass Corbyn selbst nie mitgeteilt habe, für welche Seite er eigentlich habe stimmen wollen.

Dessen Lager wiederum lässt wissen, dass der Vorsitzende alleine durch ein demokratisches Verfahren zu besiegen sei, also in einer Urwahl. Corbyn macht damit klar, dass er die Konfrontation weitertreiben werde. Damit greift das Spaltungsvirus voll auf die Labour-Partei über, obwohl viele Abgeordneten nach einer Stimme des Ausgleichs und der Versöhnung rufen. Prominente Corbyn-Gegner wie der Schattenminister für Arbeit und Renten, Owen Smith, klagen, dass Corbyn kein Signal der Einigkeit aussende. "Wir sind in einer Phase, in der wir verzweifelt eine starke Labour-Partei brauchen", sagt Smith und fügt hinzu, dass durch die Kollision der Lager "ein Bruch der Partei riskiert" würde.

Corbyn hat mit seinem Verhalten nicht nur das moderate Labour-Lager weiter verprellt, das ihm seit seiner Machtübernahme in der Partei feindselig gegenüber steht. Der Widerstand reicht nun auch ins linke Lager hinein. Tom Watson, stellvertretender Parteivorsitzender, lässt Corbyn in einem Akt öffentlicher Illoyalität wissen, dass er "die Autorität verspielt" habe.

Das linke Parteilager um Corbyn beginnt indes mit der Mobilisierung der Basis. Seine Wahlorganisation "Momentum" ruft Parteimitglieder an, und die größte Gewerkschaft, Unite the Union, stellt dem Labour-Chef ebenfalls ihre Ressourcen zur Verfügung.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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