KZ-Helfer:Historisches Urteil

Der Bundesgerichtshof stellt im Fall Gröning klar: Auch SS-Männer ohne direkte Tatbeteiligung sind mitverantwortlich.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Jahrzehntelang hatte sich die deutsche Justiz gegen eine Strafbarkeit der Helfer in den Vernichtungslagern der Nazis gesperrt, nun bekräftigt eine höchstrichterliche Entscheidung deren Mitverantwortung am Massenmord. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die vierjährige Haftstrafe gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300 000 ungarischen Juden bestätigt. Ob der 95-Jährige noch in Haft muss, dürfte aber wegen seiner angeschlagenen Gesundheit fraglich sein.

Mit dem Beschluss schreibt der BGH Rechtsgeschichte. Nachdem in der frühen Bundesrepublik einige Gerichte Wachleute und andere Helfer, die in den auf bloße Vernichtung ausgerichteten Konzentrationslagern beschäftigt waren, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt hatten, änderte sich die Rechtsprechung in den Sechzigerjahren. Fortan galt, dass nur verurteilt werden konnte, wem die Beteiligung an konkreten Mordtaten nachgewiesen wurde. Damit scheiterten mögliche Prozesse oft schon im Vorfeld an unüberwindlichen Beweisproblemen. Erst das Verfahren gegen John Demjanjuk, vom Landgericht München II verurteilt als Wachmann im KZ Sobibór, brachte die Wende. Doch das Urteil wurde nicht rechtskräftig. Demjanjuk starb 2012 mit 91 Jahren vor Abschluss des Revisionsverfahrens.

Nun jedoch hat der dritte BGH-Strafsenat diese Rechtsprechung bestätigt, die auch jene zur Verantwortung zieht, die als "Rädchen im Getriebe" die fabrikmäßige Ermordung von Menschen in Betrieb gehalten haben. Voraussetzung des Massenmords an den aus Ungarn deportierten Juden sei "das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates" gewesen, heißt es in dem Beschluss. "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte industrielle Tötungsmaschinerie mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber überhaupt in der Lage, die Ungarn-Aktion anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen." Bei dieser "Ungarn-Aktion" im Frühsommer 1944 waren binnen weniger Wochen etwa 430 000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz gebracht und in den meisten Fällen sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet worden. Gröning, der sich als überzeugter Nationalsozialist freiwillig zur SS gemeldet hatte, um nicht an die Front zu müssen, war als "Buchhalter von Auschwitz" damit beschäftigt, das Geld der Opfer zu verbuchen.

Schwerer wiegt aus Sicht des BGH jedoch, dass er - als SS-Unterscharführer uniformiert und mit einer Pistole bewaffnet - das Gepäck der eintreffenden Häftlinge an der Rampe zu bewachen hatte; das war ein Täuschungsmanöver zur Beruhigung der Todgeweihten. Laut BGH ist dies als Beihilfe zu werten, weil er "einerseits durch die Bewachung des Gepäcks dazu beitrug, die Arglosigkeit der Angekommenen aufrechtzuerhalten, und andererseits als Teil der Drohkulisse dabei mitwirkte, jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim zu ersticken".

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