KZ-Bordell:Zwei Mark für 15 Minuten

"Bitte gehorsamst, das Bordell besuchen zu dürfen": Von Sexdiensten in den Lagern der Nazis ist bislang wenig bekannt. Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald zeigt nun, wie Gefangene durch Prostitution erniedrigt wurden.

Christiane Kohl

Das Gebäude lag etwas versteckt bei der Krankenstation. Von außen sah die Baracke beinahe wie eine normale Häftlingsbehausung im Konzentrationslager Buchenwald aus: Holzverkleidung, flaches Satteldach - nur die Gardinen an den Fenstern verrieten, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Baracke handeln konnte. Drinnen standen Blumensträuße auf den Tischen und Fensterbänken. Es gab Betten mit echten Kopfkissen und militärisch auf Kante gefalteten Decken, und es hingen gerahmte Bilder an den Wänden, etwa die Zeichnung eines deutschen Schäferhundes. Am Abend, wenn oben beim Torhaus von Buchenwald der Lagerappell absolviert war, mussten die etwa zwei Dutzend Insassinnen des von der SS so genannten "Sonderbaus" ihre Arbeit verrichten - als Zwangsprostituierte im Lagerbordell.

GEDENKSTÄTTE BUCHENWALD

Hier starben schätzungsweise 56.000 Menschen: Das Bild zeigt das ehemalige Krematorium des einstigen KZ Buchenwald. Die Gedenkstätte auf dem Gelände dokumentiert in einer Ausstellung die Zwangsprostitution in den Lagern der Nazis.

(Foto: DPA)

Seit 1943 gab es das Bordell in Buchenwald, erst kurz vor der Befreiung im März 1945 wurde es geschlossen. Indes mussten die Frauen nicht den SS-Angehörigen zu Diensten sein, ihre "Freier" waren Häftlinge. Abend für Abend besuchten etwa 100 KZ-Insassen das Lagerbordell, wie der Berliner Kulturwissenschaftler Robert Sommer anhand von Abrechnungsbüchern aus Buchenwald herausfand. Auch in anderen Konzentrationslagern unterhielt die SS Häftlingsbordelle, in Mauthausen und in Flossenbürg, in Dachau und in Auschwitz.

Es ist ein Kapitel der NS-Unterdrückung, über das sich nach dem Krieg ein Mantel des Schweigens legte, denn weder die Nazi-Täter noch ihre Opfer hatten später ein Interesse daran, diese ganz besondere Form der Zwangsarbeit offen zu legen - schließlich galt der Besuch in einem dieser Häuser auch für die Häftlinge als Peinlichkeit. So rügten SED-Parteikader im Osten nach dem Krieg ihre Genossen, die etwa in Buchenwald das Bordell besucht hatten.

Allzu harsch dürfte die Kritik freilich nicht ausgefallen sein, denn einige führende Mitglieder des kommunistischen Widerstands hatten selber zu den "Kunden" des Etablissements gehört, wie Sommer berichtet. Auch im Westen blendete die Geschichtsschreibung die Lager-Bordells weitgehend aus - in seinem Standardwerk "Der SS-Staat" bemerkte der einstige Buchenwald-Häftling Eugen Kogon abfällig, die Zwangsprostituierten hätten sich "ziemlich hemmungslos" in ihr Schicksal gefügt und wohl auch schon vor ihrer KZ-Zeit "nicht gerade einen übermäßig seriösen Lebenswandel" gepflegt.

So gab es lange Zeit weder in west- noch in ostdeutschen KZ-Gedenkstätten auch nur einen Hinweis auf die Lager-Bordelle. Erst die Recherchen des Kulturwissenschaftlers Sommer brachten Licht in dieses dunkle NS-Kapitel, sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch "Das KZ-Bordell" bildete nun die Grundlage für eine Ausstellung, die von der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück konzipiert wurde und derzeit in Buchenwald zu sehen ist.

Produktivität der Häftlinge steigern

In dem einstigen Frauenlager Ravensbrück hatte die SS das Gros der Zwangsprostituierten rekrutiert. Die Einrichtung der Lager-Bordelle ging auf einen Befehl von SS-Chef Heinrich Himmler zurück, der darin eine Chance sah, die Produktivität der zwangsarbeitenden KZ-Häftlinge zu steigern. Himmler schlug vor, "dass in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden" sollten. Entsprechend wurden ab 1942 die ersten "Sonderbauten" eingerichtet.

Buchenwald Concentration Camp Memorial Prepares For Obama Visit

Eine Rose auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nördlich von Weimar erinnert an die Opfer. Zwangsprostitution ist ein weiteres dunkles, bisher wenig bekanntes Kaptiel des Nationalsozialismus.

(Foto: Getty Images)

In Buchenwald hat sich ein Fotoalbum der SS erhalten, das die einstigen Bordellräumlichkeiten zeigt. Da ist das "Kontaktzimmer" mit Tisch und Stühlen zu sehen, es war der Warteraum der Häftlinge. Zwei Mark hatten sie für den Besuch im Bordell zu bezahlen, der schriftlich beantragt werden musste - "bitte gehorsamst das Bordell besuchen zu dürfen", lautete die obligatorische Antragsformel. Formell waren die Sexdienste Teil eines Prämiensystems, dass die SS nur bestimmten Häftlingen gewährte - eine Vergünstigung, ähnlich wie eine Sonderration Zigaretten oder Erleichterungen beim Briefverkehr.

In Wahrheit aber ging es wie stets vor allem um die Erniedrigung der KZ-Insassen. War der Besuch im Bordell genehmigt, mussten die Anwärter nach dem Abendappell für jedermann sichtbar zum "Sonderbau" marschieren. Dort ging es zunächst ins Arztzimmer, wo die Häftlinge eine Spritze gegen Geschlechtskrankheiten bekamen und man ihnen eine Salbe auf den Penis schmierte. Oftmals noch mit offener Hose standen die Männer dann im Raum der Zwangsprostituierten. Ihre Zeit war knapp bemessen: Nach 15 Minuten brüllte ein SS-Mann "Raus" oder es setzte lautes Klingeln ein. Was sich drinnen mit den Frauen abspielte, hatten die SS-Männer ebenfalls im Blick - sie schauten durch ein Guckloch in der Tür zu.

Wer in der genehmigten Zeit nicht fertig war, wurde auch schon mal am Fußgelenk aus dem Zimmer gezogen. Oftmals aber kam es gar nicht zum Eigentlichen, weil die Männer viel zu geschwächt waren. Die Frauen hatten sich nach jedem Herrenbesuch mit Seifenlauge zu waschen. Viele von ihnen waren durch die KZ-Zeit bereits völlig abgestumpft, manche versuchten, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Nach den Recherchen von Sommer wurden insgesamt 220 Frauen zur Prostitution in den Lager-Bordellen gezwungen. Anfangs hatte man sie mit dem Versprechen gelockt, sie würden nach einem halben Jahr wieder freikommen.

Zumeist wurden weibliche Häftlinge ausgewählt, die als sogenannte Asoziale galten. Ein Begriff, der in der NS-Diktatur oftmals Frauen traf, die sich in irgendeiner Weise aufmüpfig oder gegen die Norm verhalten hatten. Nach dem Krieg lebte der Begriff fort, und das mag eine Erklärung dafür sein, warum keine der Zwangsprostituierten je eine Entschädigung bekam - die Frauen blieben stigmatisiert. Zwar hatten nach Sommers Recherchen vermutlich alle 220 Frauen die Nazizeit überlebt, indes ist nur eine Einzige bekannt, die später einen "Schaden an Körper und Gesundheit" anzeigte. Ihr Antrag, 1966 gestellt, wurde abgelehnt - wegen Verjährung.

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