Kurz besucht Merkel:Der Streit hinter dem Lächeln

Österreichischer Bundeskanzler in Berlin

Angela Merkel empfängt Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch vor dem Bundeskanzleramt in Berlin.

(Foto: dpa)

Die Unterschiede zwischen Kanzlerin Merkel und ihrem österreichischen Kollegen Kurz sind groß. Bei seinem Besuch in Berlin sind beide aber um ein harmonisches Bild bemüht.

Von Stefan Braun, Berlin

Da stehen sie also und lächeln. Lächeln in die Kameras, als sei nichts gewesen. Fast könnte man meinen, dass Angela Merkel und Sebastian Kurz immer schon engste Verbündete gewesen seien. Sie, die Seniorchefin, er der junge Nachwuchs-Boss mit edlem Anzug und großen Ambitionen - den Eindruck könnte man von dieser Begegnung im Kanzleramt glatt mit nach Hause nehmen. Als die Kanzlerin mit dem Kanzler vor die Mikrofone tritt, ist's draußen zwar winterschneekalt. Aber hier drinnen, vor der blauen Wand für die Presseauftritte, ist es wohlig warm, weil auch die Gastgeberin und ihr Besucher um eine gute Stimmung bemüht sind.

Nun wäre das alles nicht überraschend, wenn die Beziehungen zwischen Wien und Berlin wirklich gut wären. Freundschaftlich gar und geprägt von engster Zusammenarbeit. Tatsächlich aber gibt es derzeit in der EU kaum einen Regierungschef, der es sich mit der Kanzlerin in den vergangenen zwei Jahren so verscherzt hat. Gefühlt dürfte Kurz, der ehemalige Außenminister und heutige Kanzler Österreichs, dabei schon in einer Liga mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán spielen. Streng gegen Merkels Flüchtlingspolitik, streng gegen eine solidarische Note im Umgang mit den Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. So ist es im Kanzleramt der Angela Merkel seit Beginn der großen Flüchtlingsankunft 2015 erlebt worden.

Kurz schwang sich zum Retter der europäischen Grenzen auf

Dabei war es ausgerechnet die österreichische Regierung, die sich an jenem Wochenende um den 4. September 2015 mit dramatischen Hilferufen an Berlin wandte. Kurz war Außenminister, als sein damaliger Kanzler Werner Faymann beinahe flehentlich darum bat, im Umgang mit den Tausenden Flüchtlingen, die sich von Budapest aus auf den Weg gemacht hatten, großzügig zu bleiben. Und großzügig hieß damals unzweideutig: Bitte Berlin, übernimm du sie, wenn sie an deine Grenze kommen.

Man muss an diese Geschichte erinnern, um nachvollziehen zu können, wie Merkels Beamten die Zornesröte ins Gesicht stieg, als sich nur Wochen später Faymanns Außenminister Sebastian Kurz als neuer großer Retter der europäischen Grenzen aufschwang. Früh und rigide plädierte er für eine Schließung der sogenannten Balkanroute - und verkaufte das als Rettung Europas. Mehr noch: Er betonte sogar, dass man damit auch den Balkanstaaten selbst helfen werde.

Merkel und ihre Berater im Kanzleramt vertraten dagegen die Auffassung, dass man die Tore an der ungarisch-serbischen Grenze erst dann rigide schließen dürfe, wenn das mit der Türkei angestrebte Flüchtlingsabkommen erreicht sei. Begründung: Ansonsten drohe auf dem Balkan ein neuer Krieg, weil die Region auf keinen Fall Hunderttausende Flüchtlinge aushalten werde. Dies gelte mindestens so lange, bis die Flüchtlingsroute über die Ägäis geschlossen wäre.

Kurz aber war das egal. Er wollte die große Botschaft - und den großen Kämpfer geben. Und so geschah, was die Kanzlerin verhindern wollte: dass Ungarn und seine Nachbarn die Grenze zu den Balkanstaaten schlossen, bevor das EU-Abkommen mit der Türkei unterschrieben war. Kurz pries sich als Beschützer des Kontinents, obwohl er genau wusste, dass auch sein Konstrukt nur gelingen konnte, wenn das Türkei-Abkommen erreicht sein würde.

Eine Geste des Vertrauens

Besonders verärgert war die Berliner Regierung auch angesichts der Vorgeschichte. Ausgerechnet Berlin hatte sich in den Jahren zuvor viel Mühe gegeben, Österreich im Rahmen der EU eine größere Rolle bei der Pflege der Beziehungen zum Balkan zu geben. Eine erste Balkan-Konferenz hatte noch im Kanzleramt stattgefunden, dann wurde die Regie an Wien übergeben. Eine Geste des Vertrauens, der Freundschaft, der Zusammenarbeit sollte das sein - doch dann lud Wien vor der Schließung der Balkanroute zu einer Konferenz ein, an der der EU-Partner Griechenland trotz größter Not nicht teilnehmen durfte.

Dabei schreckte Kurz auf dieser Konferenz nicht davor zurück, erst das eine und dann etwas ganz anderes zu erklären. So betonte er zunächst, es gäbe eine Überforderung der Westbalkanstaaten, wenn man einfach alle Flüchtlinge an der EU-Grenze aufhalten werde - und rühmte sich nur wenig später, dass man auf dieser Konferenz genau das beschlossen hatte. Gleichzeitig kritisierte er wochenlang Alleingänge in der Flüchtlingspolitik, praktizierte mit seiner Konferenz aber exakt das Gleiche. Und zur Kritik daran, dass er die Griechen nicht eingeladen hatte, sagte Kurz, es gäbe schon genügend gemeinsame Veranstaltungen. Was fehle, sei die Entschlossenheit, die Flüchtlinge aufzuhalten.

Pro-Österreich und Anti-Merkel

Für Kurz, den heute 31-jährigen Jungstar der österreichischen Politik, wurde die Flüchtlingskrise und seine harsche Abgrenzung zu Berlin zu dem entscheidenden Mittel, um sich als neuer entschlossener Konservativer das Profil für seinen Wahlsieg aufzubauen. Ohne diese Abgrenzung wäre es ihm kaum möglich gewesen, sich gleichzeitig vom alten Establishment seiner ÖVP, vom damaligen Koalitionspartner SPÖ und von der rechtsnationalen FPÖ zu lösen. Pro-Österreich und Anti-Merkel - das wurde für Kurz zum zentralen politischen Inhalt.

Dass er damit erfolgreich gewesen ist, dass er die SPÖ genauso besiegte wie die FPÖ, macht ihn als Vorbild, als neue große Alternative zum Mitte-Kurs der deutschen Kanzlerin für Merkel so gefährlich. Längst schauen auch hierzulande manche Konservative das Modell Österreich mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung an. Insbesondere bei der CSU ist dieser Eindruck häufig anzutreffen. Aber auch CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn legte großen Wert darauf, am Abend von Kurz' Wahlsieg in Wien ein gemeinsames Bild in die Welt zu schicken.

Dass Kurz mit seiner Rhetorik auch der rechtsnationalen FPÖ das Wort redete, dass er es als Erfolg preist, wenn die FPÖ bei gut 25 Prozent ist, stört viele deutsche Konservative wenig. Für sie ist Kurz zum lebenden Beleg dafür aufgestiegen, dass es auch für CDU und CSU ein erfolgreiches Leben nach Merkel geben könnte. Und Merkel weiß das. Sie weiß, dass Kurz an einer Stelle besonders weh tut: Er verkörpert die Nachfolgegeneration eines durch und durch konservativen Milieus, das ihr in Deutschland schon lange Probleme bereitet, aber bislang nie wirklich gefährlich werden konnte, weil es einen wie Kurz nicht hervorgebracht hat. Ausgerechnet Kurz lenkt nun den Scheinwerfer auf die Tatsache, dass es doch möglich sein könnte.

Und doch hat es bei seinem Besuch im Kanzleramt keine bösen Worte und erst recht keine negativen Bilder gegeben. Man muss ja Haltung bewahren. Kurz hat ohnehin keinen Grund, weiter zu provozieren. Er hat fürs erste gewonnen, hat sich etabliert und will ab jetzt wie ein Kanzler wirken. Und Merkel weiß, dass sie den jungen Mann aus Wien so schnell nicht mehr loswerden dürfte.

Außerdem hat sie Umgang mit Wien eine Vorgeschichte. Als Rot-Grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer harsche Kritik am ersten Bündnis ÖVP-FPÖ übte, war es nicht zuletzt Merkel, die genau das für falsch hielt. Hinter diese damalige Überzeugung wird sie nicht mehr zurück können.

Das dürfte denn auch der Grund dafür sein, dass sie an diesem Nachmittag auf die Frage nach Kurz' Koalitionspartner jedes wirklich scharfe Wort meidet. Sicher, man werde das Bündnis mit der einst europafeindlichen FPÖ sehr genau beobachten. Aber man werde die neue Regierung "an ihren Taten messen". Eine Formulierung, die auch Kurz auf eine entsprechende Frage verwendet. Er hoffe doch darauf, dass man das "europafreundliche Regierungsprogramm" und die Handlungen seines Bündnisses "kritisch, aber fair" begleiten werde.

"Kritisch, aber fair" - das haben sich Merkel und Kurz offenbar auch selbst vorgenommen, insbesondere bei ihrem größten Problem, dem Flüchtlingsthema. So betonte Kurz, er werde die Politik machen, die er für richtig halte, aber er werde sich sehr bemühen, die Konflikte in der EU zu verringern und nicht anzuheizen. Und Merkel antwortete auf dem besonders heiklen Feld, sie halte es, solange der Außengrenzenschutz nicht voll hergestellt sei, für unsolidarisch und falsch, wenn die Lasten der Flüchtlingsaufnahme nicht geteilt würden. Aber wie Kurz fügte sie hinzu, auch sie wolle die Einheit stärken. Jedenfalls bei diesem Ziel wollen die zwei also wieder zusammenkommen.

Und die Altersfrage? Wird dann auch noch angesprochen. "Das der Bundeskanzler Österreichs jung ist, ist nicht zu bestreiten", sagt sie lächelnd. Sie halte allerdings nichts davon, Politik nur noch auf jung oder alt, auf Männer oder Frauen, auf liberal oder konservativ auszurichten. "Die ganze Weisheit liegt darin, die verschiedenen Gruppen möglichst angemessen abzubilden." Fast so was wie ein Brückenschlag der Generationen. Jedenfalls auf Seiten Angela Merkels.

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